Lesefrüchte

"Griechischstunden" von Han Kang

Stand: 11.10.2024, 14:35 Uhr

Der jüngste auf Deutsch erschienene Roman der Nobelpreisträgerin 2024: Eine Frau hat ihre Stimme verloren. Sie besucht den Griechisch-Unterricht eines erblindenden Lehrers. Eine besondere Verbindung entsteht zwischen den beiden beeinträchtiigten Menschen.

Der Verlust der Sprache ist nach dem Tod ihrer Mutter und dem Verlust des Sorgerechts für ihren Sohn eingetreten. Der Griechisch-Lehrer hat mit einem anderen Verlust zu kämpfen; er erblindet langsam, aber unaufhaltsam.

Es sind einsame Helden, die Han Kang in ihrem Roman "Griechischstunden" vorstellt. Ihre Lebensumstände sind herausfordernd, ihre Krankheiten isolieren sie und machen sie einsam. Zugleich werden die beiden Protagonisten dadurch zu Verbündeten. Sie erkennen einander in ihrem gemeinsamen Schmerz. Beiden fehlte die Liebe eines nahestehenden Menschen.

In "Griechischstunden" erzählt Han Kang, diese Woche zur Literaturnobelpreisträgerin 2024 gekürt, vom Menschsein und Menschwerden, erörtert philosophische Fragestellungen und das Fremdsein in einer fernen Kultur. Es geht um das Erlernen und die Faszination fremder Sprachen, auch Braille oder die Gebärdensprache gehören dazu. Jede einzelne eröffnet einen anderen Denkraum. Und es geht um Kommunikation ohne Sprache. Denn Verständigung ist auf verschiedenen Wegen möglich.

Im Mittelpunkt von Han Kangs Romanen stehen immer wieder beschädigte Menschen, die ihren Platz im Leben suchen, nach Verbindung mit Anderen und Verständnis. Auch im zuletzt von Ki-Hyang Lee aus dem Südkoreanischen übersetzten Roman "Griechischstunden" erzählt sie sehr poetisch und mit vielen Metaphern von Schmerz und Verlust, aber auch von der Möglichkeit der Überwindung von Einsamkeit. Ein berührendes und feines Buch, das Hoffnung macht. Han Kangs nächster Roman soll im kommenden Jahr erscheinen. Man darf sich schon einmal freuen.

Eine Rezension von Barbara Geschwinde

Literaturangaben:
Han Kang: Griechischstunden
Aus dem Südkoreanischen von Ki-Hyang Lee
Aufbau Verlag, 2024
204 Seiten, 23 Euro