Lesefrüchte

"Der König und der Uhrmacher" von Arnaldur Indriðason

Stand: 12.07.2024, 08:32 Uhr

Arnaldur Indriðasons erster historischer Roman erzählt von der Reparatur einer berühmten Uhr, vom Leben auf Island im 18. Jahrhundert und von der Begegnung zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Es ist immer interessant, wenn sich Autoren, die in einem Genre erfolgreich sind, in ein neues wagen. Können sie ihren Erfolg bestätigen? Oder eine neue Seite ihres Schaffens zeigen? Arnaldur Indriðason beginnt seinen ersten historischen Roman mit einer Schilderung einer einstmals prachtvollen, doch nun zerstörten und verstaubten Uhr.

Der Isländer Jón Sivertsen, ein alter Uhrmacher, der für das Kopenhagener Königshaus tätig ist, wird Ende des 18. Jahrhunderts auf diese Uhr aufmerksam. Es ist eine astronomische Uhr des berühmten Schweizer Uhrmachers Habrecht, erkennt er. Jón macht sich daran, die kaputte Uhr zu reparieren. Kurz darauf stellt ihn der König zur Rede und droht ihm mit Verhaftung. Schließlich gehört die Uhr dem Königshaus und damit ihm, Christian VII., König von Dänemark und Norwegen. Doch Jón kann sich dem Regenten, der zeitlebens als verrückt galt, erklären. Und weckt sogar dessen Neugierde, als er seinen Vater Sigurðor erwähnt. Der wurde, als Jón noch ein Kind war, auf Anweisung von Christians Vater wegen Unzucht und falscher Vaterschaft ermordet.

Immer wieder besucht König Christian den Uhrmacher von da an. Er erkundigt sich nach dem Fortgang der Reparaturen an der Habrechtsuhr. Und Jón erzählt ihm von seinem Vater und vom Leben in seiner isländischen Heimat, von der Härte und Kargheit der Insel, aber auch von schönen Erinnerungen. Diese Erzählungen schildert der Roman sehr nüchtern und detailreich. Emotional aufgeladen sind dagegen die Gespräche zwischen Uhrmacher und König. Mehrmals reagiert der labile Christian zornig, ja gewalttätig, auf Jóns Erzählungen und Ansichten. Schließlich stellt ein Bediensteter des Königs den Uhrmacher zur Rede, und macht ihm deutlich, wie sehr Jón mit seinen Geschichten den König aufwühlt.

König Christians psychische Gesundheit und seine ohnehin schon brüchige Macht stehen auf dem Spiel. Der regierende Kronprinz, Christians Sohn Friedrich, verbietet Jón, weiter an der Uhr zu arbeiten und mit dem König zu sprechen. Jón hingegen dämmert immer mehr, warum König Christian so interessiert an der Geschichte seines Vaters war. Im letzten Drittel entfacht "Der König und der Uhrmacher" seine ganze Dramatik. König Christian ist plötzlich verschwunden, und Jón erfährt, wie die Geschichte seines Vaters und die Christians zusammenhängen.

Mit der fiktiven Begegnung zwischen dem Uhrmacher Jón und König Christian VII., die beide auf realen Vorbildern beruhen, hat Arnaldur Indriðason eine mehrschichtige Erzählung komponiert. Er führt in die Welt der einfachen Menschen auf Island vor zwei Jahrhunderten ein und in die Machtstrukturen rund um das dänische Königshaus. Nebenbei erfährt das Uhrmacherhandwerk eine erhellende Würdigung. Und nicht zuletzt verfolgt die Leserschaft gespannt, wie zwei Menschen vollkommen unterschiedlicher Biographien und Ansichten doch zusammenfinden. Indriðason, der als bedeutendster Krimiautor Islands gilt, beweist sein Talent auch mit seinem ersten historischen Roman. Ein schöner Schmöker für den Sommer – nicht nur für Skandinavien-Reisende.

Eine Rezension von Oliver Nowack

Literaturangaben:
Arnaldur Indriðason: Der König und der Uhrmacher
Aus dem Isländischen
Übersetzt von Freyja Melsted
Bastei Lübbe, 365 Seiten, 24 Euro.