Buch der Woche

"Schwindel" von Hengameh Yaghoobifarah

Stand: 06.12.2024, 09:54 Uhr

Hengameh Yaghoobifarah beweist in "Schwindel" zum einen Sinn für rasanten Humor und zum anderen Gefühl dafür, Figuren bei allem Tempo auch hintergründig zu erzählen.

Gerade noch läuft es voll gut für Ava. Sie hatte tollen Sex mit ihrer derzeitigen Flamme Robin. Sie wäscht sich im Bad, während Robin auf dem Bett einen neuen Joint dreht. Da klingelt es. Delia steht vor der Tür und sucht ein Handy. Es klingelt erneut. Die eifersüchtige Silvia schaut vorbei, um sich darüber zu beschweren, dass Ava sich nicht mehr melde. Ava flüchtet kurzerhand aufs Dach des Hochhauses, in dem sie wohnt. Die drei Konkurrent*innen folgen ihr. Plötzlich fällt allen auf, dass die Tür zugefallen ist und niemand einen Schlüssel hat. Sie sitzen auf dem Dach gemeinsam fest. Das wird ein Schauspiel!

Hengameh Yaghoobifarah erzählt in "Schwindel" von drei Frauen und einer non-binären Person und deren eher turbulentem Verhältnis zueinander. Es ist wirklich komisch, wie sie sich eifersüchtig um Ava drängen, sich um die letzten mitgebrachten Butterbrote streiten – und schließlich herausfinden, dass sie sich eigentlich doch ganz nett finden.

Literarisch legt Hengameh Yaghoobifarah ihren Roman multiperspektivisch an. Wir erleben das Geschehen aus den wechselnden Perspektiven der Figuren. Darin eingewoben sind Rückblenden die uns die Charaktere näherbringen – und so auch einen Einblick liefern in queeren Communities, aus denen sie stammen. Yaghoobifarah findet dafür eine lockere und wirklich unangestrengt wirkende Sprache, die einen gleich mitnimmt. Auch ohne sich in der queeren Szene auszukennen, kann man der Milieuschilderung gut folgen. Insider werden wohl etwas häufiger schmunzeln können.

Die Perspektive von Delia, einer non-binären Person mit den Pronomen dey, demm ist dabei literarisch avanciert ausgestaltet und spielt immer einmal wieder ins Lyrische hinüber. Besonders überzeugend sind die hitzigen Dialoge, die Schilderungen von Drogenräuschen und expliziten Sexszenen. Alles wirkt ganz leicht und natürlich und in keinem Moment gekünstelt.

Hengameh Yaghoobifarah ist eine deutsch-iranische und, wie Delia im Roman nichtbinäre Person. Neben dem Debütroman "Ministerium der Träume" von 2021 ist Yaghoobifarah bislang vor allem journalistisch mit Meinungstexten in Erscheinung getreten. Erschienen sind die bei Spex, Missy, taz und anderen. Die gesammelten Kolumnen verlegte der Blumenbar Verlag 2023 unter dem Titel "Habibitus". "Schwindel" ist der zweite Roman.

Mit den Coming-Out und Coming-Of-Age Elementen, dem leichten Soap Opera Touch und den modernen Figuren findet "Schwindel" sicher leicht Anschluss in der queeren Community und bei Fans von New Adult Literatur. Aber auch eine Leserschaft, die sich sonst eher braveren Inhalten widmet, sollte hier einmal hineinlesen und sich von dem frischen Ton und der Unmittelbarkeit der Geschichte anregen lassen.

Eine Rezension von Christoph Ohrem

Literaturangaben:
Hengameh Yaghoobifarah: Schwindel
Blumenbar, 240 Seiten, 23 Euro