Die einen mögen behaupten, Tempests Gedichte würden nur in der Performance funktionieren. Nur von Tempest selbst gerappt und vorgetragen, aber das stimmt nicht. Die Gedichte in "Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins" sind Analysen und Statusberichte unserer Gegenwart, die so einfach und doch so vielschichtig sind, dass sie mehrmals gelesen, überdacht und wieder gelesen werden können, ja müssen.
Beginnend bei einer neuen Schöpfungsgeschichte mit Gott als genderneutrale Person über Visuelle Poesie bis hin zu klassischen Reimschemata lässt sich das Werk von Tempest nur schwer in eine Form fassen. Doch die Haltung bleibt. Rike Scheffler schafft es in dem zweisprachigen Band manchmal den Rhythmus und die Flüchtigkeit von Tempests Texten ins Deutsche zu holen, doch leider allzu oft sei der hochnäsige Rat gegeben: Nur das Original ist das Wahre.
"Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins" ist nicht nur ein Zweifeln, es ist auch ein Appell an die Gemeinschaft, an die Überwindung von Grenzen und den Zuspruch durch Mitmenschen. Es ist eine Stimme wie Kae Tempest, die unsere Gegenwart braucht.
Eine Rezension von Jakob Stärker
Literaturangaben:
Kae Tempest: Divisible by Itself and One / Teilbar durch sich selbst und eins
Englisch und Deutsch
Aus dem Englischen von Rike Scheffler
Suhrkamp, 2023
125 Seiten, 15 Euro