Aktuelle Lyrik

"Angefangen mit San Francisco" von Lawrence Ferlinghetti

Stand: 03.11.2023, 14:25 Uhr

Der 2021 gestorbene Lawrence Ferlinghetti gilt als legendäre Ikone der Beat-Poetry. Jetzt ist eine repräsentative Sammlung seiner herausragenden Gedichte erschienen, gut ausgewählt und noch besser übersetzt von dem deutschen Dichter Ron Winkler.

Lawrence Ferlinghetti wurde 1919 in Yonkers / New York geboren und wuchs dort bei seiner Tante auf, der Vater war früh gestorben und die Mutter die meiste Zeit in der Psychiatrie. Nach seinem Dienst in der US-Army studierte Ferlinghetti ab 1947 Literatur in New York an der Columbia Universität, bevor er 1951 nach San Francisco zog, wo alles anfing.

Mit der Gründung von City Lights, Verlag und Buchladen in einem, gelang dem Dichter und Verleger schon bald ein spektakulärer Erfolg, als er das epochale Langgedicht "Howl", die großartige Abrechnung mit den bigotten USA von Allen Ginsberg verlegte. Das brachte ihm zwar erst mal eine Menge Ärger und einen Prozess ein wegen des Vorwurfs der "Obszönität", aber über die Jahre wurden von "Howl" etliche hunderttausende Exemplare verkauft.

Lawrence Ferlinghettis erster Band mit eigenen Gedichten "A Coney Island of the Mind" von 1958 machte den jungen Mann auf einen Schlag berühmt und bescherte dem Verlag City Lights eine Millionenauflage. Bis heute. Kaum vorstellbar in unseren Zeiten, aber Lyrik wurde offensichtlich mal massenhaft gelesen.

Die in "Angefangen mit San Francisco" veröffentlichten Gedichte umfassen den Zeitraum 1958 bis 1984, die produktivsten Jahre Ferlinghettis. Der Band beginnt mit “Ein Coney Island unseres Geistes“, einer Flut von wilden, anklagenden, zornigen, aber auch leise und elegischen Gedichten, die immer wieder um den Mythos "Amerika" kreisen.

"Angefangen mit San Francisco" folgt dann der Chronologie der Ferlinghetti Gedichtbände und offenbart einen nach allen Seiten und Traditionen offenen Dichter, dem Gottfried Benn ebenso wenig fremd war wie Garcia Lorca.

Ferlinghetti hätte dann auch das eingangs erwähnt Verdikt, er sei eine Ikone der US-amerikanischen Beat-Dichtung, wahrscheinlich von sich gewiesen. Zu sehr wäre er durch dieses Label eingeengt gewesen, er, der Freigeist, der zeitlebens gegen poetische und gegebene politische Regelwerke jeder Art rebellierte.

Trotzdem war Ferlinghetti eine zentrale Figur der Beat-Poetry, die zum ersten Mal in der US-amerikanischen Dichtung die Dinge auf den Kopf und wieder auf die Füße stellte. Mit Allen Ginsberg, Lawrence Ferlinghetti, Gregory Corso, David Meltzer, Peter Orlowsky und all den anderen, die sich um Jack Kerouacs Mantra "Beat" scharten, schaffte es diese Gruppe, bei aller Heterogenität, eine neue Ästhetik zu etablieren, die sich von den traditionellen Schablonen der bis dahin vorherrschenden Dichtung radikal löste.

Und das gelang durch Gedichte, die schnell, hart und präzise formuliert waren. Scheinbar unbedeutende Wahrnehmungen oder bis dahin als nicht bemerkenswert erachtete, wurden in den gesellschaftlichen Kontext gesetzt und bildeten sprachlich ab, was diese Generation wirklich umtrieb.

Krieg, Gewalt, Frieden, Sex, Drogen und falsche Versprechungen und alles im Beat des Modern Jazz, des Bebops. Und das lange vor den Hippies. Die einzigartige Lyrik des außergewöhnlichen Lawrence Ferlinghetti ist jetzt in einer sehr guten Übersetzung zu haben, die dem genialen US- Amerikaner gerecht wird.

Eine Rezension von Matthias Ehlers

Literaturangaben:
Lawrence Ferlinghetti: Angefangen mit San Francisco. Gedichte
Ausgewählt und aus dem Englischen von Ron Winkler
Nachwort von Jan Wilm
Schöffling & Co., 2023
260 Seiten, 28 Euro