[00:00:01.710] – Jingle
"immer frei - so geht Rente". Ein Podcast vom WDR.
[00:00:13.520] - Elke Schilling
Mich haben sie vergessen. Mich gibt es eigentlich gar nicht mehr.
[00:00:16.550] - Oliver Huxhold
Man muss es ja erst mal zugeben, dass man einsam ist.
[00:00:20.210] - Elke Schilling
Die Anonymität gewährt den Schutz, den ein Mensch in seinem privaten Raum braucht, um über alles zu sprechen, was ihn betroffen macht.
[00:00:27.170] - Oliver Huxhold
Ich war zu dicht dran.
[00:00:29.540] - Elke Schilling
Wenn ich das früh übe, aus der Einsamkeit wieder rauszukommen, schaffe ich das als alter Mensch viel leichter.
[00:00:35.900] - Matthias Bongard
Matthias Bongard begrüßt Sie auch zu dieser Ausgabe, zu dieser Folge von "immer frei - so geht Rente. Und wer uns schon mal gehört hat, wird festgestellt haben: Wir kümmern uns um die Generation vor der Rente. Die, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand kommen könnten und vielleicht mal drüber nachdenken mögen, was kommt da alles auf mich zu? Welche Themen sind da, die ich noch gar nicht so bedacht habe? Und wenn Sie mal auf die Titel schauen, das kann so was heißen wie nicht nur Geld oder viel Zeit, sondern auch: Bin ich von Altersarmut bedroht. Was mache ich mit der ganzen Zeit Sinnvolles? Sollte ich nur mal ein Ehrenamt machen? Was ist mit der Beziehung zu Hause, wenn ich den ganzen Tag da bin und, und, und. Und heute widmen wir uns einem ganz großen Themenbereich, der heißt "Einsamkeit". Aber nicht, um Angst zu machen. Ganz im Gegenteil. Ich begrüße aber erst mal meine beiden Gäste. Zum einen Elke Schilling, einen schönen guten Tag nach Berlin. Sie sind vereinfacht Vorstandsvorsitzende von Silbernetz e.V. und gleich klärt sich, glaube ich, was das ist. Schönen guten Tag.
[00:01:34.670] - Elke Schilling
Die bin ich! Einen schönen guten Tag Ihnen allen. Ja, Silbernetz ist einfach ein telefonisches Gesprächsangebot für Menschen 60 plus. Also jetzt noch nicht gerade unsere Zielgruppe hier für diesen Podcast, aber immerhin schon mal prophylaktisch kann man sich damit vertraut machen, dass es uns gibt, dass wir täglich von 8 bis 22 Uhr eine Hotline geschaltet haben, wo man einfach mal reden kann, weil es das ist, was vielen älteren Menschen einfach fehlt das Gegenüber, um den Alltag oder das Problem, was sie gerade haben, zu besprechen.
[00:02:01.610] - Matthias Bongard
Wir wollen reden über die Gründe, warum man in das Loch fällt, die Wege dahin, die Wege daraus, die Anzeichen dafür und die Hilfe und Unterstützung dagegen. Der zweite Gast, Dr. Oliver Huxhold, ist Psychologe am Zentrum für Alltagsfragen, ebenfalls in Berlin. Schönen guten Tag. Nicht nur Psychologe, sondern auch Forscher. Und da las ich einen Satz, der hat mich stutzig gemacht. Ich habe dreimal geguckt, ob dieses Wort unterstrichen ist - ist es. Da steht: Ältere haben kein höheres Einsamkeitsrisiko.
[00:02:37.970] - Oliver Huxhold
Das muss man natürlich ein bisschen relativieren. Aber es ist tatsächlich so, dass die Wahrscheinlichkeit, einsam zu werden, wenn man im Moment noch nicht einsam ist, einsam zu werden über die ganze zweite Lebenshälfte zumindest von 40 bis 85 Jahren relativ gering ist. Die liegt so bei 7 Prozent, und es nimmt tatsächlich nicht zu. Das ist eine Vorstellung, die die meisten von uns haben, dass wir mit dem Älterwerden immer größeren Risiken ausgesetzt werden, einsam zu werden. Aber das ist zumindest bis zum Alter von 85 Jahren nicht so.
[00:03:19.130] - Matthias Bongard
Kann ich das auch so zurückübersetzen, dass die Menschen, für die wir diesen Podcast machen, die Babyboomer-Generation, genauso Einsamkeit schon spürt und vielleicht da reingerät wie ältere auch?
[00:03:33.230] - Oliver Huxhold
Ja. Einsamkeitsrisiken gibt es über die gesamte Lebensspanne. Es gibt auch im jüngeren Alter Phasen, in denen man ein hohes Risiko hat. Also ein großes Risiko hat man zum Beispiel beim Auszug aus dem Elternhaus, wenn man irgendwie studieren geht und sich erst mal zurechtfinden muss. Das sind auch Lebensveränderungen, die mit einem höheren Einsamkeitsrisiko einhergehen. Und solche Dinge passieren halt im ganzen Leben. Also auch dann, wenn man in die Rente geht, muss man Dinge neu bewerten, neu strukturieren. Und ja, die meisten machen das ziemlich gut. Aber natürlich gibt es da auch ein gewisses Risiko.
[00:04:14.030] - Matthias Bongard
Würden Sie beide den Satz unterschreiben, den ich, glaube ich jetzt zitiere vom Liedermacher Herman van Veen, der gesagt hat: Die größte Krankheit dieser Zeit, ganz normale Einsamkeit.
[00:04:27.110] - Elke Schilling
Also gegen Krankheit protestiere ich ganz heftig, weil das hat dann sofort wieder die Pharmaindustrie auf den Plan und die will ich in dem Thema überhaupt nicht haben.
[00:04:35.570] - Oliver Huxhold
Ja, das will ich, ja, das - da ist man schnell. Wenn Einsamkeit chronisch wird, dann ist es auch ein Stressor. Und ein Stressor hat immer negative gesundheitliche Auswirkungen und von daher stimmt das vielleicht ein bisschen. Aber an sich ist das Gefühl, mal einsam zu sein, etwas sehr Natürliches.
[00:05:00.680] - Elke Schilling
Absolut normal, weil wir sind gesellschaftliche Lebewesen und wenn wir unsere gewohnte Umgebung verlassen müssen, dann verlassen wir eben häufig auch die Beziehungen, in denen wir vernetzt sind. Und dann kann es passieren, dass wir einsam werden, egal in welchem Alter.
[00:05:16.370] - Matthias Bongard
Heißt das auch, dass wir erst mal eine zielgenaue Unterscheidung auch von den beiden Wörtern "Einsamkeit" und "Alleinsein" treffen müssen?
[00:05:25.370] - Elke Schilling
Sowieso. Also ich kann auch in einer riesigen Gruppe von Menschen total einsam sein.
[00:05:29.660] - Oliver Huxhold
Oder andersrum: Manchmal brauche ich auch das Gefühl, allein zu sein. Wir haben gerade eine Studie gemacht dazu tatsächlich, die zeigt, dass gerade wenn man mit vielen Leuten interagiert hat, gerade unter vielen Menschen war, dass es wirklich super wichtig ist, um auch sich zu generieren, irgendwie regenerieren, dann ein bisschen allein zu sein. Allein Alleinsein kann was sehr Positives sein.
[00:05:53.480] - Elke Schilling
Ich finde, es ist ein richtiger Luxus, in manchen Lebensumständen allein sein zu dürfen, zu können - und das für sich auch zu realisieren, es zu genießen.
[00:06:03.530] - Matthias Bongard
Kommen wir mal bei diesem Alleinsein auf den Pfad, der in die Einsamkeit führt. Ist der klar zu erkennen?
[00:06:12.420] - Elke Schilling
Der ist so unterschiedlich, wie die Menschen alle sind. Das ist so subjektiv, weil manche, von denen ich denke, die wir hier bei uns am Telefon haben, beim Silbernetz, denke ich, die sind rasend einsam. Nee, die sagen mir ganz deutlich: Ich bin nicht einsam. Ich fühle mich wohl, so wie ich bin. Was mir allerdings fehlt, ist manchmal ein Mensch zum Reden.
[00:06:30.270] - Oliver Huxhold
Ja, und das ist halt sehr unterschiedlich. Die wissenschaftliche Definition von Einsamkeit ist ja, dass Einsamkeit dann entsteht, wenn die Beziehungen, die ich habe, mir nicht das geben, was ich brauche. Und Menschen haben wahnsinnig unterschiedliche Bedürfnisse. Das heißt, es gibt Menschen, die brauchen wirklich viel Kontakt, die brauchen viele Menschen die ganze Zeit in ihrer Umgebung, mit denen sie interagieren können. Und manche kommen halt auch sehr gut allein zurecht und das auch über einen längeren Zeitraum. Das heißt, Einsamkeit kann man den Menschen nie von außen ansehen, sondern man muss sie immer fragen und irgendwie das persönliche Gefühl dafür entwickeln.
[00:07:10.360] - Elke Schilling
Und auch die Neugier dafür - also zu gucken: "Du bist so allein. Wie ist das? Brauchst du jemanden?" Also es ist das Bedürfnis nachzufragen, nicht die Vermutung. "Du bist einsam."
[00:07:20.260] - Oliver Huxhold
Ja, genau.
[00:07:21.280] - Matthias Bongard
Ich hinterfrage mich ja auch vor so einem Gespräch wie mit Ihnen ein bisschen selbst und habe dann mal überlegt, was hat sich so für mich geändert, seit ich so auf die Rente zusteuern und mich aus dem Beruf so langsam zurückziehe? Ich habe zum Beispiel festgestellt, ich hätte immer den Satz sagen können: "Einsamkeit, kein Problem." Ich habe so viele Kontakte und so viele Bekannte - und stelle fest, dass zum Beispiel aus dem Berufsumfeld von 200 Kontakten sich dann ganz plötzlich auch 199 nicht mehr melden. Ist das so eine Einschätzung, auf die man vielleicht gar nicht so schnell kommt, weil es zu gewohnt ist, dass man immer unter Menschen war, auch im Beruf - und das ändert sich dann von Donnerstag auf Freitag.
[00:08:00.610] - Elke Schilling
Ich denke nicht, dass es sich von Donnerstag auf Freitag ändert. Es ändert sich Ihre Wahrnehmung, weil das hat was mit der Intensität von Kontakten, mit der Verlässlichkeit von Kontakten zu tun und mit den Interessen, die man möglicherweise teilt oder eben dann nicht mehr teilt. Also wie gesagt, so vielfältig wie Menschen sind.
[00:08:18.670] - Matthias Bongard
Ist damit aber auch der Rat verbunden zu sagen: Such dir auch zeitig Kontakte oder die, die du Freunde nennst, außerhalb deines Berufsfeldes.
[00:08:27.940] - Oliver Huxhold
Ja, ganz sicherlich. Die meisten machen das auch. Wir haben jetzt auch gesehen, dass - also immer, wenn wir Studien machen, die zum Rentenübergang sind, also direkt dazu, dann sehen wir gerade in den neueren Generationen, also den Kohorten, die jetzt quasi auf den Rentenzugang, -übergang zusteuern, dass die tatsächlich ihre Kontakte außerhalb ein bisschen intensivieren, auch außerhalb der Arbeitszeit irgendwie schon ein bisschen schon vor der Rente ein bisschen weniger Wert legen auf die Arbeit, die Arbeit nicht mehr so ganz definierend ist. Und das ist halt so ein Prozess, der sich dann über möglicherweise ein paar Jahre sogar erstrecken kann.
[00:09:09.730] - Elke Schilling
Na ja, das Problem ist, glaube ich, dass das Thema Rente mit dem Thema Alter verbunden wird. Und da haben wir einen Haufen negative Stereotype im Hinterkopf, die uns daran hindern, uns mit dem, was nach der Rente auf uns zukommen kann, auseinanderzusetzen. Weil wie gesagt, ich weiß nicht, wenn ich noch nicht Rentner bin in der Regel, welche halb vollen oder halb leeren Gläser mit welchen Inhalten auf mich warten. Und ich setze mich damit in der Regel nicht auseinander, weil ich das Thema Alter vermeiden will. Es ist ja kein beliebtes Thema.
[00:09:39.220] - Matthias Bongard
Dann lassen Sie uns auch diese Altersstereotypen mal ein bisschen aufdröseln. Was meint das alles?
[00:09:44.500] - Elke Schilling
Na ja, wenn schon meine Enkeltochter zu ihrem Bruder sagt: "Da siehst du aber alt aus", dann kann man sich schon gut vorstellen, welches Alltagsbild meine Enkeltochter hat. Es ist kein positives und das pflanzt sich über die ganze Lebensstrecke weg. Und ich mag zum Beispiel dieses Wort Ruhestand überhaupt nicht, weil es sozusagen den Eindruck erzeugt, ein Mensch, der in den auch noch wohlverdienten Ruhestand geht, macht dann nichts mehr. Dabei sind wir mehr als 20 Prozent der Gesellschaft und wir haben diese Gesellschaft mit aufgebaut. Ich sage jetzt "wir", weil ich werde jetzt demnächst 80, so, wir haben diese Gesellschaft mit aufgebaut, wir haben Wissen getankt und gespeichert, dass möglicherweise gerade in diesen Krisenzeiten durchaus nützlich werden konnte. Bloß keiner will's haben - also diese Altersstereotype von Ruhestand "nichts mehr machen, nichts mehr bringen, nur noch Kosten" und so weiter verhindert Menschen, die auf dieses Stadium zugehen, daran, sich aktiv damit auseinanderzusetzen, was dann kommt.
[00:10:49.150] - Matthias Bongard
Frau Schilling, ich denke über die Nutzung bei mir des Wortes Ruhestand jetzt wohlwollend drüber nach, ob ich das mal lasse.
[00:10:55.120] - Elke Schilling
Das freut mich.
[00:10:55.990] - Matthias Bongard
Jetzt ganz im Ernst, weil Stereotype muss man ja aufbrechen, um sie erst mal zu erkennen. Herr Huxhold, fällt Ihnen da auch noch was dazu ein?
[00:11:03.520] - Oliver Huxhold
Na ja, ich wollte das ein bisschen differenzieren. Das ist tatsächlich so, wie Frau Schilling das beschreibt, dass das gängige Altersbild ist sehr negativ, und es hat irgendwie immer noch was damit zu tun, dass die älteren Menschen sich auch ein bisschen aus der Gesellschaft zurückziehen wollen. Das ist so diese Idee des wohlverdienten Ruhestand und jetzt kann man sich endlich auf die Couch setzen und man hat kein schlechtes Gewissen mehr. Aber nicht alle Menschen haben auch diese supernegativen Altersstereotype verinnerlicht. Es gibt da auch sehr viele andere Beispiele. Frau Schilling gehört tatsächlich auch selber dazu, muss man sagen. Was wir sehen ist, dass Menschen, die ein eher positives Bild vom Älterwerden haben und vor allem Menschen, die denken "Hey, ich kann auch im Älterwerden, also auch in der Rente, sagen wir mal in der Rente, irgendwie noch Pläne verwirklichen. Ich kann neue Dinge angehen und so", dass die es sehr viel leichter haben, irgendwie Einsamkeit zu vermeiden. Und selbst wenn sie dann mal einsam werden, weil wir alle ab und zu mal einsam sind, kommen sie sehr viel schneller raus. Es ist ein ganz wichtiger Faktor, weil diese Altersstereotype halt auch so ein bisschen als selbsterfüllende Prophezeiung wirken. Wenn Menschen fest davon überzeugt sind, dass sie nichts mehr erreichen können, dass sie alle schon erreicht haben und dass das sowieso von der Gesellschaft gewünscht ist, dass sie nichts mehr erreichen werden - die tun halt auch nichts mehr oder nicht mehr so häufig was und erzeugen dann selbst ein höheres Einsamkeitsrisiko.
[00:12:46.810] - Matthias Bongard
Da verweise ich gerne auf zwei Folgen dieses Podcasts - nämlich zum Beispiel die Folge "Arbeiten in der Rente" und das "Ehrenamt", um mal nur zwei zu nennen. Frau Schilling, Sie werden schon so oft erklärt haben, wie Sie darauf kamen, Silbernetz zu gründen. Vielleicht tue ich Ihnen gefallen, indem ich das mal ganz schnell übernehme. Sie hatten einen Nachbarn, dem haben Sie Hilfe angeboten. Einem älteren Herrn. Der hat gesagt: "Lassen Sie mal - Danke!" Und der wurde nicht lange danach tot in seiner Wohnung aufgefunden. Und da lag er auch schon länger. Was mich sehr beeindruckt hat, war Ihr Satz, den Sie dazu mal gesagt haben. Nämlich: "Ich war zu dicht dran." Was heißt das für Sie?
[00:13:28.570] - Elke Schilling
Na ja, also es ist die eigene Wohnung für den Menschen, der da in Rente ist, bis ins allerhöchste Alter hinein, sozusagen der letzte eigene Rückzugsort, wo er die eigene Autonomie auch verteidigen kann, so jemanden reinlassen kann oder draußen lassen kann. In dem Moment, wo dieser Rückzugsort verloren geht oder sich öffnet, möglicherweise ungebetener Helfer, dann ist das weg. Wir kennen es von den von den Leuten, die Einbrüche erlebt haben, dass also sozusagen dieses Sicherheitsgefühl des eigenen Zuhauses weg ist. Das ist einer der Gründe, warum die meisten Menschen bis ins hohe Alter hinein sagen: "Ich will zu Hause bleiben, ich gehe nicht in ein Heim." Also diese Schale, diese äußere Hülle, dieser Schutzraum, der ist das Allerletzte, was einem bleibt häufig - so, und es braucht dann schon ja eine ganz aktive, sensible Unterstützung, damit jemand die Möglichkeit hat, diesen Schutzraum zu öffnen und sich trotzdem sicher und autonom zu fühlen. Und das leistet unsere Gesellschaft in der Regel nicht.
[00:14:33.580] - Matthias Bongard
Das heißt, ...
[00:14:34.480] - Oliver Huxhold
Ich würde da vielleicht noch ergänzen wollen: Also was mit dicht dran halt auch, was da auch ein Problem sein kann, wenn das jetzt nicht eine Familie ist oder so ist - wäre Frau Schilling wahrscheinlich gleich auch drauf gekommen: Es ist ja auch das Stereotyp, das ist ja auch das Stigma. Ja, man muss es ja erst mal zugeben, dass man einsam ist. Und ich glaube, dass ist sehr schwierig, wenn es die Nachbarn sind oder jemand, der gerade dicht dran wohnt, weil dann fällt es einfach schwer zu sagen: "Ich bin einsam", weil man das Gefühl hat, man wird dafür auch verurteilt.
[00:15:10.570] - Matthias Bongard
Deswegen frage ich auch, wenn Menschen sich überlegen: "Hach, wir haben da bei uns einen in der Straße und der lässt sich kaum mehr blicken. Und soll ich da mal klingeln und Hilfe anbieten?" Dass das nicht zwingend heilbringend ist, sondern dass man ...
[00:15:23.470] - Elke Schilling
Da ist der Zettel im Briefkasten mit der Rufnummer drauf "Wenn Sie mich brauchen, so erreichen Sie mich" eher eine Möglichkeit, weil auch der Anruf immer noch die Distanz aufrechterhält und immer noch die Möglichkeit zulässt zu sagen "Ach nee, das wird mir jetzt doch zu viel". Deswegen ist unser Silbertelefon so eine großartige Lösung, weil die Anonymität gewährt den Schutz, den ein Mensch in seinem privaten Raum braucht, um über alles zu sprechen, was ihn betroffen macht.
[00:15:48.310] - Matthias Bongard
Dieses Silbernetz-Telefon kann ich noch erklären, wenn Sie Frau Schilling im Leben mal treffen, dann erkennen Sie sie daran, dass sie ein T-Shirt trägt, auf dem die 0800-Nummer draufsteht. Das ist Frau Schilling. Frau Schilling, Sie haben klein angefangen. Es ist mittlerweile ein bundesweites Angebot, diese kostenlose Nummer zu wählen. Sie werden jetzt zu Recht sagen: Ja, ganz unterschiedliche Anruferinnen und Anrufer. Lässt sich aus allen irgendwas herauslesen, die anrufen unter dieser Nummer und sagen "Hallo".
[00:16:22.120] - Elke Schilling
Für mich ist das absolut Spannende, was ich in diesen fünf Jahren gelernt habe: Es gibt keine Bevölkerungsgruppe in Deutschland - überhaupt weltweit, die vielfältiger ist als die der Alten, weil zu den üblichen Vielfalten, zu den üblichen Diversitäten, kommt ja dann noch die Erfahrung, die Lebensweisheit, die Strategien des Überlebens hinzu, die ein Mensch in einem langen Leben erwirbt. Und das finde ich natürlich nicht in irgendeiner jüngeren Altersklasse. Das ist das, was wir gelernt haben, und das natürlich bestimmt auch die Themen. Es ist unglaublich vielfältig - von Freude bis Not bis Resignation bis Wut. Alles da und auch die, die für gerade sehr alte Menschen häufig unlösbaren Probleme, die ihnen der Alltag beschert, aber auch ihr Wille, die Autonomie zu bewahren. Da gibt es dann Widersprüche, die ja, wie gesagt, zu solchen Todesfällen führen wie die meines Nachbarn.
[00:17:18.040] - Matthias Bongard
Die Annahme, die ich jetzt so - die steile These, die ich jetzt aufstellen könnte, wäre: Frauen schaffen es besser, soziale Kontakte zu halten als Männer. Herr Huxhold, was sagt der Forscher. Sind Frauen weniger von Einsamkeit betroffen oder bedroht? Das hört sich schon wieder nach Krankheit an. Ich streiche das "als Männer".
[00:17:36.790] - Oliver Huxhold
Das ändert sich tatsächlich im Lebensverlauf ein bisschen. Und es kommt darauf an, wie man fragt. Wenn man einfach fragt in einem Survey, auch in der Studie: Sind Sie einsam? Dann sagen Frauen häufiger "Ja" als Männer, weil ihnen das noch ein bisschen unangenehmer ist. Wenn man ein bisschen indirekter fragt, dann ist es tatsächlich so, dass im mittleren Erwachsenenalter Männer ein bisschen einsamer sind. Aber weil Frauen länger leben und dann halt auch ein höheres Risiko haben, ihre Partnerschaft zu verlieren. Ist das im höheren Alter dann wieder umgekehrt. Da haben Frauen ein gewisses, ein bisschen größeres Risiko.
[00:18:22.010] - Elke Schilling
In der Einsamkeit hängen zu bleiben.
[00:18:24.720] - Oliver Huxhold
Sowohl als auch. Ja, also auch reinzukommen, weil die ...
[00:18:29.220] - Elke Schilling
Lebensumstände sind einfach anders. Ganz anders als von Männern.
[00:18:32.280] - Oliver Huxhold
Was ich auch sagen will: Die Unterschiede sind nicht so groß, wie man denkt. Also das ist. Ich meine, weil es sind - egal ob Mann, Frau oder wie wir uns definieren - haben wir das Bedürfnis, mit anderen zu interagieren.
[00:18:48.240] - Elke Schilling
Wir sind soziale Wesen. Ganz deutlich. Ohne dem gehen wir zu Grunde.
[00:18:52.390] - Oliver Huxhold
Richtig.
[00:18:53.190] - Matthias Bongard
Frau Schilling, Sie haben damit eigentlich ein großes Fass gerade aufgemacht, nämlich das Fass "einsam werden und einsam bleiben". Wo sind da die Punkte, an denen Sie sagen: Da muss man ansetzen. Denn einsam werden ist das eine. Und die Frage, ob man da wieder rauskommt, das vielleicht viel Wichtigere dann.
[00:19:15.090] - Elke Schilling
Na ja, also wenn ich schon in jungen Jahren gelernt habe, was für viele häufig nicht der Fall ist, dass Einsamkeitsgefühle was sehr Normales sind und ein Warnsignal unserer Psyche, uns bitteschön wieder um Beziehung und Gesellschaft zu bemühen, also Resilienz entwickeln kann als junger Mensch, dann habe ich es als alter Mensch sicherlich ein bisschen schwerer, wenn mein langjähriger Partner stirbt, wenn meine Freunde versterben. Also eines dieser Beispiele, die mich zu diesem Thema geführt haben, war ja der alte Mann bei der Telefonseelsorge, der mich nachts um 3 Uhr anrief und sagte: "Wissen Sie was? Ich bin 85. Die Reihen rund um mich sind leer geworden. Warum soll ich noch leben?" Ja, das ist gut. Er hatte offensichtlich vorher nicht gelernt, dagegen resilient zu sein, auch in diesen Wechselfällen, die ein langes Leben letzten Endes mit sich bringt. Wenn ich das früh übe, aus der Einsamkeit wieder rauszukommen, schaffe ich das als alter Mensch viel leichter.
[00:20:10.630] - Oliver Huxhold
Und das hilft auch, das haben wir in der Studie gesehen. Wenn man, wenn man auch im Alter sich nicht nur auf wenige enge Kontakte konzentriert, sondern versucht, irgendwie im Leben zu bleiben. Also wenn man viele Kontakte hat, die auch noch nicht so eng sind, also zum Beispiel über das Ehrenamt oder über Dinge, die man im Verein macht oder über Begegnungspunkte oder so, dann ist es auch leichter, solche Verluste zu kompensieren. Wir haben jedenfalls gesehen, dass Menschen, die von vornherein ein bisschen mehr Wert darauf legen, auch so was wie Bekannte zu halten, dass die aus solchen Situationen eigentlich besser rauskommen.
[00:20:54.220] - Matthias Bongard
Was würden Sie denn einer Babyboomer-Generation raten, um zu sagen: So erkennst du, dass du in puncto Einsamkeit stolperst, oder? Fang doch auch schon mal 50 oder 55 an, dieses oder jenes zu tun.
[00:21:09.340] - Elke Schilling
Na ja, ich würde schon sagen: Guck doch einfach mal, ist dir das Gefühl schon mal begegnet und was hast du damals damit gemacht? So, und was könnte jetzt im Extremfall passieren? Also wenn alle meine Kollegen mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben plötzlich verschwinden, weil die haben jetzt andere Interessen und es bleibt mir also nur noch "Papa ante portas". Ja, meine Familie.
[00:21:31.120] - Matthias Bongard
Senfgläser horten.
[00:21:33.280] - Elke Schilling
Ja, so was. Also rechtzeitig hinhorchen, hören auf die Warnsignale, die die Psyche gibt und dann gucken, was ich damit machen kann.
[00:21:42.940] - Oliver Huxhold
Ja, ich glaube, das ist leider. Leider ist das ja so, dass die Zukunftsplanung nicht so gut funktioniert, weil man immer das Gefühl hat, man wird auch ewig gesund bleiben und man muss auf gar keinen Fall irgendwie vorsorgen. Und man muss auf gar keinen Fall irgendwie zusehen, dass man möglicherweise dieses Heim auch verlassen könnte. Ja, und ich glaube, das wird wirklich helfen, wenn die Leute das auch ein bisschen im Kopf haben irgendwie, dass sich mit dem Älterwerden, also wenn man sehr viel älter ist irgendwie, dann auch diese Dinge ändern und dass man dann vielleicht nicht mehr aktiv ist und dass man dann trotzdem noch die Möglichkeit hat, irgendwelche Kontakte zu pflegen.
[00:22:22.870] - Matthias Bongard
Wenn wir darüber nachdenken, was eine Gesellschaft da auch an Rahmenbedingungen schaffen könnte, müsste oder versäumt hat. Frau Schilling, fangen wir mal bei etwas sehr Betrüblichem an, als Sie mit dem Silbernetz begonnen haben und dieser Idee, könnte man denken, es hätte nur Beifall gegeben. Sie sind gegen Widerstandsmauern gerannt. Wie das?
[00:22:42.850] - Elke Schilling
Na ja, ganz klar. Also, Entschuldigung, dass ich jetzt das sehr drastisch formuliere: Unsere Leistungsgesellschaft definiert sich ja über Leistung - und Leistung erbringe ich im Berufsleben. Wenn ich nämlich einer Arbeit nachgehe und dafür ein Gehalt bekomme oder irgendwie anders Geld erwirtschafte. Es gibt aber zwei Randgruppen in dieser Leistungsgesellschaft, die nur kosten. Das sind die Jugendlichen - und schauen Sie sich an, was seit Pisa mit unseren Jugendlichen geschehen ist. Relativ wenig. So, und das sind natürlich die Alten, die eben nur noch kosten, weil sie ja nichts mehr erwirtschaften. Wobei das nicht stimmt. Wir zahlen ja trotzdem Umsatzsteuer und all diesen Kram. Aber das kommt bei der Leistungsgesellschaft nicht mehr vor. Deswegen sind die Alten auch eine Randgruppe, die eigentlich in der Versenkung verschwinden dürfen. Und das kann natürlich verdammt einsam machen, wenn man sich dann mit dieser Randgruppenrolle zufrieden findet. Natürlich habe ich alte Menschen am Telefon, die sagen: "Wissen Sie, mich haben Sie vergessen. Mich gibt es eigentlich gar nicht mehr." Und da ist eine tiefe Resignation dahinter, die letzten Endes ja eine Lebensgeschichte hat, die zu solchen Schlussfolgerungen führt.
[00:23:48.220] - Matthias Bongard
Jetzt kommt der entscheidende Punkt.
[00:23:49.240] - Elke Schilling
Und dazu gehören Rahmenbedingungen in dieser Gesellschaft.
[00:23:51.340] - Matthias Bongard
Es kommt der entscheidende Punkt bei Ihrem Telefon: Was sagt man dann? Sagt man dann: "Tut mir leid" oder sagt man "Tut mir leid. Probieren Sie doch mal Folgendes". Und damit kommt wieder der Satz: "Ratschläge sind auch Schläge."
[00:24:03.460] - Elke Schilling
Genau. Genau. Also so was würde ich nie machen. Ich würde erst mal sagen: "Kann ich gut verstehen, weil absolut nachvollziehbar. Wie haben Sie das bis hier her überlebt? Was hat Ihnen die Kraft gegeben, bis hierher zu kommen? Und ist vielleicht noch ein Stück von der Kraft da, trotz alledem irgendwie weiterzugehen?" Also die Initiative liegt nicht bei mir, der Vorschlag liegt nicht bei mir. Meine Anrufende ist letzten Endes die Meisterin ihrer Lebenssituation und meine Rolle ist es ihr nicht das zu sagen. "Sie sind Meisterin ihrer Lebenssituation", sondern zu fragen, wo ihre Reserven liegen.
[00:24:37.280] - Matthias Bongard
Wer Frau Schilling erkennt, wird es am T Shirt, habe ich gesagt.
[00:24:40.100] - Elke Schilling
Nur im Fernsehen, sonst nicht.
[00:24:41.990] - Matthias Bongard
Im Podcast ist schwierig, da steht dann drauf 0800 4708090.
[00:24:49.520] - Elke Schilling
Genau - wir sind ja, wir sind ja kein Volk der Zahlenwitze. Deswegen sage ich das dann immer auf Sächsisch, damit es verstanden wird. Das heißt "0800 für 708090" und das ist unsere Zielgruppe.
[00:24:58.280] - Matthias Bongard
So hätte ich es auch viel besser verstanden, unsere Zielgruppe, Da kämen auch noch 50 oder 60 dazu.
[00:25:03.380] - Elke Schilling
Genau.
[00:25:05.750] - Matthias Bongard
Elke Schilling, ganz lieben Dank, Dr. Oliver Huxhold. Ganz lieben Dank für klare Meinung, für Haltung, für Informationen. Und die Kollegin Ute Schneider sattelt da gleich noch ein bisschen auf mit - ich sage jetzt nicht mehr Ratschläge, genauso wenig wie ich noch Ruhestand sage.
[00:25:25.100] - Elke Schilling
Das ist schön, das freut mich.
[00:25:27.590] - Matthias Bongard
Gut. Vielen Dank, Ihnen beide. Alles Gute.
[00:25:29.660] - Elke Schilling
Sehr gern. Ihnen auch. Alles Gute.
[00:25:32.840] - Oliver Huxhold
Danke. Tschüss.
[00:25:33.200] - Jingle
Die U-Tipps für alle, die noch mehr zu diesem Thema wissen wollen. Von und mit Ute Schneider.
[00:25:43.090] - Matthias Bongard
Jetzt habe ich mich selbst in die Bredouille gebracht und muss einen alternativen Vorschlag für Ratschläge jetzt liefern. Ja - in der Uni, hieß es weiterführende Literatur.
[00:25:54.670] - Ute Schneider
Ich glaube, ja.
[00:25:55.270] - Matthias Bongard
Ich glaub, da, wo ich herkomme, heißt das einfach: Sonst noch was?
[00:25:57.940] - Ute Schneider
Ja, heute fangen wir mal mit einem Überblick zum Thema an, und zwar eine Zusammenfassung vom DZA, dem Deutschen Zentrum für Alltagsfragen, von dem ja heute auch Oliver Huxhold bei uns zu Gast war. Und genau von dem gibt es einen Powerpoint-Vortrag, den man zu Hause am Rechner, finde ich, noch mal gut ansehen kann. Der macht nämlich noch mal klar, was für Auswirkungen haben Einsamkeit, wie entstehen sie? Und vor allen Dingen: Was kann man dagegen machen? Und gerne auch auf die Seite des DZA gehen. Da gibt es auch noch interessante Artikel zum Thema zu finden.
[00:26:24.220] - Matthias Bongard
Jetzt habe ich gerade mit Frau Schilling gar nicht ihren Verein, den sie gegründet hat, zu ganz tiefst beleuchtet. Es lohnt sich auf jeden Fall mal, sich damit genauer zu beschäftigen. Wo?
[00:26:34.180] - Ute Schneider
Absolut. Es gibt Hilfe und zwar auf der Seite vom Silbernetz. Und für alle, die sich einsam fühlen, gibt es da ja auch eine Telefonnummer, die man anrufen kann, wenn man einfach mal reden will. Und der Matthias kennt ja die Nummer auswendig.
[00:26:45.460] - Matthias Bongard
Aber nicht auf Sächsisch. Warte mal! 0800 4708090.
[00:26:54.160] - Ute Schneider
So ist das.
[00:26:56.050] - Matthias Bongard
Frau Schilling hat ja - wie erwähnt - auch ein Buch herausgebracht. Ganz frisch. "Die meisten wollen einfach mal reden".
[00:27:04.840] - Ute Schneider
Genau. Und zum Thema Lesen habe ich auch noch was - gerne mal im Netz lesen. Und zwar auf den Seiten des Malteser Hilfsdienst oder der Barmer Ersatzkasse. Da finden sich nämlich auch Tipps. Zum Teil Vorschläge, die wir hier bei "immer frei" schon mal angesprochen haben, wie zum Beispiel ein Ehrenamt suchen oder ein neues Hobby. Und manchmal hilft es auch schon, einfach einen regelmäßigen Videoanruf zu verabreden.
[00:27:23.650] - Matthias Bongard
Hast du noch weiterführende Literatur im Fernsehen?
[00:27:25.600] - Ute Schneider
Ja, in der ARD Mediathek. Da findet sich einiges zum Thema Einsamkeit. Vielleicht mögen Sie einfach mal in eine Doku vom RBB reinschauen, die heißt "Raus aus der Einsamkeit". Da geht es um das Leben in einer großen Gemeinschaft, also um eine andere Form des Wohnens.
[00:27:41.020] - Matthias Bongard
Und nach Sehen kommt auch heute Hören.
[00:27:43.270] - Ute Schneider
Gerne habe ich dann noch einen Podcast-Tipp und zwar "Smarter Leben" vom Spiegel. Da gibt es die Folge "Einsamkeit: Wie können wir sie besser überwinden?" Zu Gast in der Folge ist Psychologin und Einsamkeitsforscherin Susanne Bücker und von ihr unter anderem der Tipp bei Einsamkeit: gerne einfach mal versuchen, alte Kontakte einfach wieder zu aktivieren.
[00:28:02.290] - Matthias Bongard
Es mag mehrere Möglichkeiten, warum sie diese Folge von "immer frei. So geht Rente" gehört haben, dass Sie gesagt haben: Es hat mich unterhalten oder es hat mich informiert oder es hat mich noch zum Nachdenken gebracht. Egal was es ist, Sie dürfen es gerne weitererzählen. Wir werden uns nicht beschweren. Wenn es was gibt, wo Sie noch mal nachlesen wollen. Es gibt alles in Schriftform auf unserer Internetseite "immerfrei.wdr.de". Ute, nimm es nicht persönlich, aber ich lebe nach dem Motto "Lieber allein als gemeinsam einsam". Tschüss.
[00:28:32.140] - Ute Schneider
Tschüss.
[00:28:34.840] – Jingle
Das war "immer frei. So geht Rente" mit. Matthias Bongard. Ein Podcast vom WDR. Mehr Infos gibt es bei immerfrei.wdr.de
WDR 4-Podcast "immer frei - so geht Rente"
Transkription: Einsamkeit
Stand: 20.03.2024, 06:00 Uhr
Transkription