Wer ist die "ferne Geliebte", die hier so sehnsüchtig besungen wird? Das bleibt bis heute offen. Eine lang hegte Vermutung ist die "unsterbliche Geliebte", an die Beethoven knapp vier Jahre zuvor einen schicksalhaften Brief adressiert. Viele sehen in den Texten des jungen Wiener Medizinstudenten Alois Jeitteles aber auch ganz allgemeine Gefühle von Liebe und Trennung.
Neuere Untersuchungen verweisen auf den Widmungsträger, Fürst Joseph von Lobkowitz, der Beethoven finanziell fördert und den Liederkreis Anfang 1816 in Auftrag gibt, kurz nachdem seine Frau gestorben ist. Auf dem Titelbild der ersten Notenausgabe blickt ein Sänger mit Laute in den Himmel zu einer Frau in den Wolken auf. Demnach wären die sechs Lieder eine Art weltliches Requiem für die verstorbene Geliebte des Fürsten Lobkowitz.
Die Anfangsmelodie "Auf dem Hügel sitz‘ ich spähend in das blaue Nebelland" wird von Beethoven in vielen Skizzen sorgfältig modelliert. Sie kehrt nicht nur am Schluss wieder, sondern liefert auch das Material für alle anderen Liedmelodien. Dadurch sind die sechs Lieder enger miteinander verbunden als in jedem anderen Zyklus der Romantik.
Die motivische Arbeit ist äußerst konzentriert und detailliert. Auch die Gefühle wechseln oft nach wenigen Tönen und verbinden damit auch Lautstärke und Tempo. Dabei scheint der Vortrag ganz frei zu sein, wie eine Fantasie, die mit spontanen Wiederholungen, Beschleunigungen und Verzögerungen dennoch genau vorgeschrieben ist. Trotzdem bewahrt Beethoven einen schlichten, geradezu volkstümlichen Tonfall. Die Klavierbegleitung ist so variantenreich, dass kaum auffällt, wenn die Gesangsmelodie in aufeinanderfolgenden Strophen nahezu gleichbleibt. Das Klavier verbindet die Lieder außerdem nahtlos miteinander.
Zusammen mit dem Tenor Julian Prégardien hat der Pianist Christoph Schnackertz sich in vielen Konzerten Beethovens "Ferner Geliebter" gewidmet – "liebevoll" wie er selbst betont, denn bei aller Sehnsucht und Pein geht es in Text und Musik vor allem um eine weiche und kammermusikalische Intimität. Was in den Noten so einfach aussieht, stellt in der klanglichen Umsetzung eine große Herausforderung dar, will man den richtigen Ton treffen. Neben einkomponierten Umspielungen Beethovens steuert Julian Prégardien auch eigene Gesangsverzierungen bei. Und wenn der Sänger mitten im zweiten Lied vierzig Mal denselben Ton rezitiert - sinnierend - dann singt das Klavier ganz leise die Melodie für ihn.
Der Anfang des sechsten Liedes ist weltberühmt geworden: "Nimm‘ sie hin denn, diese Lieder, die ich dir, Geliebte, sang." Robert Schumann hat Beethovens Melodie immer wieder in seinen Werken als geheime Botschaft an seine geliebte Clara zitiert: in der Klavierfantasie op.17, im 2. Streichquartett op. 42/2 und in seiner 2. Sinfonie op. 61. Auch Felix Mendelssohn baut ein Zitat in seine 2. Sinfonie op. 52 "Lobgesang" ein.
Eine Collage von Antonia Ronnewinkel
Redaktion: Eva Küllmer
Sendung
CD-Tipp
An die Geliebte
Julian Prégardien (Tenor)
Christoph Schnackertz (Klavier)
Label: Myrios
Bestellnummer: MYR012