11.11.2024 – Händel, „Alcina“ in Bonn

Stand: 11.11.2024, 09:30 Uhr

„Alcina“ von Händel ist eine zeitlose Oper. Die Zauberin Alcina hält auf ihrer Insel Männer gefangen, die sie nach Belieben in Tiere verwandelt. Darunter ist auch Ruggiero, ihr derzeitiger Favorit. Ihn wollen seine Braut Bradamante und Melisso befreien. Dazu verkleidet sie sich in einen Mann und wird prompt ebenfalls Ziel von erotischen Nachstellungen. Dieser Plot lässt sich ohne Weiteres in die Jetztzeit verlegen oder auch in ein 20er-Jahre Art-déco-Ambiente, wie es in Bonn der Regisseur Jens-Daniel Herzog und sein Ausstatter Mathis Neidhardt getan haben.

Man befindet sich in einem eleganten Hotelsalon, in dem Alcina als unnahbare Patronin ihr Regiment führt, eskortiert von einer Truppe sich lasziv bewegender Männer, die auch einmal zur Hälfte als Transpersonen auftreten. Das sind wohl die Geister ihres Zauberschlosses, die sie in ihrer Arie „Ombre pallide“ – „Bleiche Schatten“ vergeblich anruft, um Ruggiero noch einmal an sich zu binden.

Anna Alàs i Jové (Bradamante), Gloria Rehm (Morgan), Pavel Kudinov (Melisso) in: Händels „Alcina“ an der Oper Bonn | Bildquelle: Bettina Stöß

Jens-Daniel Herzog zeigt die Oper als eine Mischung aus Situationskomödie mit Slapstickeinlagen und einem exaltierten Liebes- und Eifersuchtsdrama. Man versteht jede Szene, auch in den kleinen Variationen der Charaktere, etwa wenn Alcina bei ihrer großen Arie „Ah! mio cor“ nicht länger die mächtige Beherrscherin der Herzen ist, sondern zusammensinkt und sich unter einem großen Tuch verkriecht.

Hier zeigt Marie Heeschen in der Titelrolle die ganze Palette ihrer gesanglichen Ausdrucksmöglichkeiten, vom versgenauen An- und Abschwellen der Dynamik oder nahtlosem Wechsel von Seufzern der Verzweiflung zu aggressivem Aufbegehren.

Es war allerdings die Barockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger, die bei ihrem Debüt an der Bonner Oper vom Graben aus das musikalische Geschehen mit zurückhaltenden, aber sehr wirkungsvollen Gesten steuerte. So auch in der Arie „Tornami a vagheggiar“, in der Gloria Rehm als Morgana - Alcinas Schwester und leidenschaftlichen Abenteuern ebenso zugetan - mit dem Orchester in einen musikalischen Dialog trat, in dem die Geigen in langen Phrasen die unbeschwert hüpfende Gesangsmelodie kommentierten und umgekehrt. Oberlinger gelang es, unterstützt von einigen Instrumentalisten im Continuo aus der Barockszene, das Bonner Beethoven Orchester zu einem rhetorisch und differenziert artikulierenden Klangkörper zu formen, den man ohne Weiteres für ein Originalensemble hätte halten können.

Ruggiero wurde von Charlotte Quadt gesungen. Ob sie auftreten konnte, war bis zuletzt ungewiss. Intendant Bernhard Helmich berichtete zu Beginn der Vorstellung, dass der Countertenor Ray Chenez aus Wien auf dem Weg nach Bonn sei. Später stand er an der Seite des Grabens und wartete auf seinen Einsatz, der dann aber nicht nötig war, weil Charlotte Quadt die Partie ohne hörbare Einschränkungen durchstand. In „La bocca vaga“ ließ sie ihre Stimme, die über ein schönes weiches Timbre verfügt, gegen ein mit Staccato-Akkorden drein fahrendes Orchester aufblühen.

Weitere Höhepunkte lieferte auch Anna Alàs I Jové als Bradmante, z. B.in der furiosen Arie „Vorrei vendicarmi“, in der sie sich selbst mit einem Koloraturenfeuerwerk zu Rache und Wut anstachelt, unterstützte von mit einem präzis artiklulierendeb Orchester, das gewissermaßen zur Bestätigung immer wieder blitzende Akkorde hineinwirft.

Pavel Kudinov als Lehrmeister Melisso stellte sich bei „Pensa a chi geme d‘amor“ in die Mitte der Bühne und ließ seinen sonoren Bass strömen. Auch hier hat Händel die Rhetorik ins Orchester verlegt, was Dorothee Oberlinger dankbar aufgriff. Oberto ist angeblich ein Feldherr von Alcina. In der Oper ist er aber ein zu kurz gekommener Schlauberger, der sich im Klaren darüber ist, dass Morgana ihm gegenüber nicht ehrlich handelt. Stefan Sbonnik ertränkt in „E un folle“ seinen Frust mit Champagner, wirft aber gleichzeitig elegante Koloraturen in den Raum, die er in sein belcantistisches Tenortimbre einkleidet. Einen schönen Akzent liefert in der Oper schließlich die Figur des seinen Vater suchenden Oberto, der hier als Page in Alcinas Hotel dient, und bis zu „Barbara!“, wo er sich energisch von Alcina lossagt, eine charakterliche Entwicklung durchmacht, was in der Darstellung von Nicola Wacker gut nachvollziehbar wird.

Mit Oberlingers und Herzogs „Alcina“ und einer Besetzung, die auf jedem Spezialfestival reüssiert hätte, setzt die Oper Bonn, die in der Vergangenheit schon etliche bemerkenswerte Produktionen von Barockopern gezeigt hat, einen weiteren Höhepunkt.

Premiere: 10.11.2024, noch bis zum 31.01.2025

Besetzung:
Alcina: Marie Heeschen
Ruggiero: Charlotte Quadt
Morgana: Gloria Rehm
Bradamante: Anna Alàs i Jové
Oronte: Stefan Sbonnik 
Melisso: Pavel Kudinov
Oberto: Nicole Wacker 

Chor der Oper Bonn
Beethoven Orchester Bonn

Musikalische Leitung: Dorothee Oberlinger
Regie: Jens-Daniel Herzog
Bühne: Mathis Neidhardt
Kostüme: Sibylle Gädeke
Licht: Max Karbe
Dramaturgie: Georg Holzer, Hans-Peter Frings, Polina Sandler
Choreografie: Ramses Sigl
Choreinstudierung: André Kellinghaus