Habeck rechnet mit Atomkraft-Weiterbetrieb bis April 2023

Stand: 28.09.2022, 11:20 Uhr

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erwartet einen Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken in Deutschland über das Jahresende hinaus.

Stand heute gehe sein Ministerium davon aus, dass man die "Reserve" ziehen werde und die Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim im ersten Quartal 2023 weiter am Netz sein werden, sagte Habeck am Dienstag.

Er habe sich mit den Betreibern der Atomkraftwerke in Bayern und Baden-Württemberg auf Eckpunkte zur Umsetzung der geplanten Einsatzreserve bis spätestens Mitte April 2023 verständigt, erklärte Habeck. Die Betreiber würden nun alle nötigen Vorkehrungen dafür treffen.

Hälfte der französischen Atomkraftwerke nicht am Netz

Hintergrund ist die angespannte Lage auf dem französischen Strommarkt. Mehr als die Hälfte der dortigen Atomkraftwerke sei wegen Wartungsarbeiten aktuell nicht am Netz, es fehlten daher Strommengen, die Deutschland zum Teil mit Strom aus Gaskraftwerken ausgleiche. Frankreich laufe für den Winter auf die beiden schlechteren Szenarien im Stresstest zu, hieß es.

Den mit den Betreibern vereinbarten Eckpunkten zufolge sollen die beiden Atomkraftwerke nach dem Ende ihrer regulären Laufzeit am 31. Dezember 2022 in eine Einsatzreserve überführt werden. Sie stünden damit bereit, um einen drohenden Stromnetzengpass in Süddeutschland zu verhindern.

Entscheidung fällt noch dieses Jahr

Eine endgültige Entscheidung zum AKW-Weiterbetrieb sei aber noch nicht getroffen. Sie solle "spätestens im Dezember" fallen, so Habeck. Für diese endgültige Entscheidung orientiere sich das Ministerium an den Ergebnissen des Netzstresstests, den Habeck vor einigen Wochen vorgestellt hatte. Bis Ende Oktober solle das Gesetzgebungsverfahren dazu abgeschlossen sein.

Eigentlich sollten im Rahmen des Atomausstiegs die letzten drei AKWs am Jahresende abgeschaltet werden. Für den Reaktor Lingen im Emsland soll dies laut Wirtschaftsministerium in jedem Fall weiter gelten.

Wüst begrüßt Habeck-Pläne

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) begrüßte die Pläne von Habeck. "In der Lage ist pragmatisches und unideologisches Handeln gefordert", sagte Wüst dem WDR. "Wir haben eine Krise auf dem Energieerzeugungssektor und müssen daher alle Möglichkeiten nutzen, Energie zu erzeugen, die Preise runterzukriegen und Versorgungssicherheit über den Herbst und Winter zu gewährleisten."

Kritik von der Deutschen Umwelthilfe

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) pocht derweil darauf, für alle drei AKWs am gesetzlich vorgesehenen Atomausstieg zum Jahresende festzuhalten. Die "immensen Gefahren" der Hochrisikotechnologie Atomkraft seien gerade wieder durch die immer noch nicht behobene Sicherheitspanne im Atomkraftwerk Isar 2 bestätigt worden, so DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Zudem sei zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht abzusehen, ob für den bevorstehenden Winter Engpässe im europäischen Stromnetz auftreten werden. Es komme jetzt darauf an, alle möglichen Maßnahmen zur Energieeinsparung, zum Lastenmanagement in der Industrie und zum verstärkten Einsatz von Wind- und Bioenergiereserven zu nutzen.

Psychologe: Eine sehr ideologische Frage

"Atomkraftwerke sind in Deutschland eine sehr ideologische Frage, ich glaube ein Gros der Bürger versteht, dass in der Not alle Energiereserven mobilisiert werden müssen", sagt der Psychologe Stephan Grünewald, der am Rheingold-Institut in Köln über die Stimmung im Land forscht. "Zwei Drittel werden das durchaus bejahen und der ideologisch harte Kern wird natürlich die Stirn runzeln und enttäuscht sein."

Zwischen Resignation und Hoffnung

Wer macht sich in Sachen Energiekrise gerade am meisten Sorgen? Da hat Grünewald vier unterschiedliche Gruppierungen ausgemacht. Die einen wüssten schon, dass sie nicht über den Winter kommen und seien resigniert. Eine andere Gruppe haben große Abstiegsängste, strampele sich aber ab, um sich irgendwie über Wasser zu halten. "Die bürgerliche Mitte glaubt, dass sie die Kosten stemmen kann, zeigt sich aber solidarisch. Sie will sparen, obwohl sie es nicht unbedint muss. Die vierte Gruppe ist finanziell sehr gut ausgestattet, will sich der Krisenstimmung entheben und hofft, sich das Sparen sparen zu können."

Und noch ein Fazit zieht der Psychologe: Die Bürger interessiere nicht das politische Ränkespiel. "Man will klare Bestandsgarantien, die es Bürgern möglich machen, zu ermessen, was auf sie zu kommt. Sonst ist das ein Nährboden für Ängste und Missmut."