Neue Rätsel um Cessna-Absturz in die Ostsee

Stand: 01.12.2022, 07:35 Uhr

Der Zwischenbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) zu dem Absturz der Cessna 551 des Kölner Unternehmers Peter Griesemann Anfang September wirft neue Fragen zum Ablauf des Unglücks auf.

Von Oliver Köhler

Die Unfallexperten der in Braunschweig angesiedelten BFU haben Funksprüche, Fotos, Video, Flugdaten, Wartungsprotokolle und die Ausstattung der Maschine mit Sicherheitstechnik überprüft. Sie sind dabei auf Fakten gestoßen, die nicht zusammenpassen.

Am frühen Nachmittag des 4. September bereitet der Bornheimer Unternehmer Peter Griesemann auf dem Flughafen des südspanischen Jerez den Start der Cessna 551 vor. Routinesache für Griesemann: Der 72-Jährige besitzt eine Lizenz als Berufspilot. Mit etwa 1.700 Flugstunden gilt er als erfahren. Das Flugzeug gehört einem Unternehmen seiner Firmengruppe.

Flug hatte ohne Anzeichen für Probleme begonnen

Um 14.57 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit hebt der Jet auf der Piste 20 des Flughafens Jerez ab. In der Kabine sitzen die Frau von Peter Griesemann, seine Tochter und deren Lebensgefährte. Das Ziel der Familie: der Flughafen Köln/Bonn. Gut eine halbe Stunde nach dem Start, gegen 15.13 Uhr, erreicht die Cessna 551 ihre Reiseflughöhe von 36.000 Fuß.

Karnevalist und Pilot Peter Griesemann | Bildquelle: WDR/Festkomitee Kölner Karneval

Zwölf Minuten später um 15.42 Uhr meldet Peter Griesemann sich bei der Flugsicherung in Madrid. Über Funk erklärt er dem zuständigen Lotsen auf Englisch, dass es ein Problem mit der Klimaanlage gäbe und er sofort die Reiseflughöhe verlassen und landen möchte. Im Original lautet sein Funkspruch: "There ist a problem with the air condition, request direct descending."

Der Lotse in Madrid fragt nach, wo Griesemann landen möchte. "Direct where please?" Sechs Sekunden später meldet Griesemann sich erneut und berichtet nun erstmals von Problemen mit dem Druckausgleich. Er bitte die Reiseflughöhe "schnell" verlassen zu dürfen (…"we request rapido descending.")

Funkkontakt bricht ab

Die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung vermerken in ihrem Zwischenbericht, dass während dieses Funkspruchs des Piloten deutliche Hintergrundgeräusche zu hören waren. Welche Art von Geräuschen die Flugsicherung in Madrid da aufgezeichnet hat und woher sie stammen, verraten die deutschen Unfallforscher nicht. Die spanischen Behörden hatten sich bisher nicht zu möglichen Vorfällen an Bord der Unglücksmaschine geäußert.

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Weitere Tonaufzeichnungen aus der Unglücksmaschine gibt es offenbar nicht. Die Cessna 551 verfügte weder über einen Voice-Recorder noch über eine Blackbox. Peter Griesemanns Funkspruch mit den deutlichen Hintergrundgeräuschen von 15.42 Uhr ist sein letztes Lebenszeichen. Alle weiteren Versuche der Flugsicherung, mit Griesemann Kontakt aufzunehmen, scheitern.

Bei einem Druckabfall bekommen Piloten und Passagiere an Bord von Flugzeugen Atemnot. Sie brauchen sofort Sauerstoff sonst werden sie ohnmächtig.

Sicherheitstechnik vorhanden

Aus dem Zwischenbericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung geht hervor, dass die Cessna 551 für den Notfall "Druckabfall in Cockpit und Kabine" mit Sicherheitstechnik ausgerüstet war. Die Maschine verfügte laut BFU über eine gesonderte Sauerstoffversorgung. Im Cockpit standen als feste Bestandteile der Sicherheitsausrüstung Sauerstoffmasken für den Pilot und einen möglichen Co-Piloten zur Verfügung. Auch für die Fluggäste in der Kabine waren Sauerstoffmasken vorhanden. Planmäßig reicht der Sauerstoff bei vier Personen an Bord fast zwei Stunden.

Als Pilot Griesemann die Flugsicherung in Madrid über den Druckabfall informiert, ist laut Sicherheitshandbuch also ausreichend Zeit, den nächsten Flughafen anzusteuern. Doch dazu kommt es nicht. Die Cessna 551 verlässt am Nachmittag des 4. September über Zentralspanien ihre Reiseflughöhe nicht und ändert auch ihren Kurs Richtung Nord-Ost nicht.

Französische Luftwaffe begleitet "Geistermaschine"

40 Minuten nach dem letzten Funkkontakt befindet sich die Cessna bereits im französischen Luftraum. Ein Jagdflugzeug der französischen Luftwaffe erreicht die "Geistermaschine" mit Peter Griesemann und den drei Mitgliedern seiner Familie an Bord. Die Piloten der französischen Alarmrotte können keine Beschädigungen an der Maschine feststellen. Sie sehen auch keine Aktivitäten an Bord.

Sie fotografieren die Cessna von allen Seiten und begleiten sie weiter bis in den deutschen Luftraum. Die Fotos der Franzosen hat die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung inzwischen ausgewertet. Die Experten erkennen auf den Fotos Peter Griesemann. Er befindet sich auf dem linken Sitz im Cockpit. Zu diesem Zeitpunkt ist er laut Bericht der Flugunfallexperten "handlungsunfähig". Ein Detail in ihrem Bericht erstaunt: Die Experten sehen auf den Fotos neben Peter Griesemann nämlich auch "seine an ihrem Platz im Cockpit hängende, unbenutzte Sauerstoffmaske."

Griesemann nutzte Sauerstoffmaske nicht

Die letzte bekannte Position der Cessna | Bildquelle: dpa

Trotz des Druckabfalls in der Kabine hatte der erfahrene Pilot die Maske also nicht aufgesetzt, es offenbar noch nicht einmal versucht. Dabei gibt es für den Fall "eines plötzlichen Druckabfalls in der Kabine" ein vom Hersteller der Cessna vorgeschriebenes Notverfahren. Die erste der vorgeschriebenen Maßnahmen lautet: Maske aufsetzen und Sauerstoff fließen lassen. Erst danach soll der Pilot Maßnahmen für eine Notlandung einleiten.

Als Pilot Griesemann um 15:42 per Funk die Flugsicherung in Madrid um eine Erlaubnis für die Notlandung bittet, hätte er laut Nofallvorschrift also bereits seine Sauerstoffmaske tragen müssen. Das war aber – so legt es der Bericht der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung nah – offenbar nicht der Fall. Griesemann setzte die Maske demnach nicht auf, obwohl er wissen musste, dass er wegen des Druckabfalls innerhalb kürzester Zeit ohnmächtig werden würde.  Seine Sauerstoffmaske blieb laut BFU "unbenutzt im Cockpit hängen." Warum versorgte er sich nicht mit dem lebensnotwendigen Sauerstoff?

Sauerstoffflasche bei Bergung gefunden

Ob die drei Passagiere in der Kabine ihre Masken nutzten und Sauerstoff bekamen, werden die deutschen Flugunfallexperten aus Braunschweig voraussichtlich nicht aufklären. Sie stellen klar, dass sie mit ihrer Untersuchung allein das Ziel verfolgen, künftige Unfälle und Störungen zu verhüten. "Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des Verschuldens (…)", schreiben sie am Ende des Zwischenberichts.

Um 19.45 schlägt die Cessna am 4. September vor der lettischen Küste auf dem Wasser der Ostsee auf. Sie zerschellt in Hunderte Teile. Einer der wenigen Gegenstände aus dem Flugzeug, den die Bergungsmannschaften sicherstellen konnten, ist die Sauerstoffflasche für die Notversorgung an Bord der Cessna 551. Ob die Flasche nach dem Druckabfall in dem Flugzeug genutzt wurde, um die Menschen an Bord mit Sauerstoff zu versorgen, wurde bislang nicht aufgeklärt.

Über dieses Thema berichten wir auch am 1. Dezember in der WDR Lokalzeit im Hörfunk.