Fast 120 Jahre wurden in den Pfenning Schuhmacher-Werken in Wuppertal hochwertige Knöpfe für die Textilindustrie hergestellt. Jetzt soll der prachtvolle Ziegelbau zu hippen Lofts umgebaut werden. In einer besonderen Aktion konnten jetzt Interessierte frei in der Fabrik herumlaufen und alles mitnehmen, was sie tragen können. Der Andrang war riesig.
Noch eine halbe Stunde bis sich die Tore öffnen. Hunderte Fahrzeuge verstopfen die engen Straßen rund um die Alte Knopffabrik in Wuppertal-Barmen. Nichts geht vor, nichts mehr zurück. Jeder zweite hier ist mit Transporter oder Anhänger angereist. Das Chaos ist perfekt.
Aus Essen, Remscheid, Leverkusen und dem Kreis Mettmann sind sie gekommen, um die Einladung zur Gratis-Trödeltour anzunehmen. Bürostühle, Regale, Schreibtische, Verpackungsmaterial. Alles umsonst. Der Eigentümer der Alten Knopffabrik, ein Krefelder Immobilienunternehmen, hat dazu eingeladen. Wohl nicht ganz uneigennützig. Schließlich muss alles, was nicht weggeht, anderweitig entsorgt werden.
Ein Paradies für Jäger und Sammler
Am Eingangstor drängeln sich Hunderte Menschen. Sophie Blasberg steht auf einem Stuhl und erklärt sicherheitshalber noch mal die Spielregeln. Sie ist für den Umbau der alten Fabrik zuständig. Mit einem solchen Ansturm hat sie nicht gerechnet. Deshalb bittet sie alle, in ruhigem Schritt den Fabrikhof zu überqueren und die Büros und Produktionshallen zu durchstöbern.
Mitgenommen werden darf alles, was nicht extra gekennzeichnet ist. Auf insgesamt viertausend Quadratmetern warten Hunderte Meter Schwerlastregale, Spinde, jede Menge Transportboxen, und vor allem Knöpfe. Nirgends zeigt sich besser als hier, dass der Mensch ein Jäger und Sammler ist. Nach kürzester Zeit bevölkern Karawanen schwer bepackter Menschen die engen Treppenhäuser.
Schrauben im Akkord
Vor allem im ersten Obergeschoss ist sprichwörtlich der Teufel los. Hier befindet sich das ehemalige Lager der Knopffabrik. Michi Grünewald und Kumpel Dennis Knopf, er heißt wirklich so, schrauben im Akkord Stahlregale auseinander, interessiert beobachtet von ihrem Hund Muck. Die Promenadenmischung hat es sich vor einer alten Stahltür gemütlich gemacht.
Die beiden Freunde wollen ihre Men‘s Cave, ihre Männerhöhle, aufrüsten. In der frönen sie typischen Männerleidenschaften, erzählen sie, etwa beim Billard. Auf der anderen Seite des Gangs öffnet Anna-Maja Lyko Pappschachteln mit Verschlussknöpfen, wie sie an Jeans und Jacken verwendet werden. Eigentlich ist sie Textilrestauratorin, die Knöpfe suche sie vor allem für private Zwecke. Die Orientierung fällt ihr schwer, meist stehen nur Nummern auf den vielen Schachteln.
Die großen Marken sind schon weg
An den Regalen finden sich Papptafeln mit der ehemaligen Kundschaft der Knopffabrik. Ob Cinque, Falke, Boss oder Bogner – das who is who der Modebranche kaufte hier einst ein. Bis die Fabrik 2021 ihren Betrieb einstellte, wegen Insolvenz. Ihre Knöpfe sucht man hier vergebens.
Noch am Vormittag hat ein Räumkommando sie massenweise aussortiert. Aus Wettbewerbsgründen müssen sie vernichtet werden. Schade, finden viele hier. Aber traurig sind sie nicht. Mit dem Rest lässt sich schließlich auch etwas anfangen, selbst mit den Rohlingen der Knöpfe. Mit denen, erzählen uns gleich mehrere Schnäppchenjäger, könne man noch prima Backgammon oder Dame spielen.
Das Gewusel ist enorm
Wer kann, klemmt sich bunte Transportkisten unter den Arm, die überall stapelweise herum liegen. In die lässt sich ja noch manch anderes hineinstopfen. Etwa praktische Faltschachteln, die als Verpackung für den Adventskalender dienen. Das spare richtig Geld, glaubt Claudia Afentakis. Sie hat zwar schon lange Arme vom Schleppen, aber noch lange nicht genug vom Stöbern.
Schließlich lagern auch noch jede Menge Rundstangen in den Fabrikationsräumen. Aus denen wurden früher die Rohlinge für die Knopfproduktion geschnitten. Jetzt will Künstlerin Samira sie für ihre Installationen verwenden. Dafür seien sie bestens geeignet, ist sie sich sicher. Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, dass viele auch Sachen herausschleppen, die sie dann in wenigen Wochen selbst auf den Müll stellen. Der Freude tut das heute keinen Abbruch.
Relikt der Textilhochburg
Den meisten genügt es, einfach etwas aus Wuppertals großer Textiltradition für sich selbst zu retten. Im neunzehnten Jahrhundert galt die Stadt als das deutsche Manchester, weltberühmt für ihre "Barmer Artikel" wie Litzen, Bänder und Kordeln, für Anzugstoffe oder Schnürsenkel.
Viele der traditionsreichen Fabriken wurden aufgegeben und nach und nach zu Lofts, Büros und Ateliers umgebaut. Mit dem Charme der Frühindustrialisierung lässt sich inzwischen auf anderem Wege Geld verdienen. Auch die Alte Knopffabrik ist so ein Beispiel. 1905 eröffneten die Pfenning Schuhmacher-Werke die Fabrikationsstätte mitten in einem Wohngebiet. Bald wird sie in Eigentumswohnungen umgebaut.
Ein letzter Besuch
Im Keller treffen wir auf Frank Sebold. Er ist der einzige, der hier nichts unterm Arm hat. Und ein wenig melancholisch schaut. 26 Jahre habe er in der Knopffabrik gearbeitet, als Einkäufer, erzählt er uns. Gerne wäre er dem Unternehmen bis zu seinem Ruhestand treu geblieben, doch die Insolvenz machte ihm einen Strich durch die Rechnung.
Jetzt will er ein letztes Mal die Räume durchstreifen. Vielen anderen gelingt das an diesem Tag nicht mehr. Inzwischen steht das Wuppertaler Ordnungsamt vor dem Tor. Niemand darf mehr rein. Und auch der geplante zweite Trödeltag fällt aus. Die Fabrik ist schon jetzt so so gut wie leer.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 20.11.2023 auch im Fernsehen in der WDR Lokalzeit Bergisches Land und im Radio auf WDR 2.