"Startchancen-Programm": Milliardenhilfe für Schulen im Brennpunkt

Stand: 02.02.2024, 16:41 Uhr

Gute Nachricht für Brennpunktschulen: Das lang erwartete, milliardenschwere "Startchancen-Programm" soll jetzt Schulen mit besonders vielen förderbedürftigen Kindern helfen.

Von Nina Magoley

Die letzte Pisa-Studie war schon ein Schock: 2022 schnitten deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht ab wie noch nie zuvor. Auch andere Untersuchungen diagnostizieren ein immer weiter absackendes Kompetenzniveau bei Schulkindern. Schon in der Grundschule scheitern demnach viele Kinder am Lesen, Schreiben oder Rechnen und schaffen später keinen Abschluss.

Lernerfolg anhängig vom Elternhaus

Der Erfolg eines Kindes in der Schule, auch das zeigen Studien, hängt hierzulande offenbar stark vom Elternhaus ab: Das Bildungsniveau oder der soziale Status etwa spielen dabei eine Rolle. Mit dem "Startchancen-Programm", das Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in Berlin vorstellte, soll das jetzt endlich anders werden.

Milliarden für bessere Bildung

Schulen in schwierigen sozialen Lagen sollen jetzt über das"Startchancen-Programm" Extrageld bekommen, um ihre Herausforderungen bewältigen zu können. Bis zu einer Milliarde Euro jährlich will der Bund aufbringen, die einzelnen Bundesländer wollen sich in gleicher Höhe beteiligen. Insgesamt geht es um rund 20 Milliarden Euro, die über einen Zeitraum von zehn Jahren an die betroffenen Schulen fließen sollen.

"Es besteht Handlungsdruck"

"Größtes Bildungsprojekt" seit jeher: Ministerin Stark-Watzinger | Bildquelle: WDR

Es sei das "größte und und langfristigste Bildungsprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik", sagte Stark-Watzinger. Die Herausforderungen seien groß, Pisa habe eindeutig gezeigt: "Es besteht Handlungsdruck, wir brauchen eine bildungspolitische Trendwende." Die müsse bei den Gundkompetenzen beginnen.

Das Programm ist Teil des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung. Darin heißt es: "Mit dem neuen Programm Startchancen wollen wir Kindern und Jugendlichen bessere Bildungschancen unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern ermöglichen." Etwa 4.000 Schulen und Berufsschulen könnten davon profitieren, sagte die Ministerin, zum Schuljahr 2024/25 soll das Programm an den Start gehen.

Wofür soll das Geld verwendet werden?

Das Programm besteht der Ministerin zufolge aus drei "Säulen, denen entprechend das Geld investiert werden soll:

  • 40 Prozent für Investitionen in "attraktive Lernorte", Möbel und Einrichtungen
  • 30 Prozent "Chancenbudget", um vor Ort "die richtigen Lösungen zu finden" - etwa mehr Förderunterricht in Basiskompetenzfächern wie Deutsch und Mathe, mehr konkrete Unterstützung für Schüler mit besonderem Bedarf
  • "Multiprofessionelle Teams": Mehr Schulsozialarbeit, IT-Betreuung in der Verwaltung, Logopädie und ähnliche Unterstützung, "damit Lehrer entlastet werden und wirklich unterrichten können".

Wie wie werden die Milliarden verteilt?

Wie viel Geld jedes Bundesland erhält, werde nach einem speziellen Schlüssel errechnet, sagte Stark-Watzinger. Unter anderem spielten diese Kriterien dabei eine Rolle:

  • zu 40 Prozent der jeweilige Anteil der Schüler mit Migrationshintergund
  • zu 40 Prozent die jeweilige Armutsgefährdungsquote
  • zu 20 Prozent ein negatives Bruttoinlandsprodukt

Bis zum Ende der Programmlaufzeit, so das ambitionierte Ziel, soll an den Startchancen-Schulen die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, halbiert werden. Bundesweit würden rund eine Million Schüler profitieren. Welche Schulen das Geld schließlich bekommen, sollen die Länder selber festlegen. Das soll nach einem "Sozialindex" entschieden werden, der den Unterstützungsbedarf schulscharf definiert.

Schulsozialindex in NRW hat sich verschlechtert

Mehr Geld für Sozialarbeit | Bildquelle: pa

Anders, als in vielen anderen Bundesländern, gibt es diesen Schulsozialindex in NRW bereits. Er definiert laut Schulministerium die "soziale Zusammensetzung" der Schülerinnen und Schüler an einer Schule. Ein Berechnungsfaktor ist dabei die Dichte der Sozialhilfeempfänger im Einzugsgebiet einer jeweiligen Schule. Außerdem eingerechnet wird der Anteil der Kinder mit vorwiegend nichtdeutscher Familiensprache und jener mit speziellem Förderbedarf beim Lernen und der emotionalen und sozialen Entwicklung.

Mehr Schulen mit sozialen Herausforderungen

Eingeteilt werden die Schulen nach diesem Index auf einer Skala von eins - niedrigste Belastung - bis neun - höchste Belastung. Von den 4.130 Grund-, Haupt und Realschulen und Gymnasien in NRW hatten zuletzt die meisten (970) den Index zwei. Insgesamt 618 Schulen aber bekamen den Index sieben, acht oder neun.

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SPD-Vorsitzende Esken: "Nötig wäre das Fünffache"

NRW werde rund 2,3 Milliarden Euro aus dem Programm bekommen, sagte NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) am Freitag dem WDR. Das sei "eine große Chance" für NRW, "wir werden davon groß profitieren". Rund 900 Schulen könnten von dem Geld gefördert werden, knapp zwei Drittel soll an Grundschulen gehen. Lehrkräfte bekämen "ein Stück weit Freiheit", man habe außerdem verabredet, das Programm im Lauf der zehn Jahre auf seine Wirksamkeit hin zu kontrollieren.

Bis zum Frühjahr sollen bereits 400 Schulen für die Förderung ausgewählt sein. Weitere würden dann 2025 ins "Startchancen-Programm" aufgenommen.

NRW profitiere davon, dass es hierzulande bereits einen Schulsozialindex gibt. Jetzt müssten die entsprechenden Schulen "in herausfordernden Lagen" ausgewählt werden. Das solle in Zusammenarbeit mit den Bezirksregierungen und den Kommunalen Spitzenverbänden geschehen. Die Schulen mit erhöhtem Sozialindex bekämen entsprechende Förderung.

Städtetag mahnt: Kommunen mit einbeziehen!

Der Deutsche Städtetag mahnt bei der Auswahl zur Eile, "denn der Zeitplan ist eng", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy: Schon in knapp vier Monaten soll die Liste der deutschlandweit 4.000 geförderten Schulen stehen. "Bei dieser Entscheidung müssen die Kommunen dringend mit an den Tisch", so Dedy weiter, die Städte wüssten "sehr genau, wo der Schuh vor Ort drückt".

Die SPD-Vorsitzende auf Bundesebene, Saskia Esken, kritisierte die jetzt beschlossenen Summen als zu gering. Nötig sei das Fünffache, sagte Esken dem "Handelsblatt" am Freitag. Statt zwei Milliarden Euro von Bund und Länder zusammen müssten es laut Esken zehn Milliarden pro Jahr sein.

Quellen:

  • Bundespressekonferenz
  • Nachrichtenagentur dpa
  • Schulministerium NRW
  • WDR-Interview Schulministerin Feller