"Es herrscht Überfüllung, Unruhe, aber auch Angst", sagt Birgit Naujoks über die Zustände in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes. Zeitweise müssten Betten in die Mensen der Unterkünfte gestellt werden, so die Geschäftsführerin des NRW-Flüchtlingrates.
Vor allem die Lage in den sieben Notunterkünften des Landes sei prekär. Meist würden die Menschen in Zelten leben, die teilweise undicht seien. Frauen würden sich nicht in die sanitären Einrichtungen trauen, Kinder hätten selten einen ausreichenden Zugang zu Bildungseinrichtungen. Die Psychotherapeutin Eva van Keuk berichtet von einem Mann, der retraumatisiert wurde, weil er nach ein paar Wochen in eine Notunterkunft verlegt wurde.
"Es macht Menschen kaputt"
In NRW sind aktuell um die 29.000 Plätze in den Landesunterkünften, die belegt werden können - verteilt auf mehrere Standorte. Nach dem Start der schwarz-grünen Landesregierung im Sommer 2022 kündigte Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) an, die Plätze auf 34.000 zu erhöhen.
Naujoks sagte, man habe schon mal mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen als heute. Trotzdem würden die rechtlichen Standards unterlaufen. "Es macht die Menschen kaputt", sagt sie. Eine Besserung sei aber nicht in Sicht. Die im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen angekündigte Verkürzung der Aufenhaltsdauer in den Einrichtungen von 24 auf sechs Monate sei nicht in Sicht, so Najoks.
"Allianz der Konstruktiven" gewünscht
Man brauche jetzt einen echten politischen Willen, eine sogenannte "Allianz der Konstruktiven", forderte Eva van Keuk. Es brauche zum Beispiel mehr Geld für Dolmetscher und Dolmetscherinnen. Eine weitere Abschottung würde zudem nur den Schlepperorganisationen für illegale Migration nützen.
Der Flüchtlingsrat hat wegen der aus seiner Sicht schlechten Zustände in den EInrichtungen einen Brief an Flüchtlingsministerin Paul geschrieben. Man halte den Weg, den sie zur Entlastung der Kommunen eingeschlagen hat für falsch, so Najoks. Man würde sich über eine Rückkehr zu einer "grünen Flüchtlingpolitik" freuen.
In ihrer Antwort - die dem WDR vorliegt - schreibt die Ministerin, dass sie zeitnah ein persönliches Gespräch mit den Organisationen der Flüchtlingshilfe führen wolle. "Mir ist bewusst, dass die aktuelle Situation auf ganz unterschiedliche Art und Weise sehr herausfordernd ist", schreibt Paul in dem Papier.
Opposition sieht berechtigte Kritik
Die SPD-Opposition im Landtag zeigt sich wenig verwundert von der Kritik des Flüchtlingsrates. "Die Zahl der Menschen, die hier Schutz suchen, steigt nicht erst seit gestern, aber trotzdem sind Unterkünfte oft noch provisorisch organisiert", sagt die stellvertretende Fraktionschefin Lisa Kapteinat. Schwarz-Grün versäume es, die Zahl der Plätze mit ausreichenden Standards zu erhöhen. "Mangelnde Privatsphäre über Monate hinweg gepaart mit Langeweile und Existenzsorgen ist für eine gute Integration alle andere als förderlich", so Kapteinat weiter.
Noch deutlicher wird Kapteinats Amtskollege von der FDP. Die Migrationspolitik von CDU und Grünen in NRW grenze an Arbeitsverweigerung, sagt Marc Lürbke. "Ministerin Paul wirkt überfordert und rennt den eigenen Ansprüchen bei den Landesunterkünften nur hinterher", so der Freidemokrat weiter.