Mallorca-Affäre: Wüst muss von ungenauen Angaben seiner Umweltministerin gewusst haben

Stand: 22.04.2022, 19:42 Uhr

Die Ex-Umweltministerin Heinen-Esser hat im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe mehrfach nicht die Wahrheit gesagt. Und Ministerpräsident Wüst muss das noch vor ihrem Rücktritt gewusst haben.

Von Nina Magoley

Die Vernehmung begann mit Tränen: Nach einer längeren Eingangsrede, in der die zurückgetretene Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) noch einmal die fraglichen Abläufe rund um ihren Urlaub nach der Flut darlegen wollte, kam die 56-Jährige schluchzend auf die neueste Entwicklung der "Mallorca-Affäre" zu sprechen: Dass deswegen jetzt sogar "persönliche Freunde" und auch ihre Tochter angegriffen würden, täte ihr leid.

Fast drei Stunden lang musste sich Heinen-Esser am Freitag noch einmal vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) des Landtags zur Hochwasserkatastrophe im vergangenen Sommer befragen lassen. Nach ihr stand noch Nathanael Liminski, der Chef der Staatskanzlei, den Abgeordneten für Fragen zur Verfügung. Liminski ist der engste Mitarbeiter des Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) und war das auch schon für den vorherigen Ministerpräsidenten Armin Laschet.

Wann genau wusste Wüst Bescheid?

Mittlerweile ist klar: Nicht nur sah sich die damalige NRW-Umweltministerin zu einem Zeitpunkt, als viele Menschen in NRW mit den Folgen der Flutkatastrophe kämpften, nicht dazu veranlasst, ihren Mallorca-Urlaub deswegen abzukürzen. Sie ließ auch die meisten ihrer Kabinettskollegen im Unklaren darüber, dass sie noch neun Tage auf der Ferieninsel blieb und machte darüber später dem PUA falsche Angaben.

Und auch das ist nun klar: Bevor Heinen-Essers Abendessen mit den Kabinettskollegen durch Zeitungsberichte ans Tageslicht kam, muss Ministerpräsident Wüst mindestens einen Tag lang davon gewusst haben.

Chef der Staatskanzlei: Nathanael Liminski | Bildquelle: WDR

Diesen Schluss jedenfalls legen die Äußerungen des Staatskanzleichefs Liminski nahe. Liminski kann sich zwar nicht genau erinnern, will aber "irgendwann Ende März, Anfang April" mit seinem Chef über den längeren Aufenthalt von Heinen-Esser auf Mallorca gesprochen haben. Wüst hatte sich am 29. März noch hinter die damalige Ministerin gestellt. Auch von dem Abendessen habe Wüst vor der Berichterstattung durch den "Kölner Stadtanzeiger" gewusst.

Zur Erinnerung: Nach der Flut am 13. Juli 2021 hatte die damalige Umweltministerin ihren Mallorca-Urlaub nur kurz unterbrochen, um nach NRW zu kommen: Am 15. Juli flog sie nach Deutschland, am 16. Juli saß sie schon wieder im Flieger nach Mallorca. Da drohte gerade die Steinbach-Talsperre bei Euskirchen zu bersten - was eine weitere Katastrophe verursacht hätte. Der Untersuchungsausschuss legte Heinen-Esser eine Email ihres Mitarbeiters vor, der sie am selben Tag darüber informiert hatte.

Heinen-Essers unscharfe Erinnerungen

Bei der ersten Vernehmung hatte sie noch behauptet, bis zum 17. Juli in NRW geblieben zu sein. Später erklärte Heinen-Esser, sie sei nach Mallorca zurückgekehrt, um ihre jugendliche Tochter und deren Freunde aus der Ferienwohnung abzuholen. "Meinem Mann konnte und wollte ich die Betreuung nicht zumuten", erklärte sie dazu. Erst Monate später kam heraus, dass sie vor dem Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt hatte.

Heinen-Esser musste sich in der Befragung für eine weitere, schwer erklärliche Datums-Panne immer wieder rechtfertigen: In einem Schreiben an den "lieben Armin" Laschet, damals noch NRW-Ministerpräsident, hatte sie angekündigt, Urlaub vom 14. bis zum 21. Juli 2021 zu nehmen. Ihre Vertretung übernehme in dieser Zeit Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU). Von Hand unterschrieben mit "Deine Ulla". Tatsächlich aber war der Urlaub - inklusive einer Geburtstagsfeier für den Ehemann am 23. Juli - bis zum 25. Juli geplant. "Man vergisst doch nicht den Geburtstag des eigenen Ehepartners", wunderte sich der Grüne Johannes Remmel - auch er einst NRW-Umweltminister - bei der Befragung.

Der Fehler sei ihr einfach nicht aufgefallen, wiederholte Heinen-Esser vor dem PUA immer wieder. Aber sie hatte auch nicht für Klarstellung gesorgt, als bei der ersten Vernehmung am 25. Februar 2022 immer noch davon die Rede war, dass sie den Urlaub am 21. Juli beendete hätte. Ebenso wenig, dass sie bereits am 16. Juli nach Mallorca zurück flog. Heinen-Esser unterschrieb sogar das PUA-Vernehmungsprotokoll, in dem sie zweimal falsche Datumsangaben gemacht hatte.

Umweltministerium zeitweise unbesetzt

Die Wahrheit erfuhren die Ausschussmitglieder erst am 24. März dieses Jahres aus der Zeitung, als die Ministerin in einem Interview mit der "Rheinischen Post" zugab, nach der Hochwasserkatastrophe noch ganze neun statt vier Tage auf Mallorca geweilt zu haben. Kurz darauf berichtete der Kölner Stadtanzeiger von der Geburtstagsparty - bei der auch NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU), Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) und die damalige Integrationsstaatssekretärin und heutige Bundestagsabgeordnete Serap Güler (CDU) zugegen waren.

Immer wieder beteuerte die Ex-Ministerin, dass sie auf Mallorca "voll arbeitsfähig", immer erreichbar und technisch genauso ausgestattet gewesen sei wie im Ministerium in Düsseldorf. In den zwei Tagen ihres Aufenthalts in NRW habe sie die Entsorgung der Unmengen von Flut-Müll "sehr erfolgreich" auf den Weg gebracht - "darin sah ich meine Aufgabe". Von einer Fahrt ins Flutgebiet hätten ihr alle Mitarbeiter ohnehin vehement abgeraten.

So sei sie dann am 16. Juli wieder nach Palma de Mallorca geflogen - um den Urlaub wie geplant bis zum Ende dort zu verbringen. Ob und welche Emails sie in dieser Zeit im Rahmen ihrer Arbeit verschickt hat, will der PUA noch von Heinen-Esser wissen. Eine Videokonferenz mit betroffenen Landräten und Bürgermeistern am 21. Juli fand indessen ohne die Umweltministerin statt - wegen technischer Schwierigkeiten.

"Moralischer Fehler"

Bei der Hochwasserkatastrophe starben 190 Menschen - allein in NRW kamen 49 ums Leben. Zahlreiche Orte und Dörfer entlang der betroffenen Flüsse wurden verwüstet oder ganz zerstört, zehntausende Menschen verloren ihr Zuhause. Der geschätzte Schaden liegt bei 13 Milliarden Euro.

Sie habe einen "moralischen Fehler" gemacht, sagte Heinen-Esser, "fachlich aber habe ich mir nichts vorzuwerfen". Bekräftigt hätte sie auch die Erkenntnis, dass es für ihr Ministerium schon wenige Tage nach der Flutkatastrophe wieder um Themen wie Borkenkäfer, Brände oder Vogelnistgebiete gegangen sei. Das Umweltministerium ist zuständig für Hochwasserwarnungen.

Es war der vorletzte Sitzungstag des Untersuchungsausschusses Hochwasserkatastrophe. Ein weiterer Termin ist für den 6. Mai anberaumt. Ob es nach der Landtagswahl eine Fortsetzung geben wird, ist noch offen.

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 22.04.2022 auch im Fernsehen: WDR Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.