Debatte zur Gasversorgung: Parteien im Landtag suchen nach neuen Rollen

Stand: 30.06.2022, 12:54 Uhr

Auf Antrag der SPD und der AfD hat sich der NRW-Landtag mit der Energiesicherheit befasst. Dabei ließen die Parteien neue Töne anklingen - was ihre neuen Rollen betrifft, wie auch das Miteinander.

Von Sabine Tenta

Die neue Landesregierung ist noch nicht mal seit 24 Stunden im Amt, da wurde sie am Donnerstag sie mit einer komplexen Debatte im Landtag herausgefordert: SPD und AfD setzten das Thema Gasversorgung auf die Tagesordnung. Gelegenheit, die unterschiedlichen energiepolitischen Lösungsvorschläge von Regierung und Opposition zu präsentieren - und sich in neuen Rollen zurechtzufinden. Dabei wurden auch Töne angeschlagen, die ahnen lassen, welche Strategien die Parteien verfolgen. Und etwas Neues zeichnet sich ab im Parlament.

AfD hat ihr Klimathema gefunden

Die Debatte wurde von der AfD eröffnet. Ihr Abgeordneter Christian Loose schlug einen inhaltlich wie geografisch sehr weiten Bogen. Der Landesregierung hielt er vor vor, dass "der erzwungene Bau von Fotovoltaik" nicht Kindern helfe, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Was dies mit dem Ausbau der Erneuerbaren in NRW zu tun hat, blieb offen. Konkreter wurden seine Vorschläge zur Energieversorgung: Es müsse mit Putin verhandelt werden: Man müsse ihm die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 anbieten, wenn es einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg gebe. Alle Atomkraftwerke müssten weiterbetrieben werden und die Abschaltung von Kohlekraftwerken sei umgehend zurückzunehmen.

Loose kritisierte scharf, dass Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in seiner ersten Rede unmittelbar nach seiner Wiederwahl am Dienstag, die Klimapolitik als wichtigstes Thema bezeichnete. Dann sprach er von "Denkverboten" und einer "höchst bedenklichen Entwicklung" und beschwor DDR-Zustände herauf.

FAZIT: Die AfD hat mit ihrer Fundamental-Opposition gegen das, was Loose "den Weg zur totalen Klimaneutralität" nennt, wohl eine Stoßrichtung und eine Tonlage gefunden, die künftig häufiger zu hören sein dürfte. Die Partei wird wohl weiterhin Argumente präsentieren, die einer eigenwilligen Logik folgen. Das Beschwören angeblicher "Denkverbote" in einer öffentlichen Debatte im Landtag widerlegt sich selbst und zeigt, dass die AfD sich wohl weiterhin als Opfer stilisieren wird.

SPD will sich als soziales Gewissen profilieren

Der SPD-Abgeordnete Alexander Vogt fragte die junge Landesregierung direkt, was sie zu tun beabsichtige und bemängelte, dass es noch keinen einzigen Antrag der Regierungsfraktionen zur Lösung der Energieprobleme gebe. Dann lobte er die von Bundeskanzler Scholz (SPD) geführte Bundesregierung und Sozialminister Heil (SPD) und führte aus, welche dramatischen Auswirkungen ein Kappen der Gasversorgung für die 440.000 Beschäftigten der energieintensiven Industrie in NRW hätte, die 40 Prozent des Gases im Land verbraucht: "Wir fordern einen Plan der Landesregierung, der alle Menschen in den Blick nimmt und nicht nur die Besserverdienenden."

FAZIT: Die SPD wird als Oppositionspartei wohl weiter versuchen, die schwarz-grüne Landesregierung über das Thema soziale Gerechtigkeit zu stellen. Und es zeichnet sich ab, dass es nicht einfach wird, die Bundesregierung, in der die SPD mit den Grünen und der FDP regiert, zu loben und gleichzeitig die Grünen in der Landesregierung zu kritisieren.

CDU lobt Vorgängerregierung, also sich selbst

Der CDU-Abgeordnete Christian Untrieser ließ sich in seiner Rede viel Zeit, die Schrecken des Ukraine-Krieges zu schildern und die große Hilfs- und Spendenbereitschaft der Bevölkerung zu loben. Da die CDU bereits die letzte Regierung angeführt hatte, kann er zur Sache mit Eigenlob aufwarten und betonen, dass die Landesregierung vorgesorgt hat. Da hat auch noch ein dezidierter Dank an den alten Koalitionspartner FDP und dessen Wirtschaftsminister Pinkwart Platz. Mit dem rhetorischen Kniff, der SPD-Abgeordnete Vogt habe wohl den Koalitionsvertrag nicht richtig gelesen, fasste er dessen Kernaussagen zusammen. In der Sache also wenig Neues.

FAZIT: Die CDU kann aus der Position einer erfahrenen Regierungspartei starten.

FDP sorgt sich um Mittelstand

Der neue FDP-Fraktionsvorsitzende Henning Höne kritisierte die Abhängigkeit von russischem Gas, die Deutschland erpressbar gemacht habe. Das sei das Ergebnis von 16 Jahren Energie- und Außenpolitik von Angela Merkel, kritisierte Höne. Dass die Liberalen zwischen 2009 und 2013 in der Koalition mit CDU/CSU den Außen- und Wirtschaftsminister stellten, erwähnte Höne nicht.

Man dürfe den Mittelstand nicht vergessen. Dessen Unternehmen befürchteten mit ihrem Gasbedarf zwischen Privathaushalten und Großkonzernen den Kürzeren zu ziehen, mahnte Höne. Er regte eine Diskussion über die Nutzung der Atomkraft an und forderte zwei konkrete Maßnahmen: Gas einsparen und schneller werden bei der Planung und Genehmigung von LNG-Terminals. Zudem müssten die Erneuerbaren Energien ausgebaut werden. "Die Ampel tut es", die Landesregierung plane es, die FDP werde dabei gerne mitmachen.

FAZIT: Auch die neue Oppositionspartei FDP ist zu ähnlichen rhetorischen Verrenkungen gezwungen, wie die SPD. Sie ist Teil der Bundesregierung und wird künftig die Regierungsarbeit eines Koalitionspartners der Ampel, nämlich der Grünen, kritisch begleiten.

Grüne: Neubaur lädt zur Gemeinsamkeit ein

Erste Rede von Mona Neubaur im Landtag | Bildquelle: dpa / Marius Becker

Nachdem für die Fraktion der Grünen die Abgeordnete Wiebke Brems Fracking und Atomkraft eine klare Absage erteilt hatte, hielt Mona Neubaur als Wirtschaft- und Energie-Ministerin ihre erste Rede im NRW-Landtag. Sie startete mit einer großen Umarmung, lobte die Opposition dafür, das Thema auf die Tagesordnung gesetzt zu haben und bekannte, die Befürchtungen und Sorgen grundsätzlich zu teilen. Sie lobte den Bundeswirtschaftsminister, ihren Parteikollegen Habeck, für die Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas. Das sei "das deutliche politische Signal, dass die Lage ernst ist, aber stabil". Mit einem Satz schafft es Neubaur, die Handlungsnotwendigkeit zu zeigen UND beruhigend zu wirken.

Als konkrete Maßnahmen, die nun forciert werden müssten, nannte Neubaur die Gasreduktion im Stromsektor, ein schneller "Fuelswitch" in der Industrie, die schnellstmögliche Inbetriebnahme von LNG-Terminals sowie Einsparungen bei der Wärmeversorgung in Gebäuden. Das gelte auch für die Landesverwaltung. Da eine Versechsfachung der Gaspreise drohe, kündigte die Ministerin "einen fairen Lastenausgleich für die Menschen an", ohne hier jedoch konkreter zu werden. Neubar endete ihre Rede mit einem Appell an alle Parteien: "Helfen Sie mit, mein Ministerium und ich stehen mit großem Engagement zur Verfügung."

FAZIT: Die von Ministerpräsident Hendrik Wüst ausgerufene neue "Kultur des Dialogs" verfolgt offenbar auch Neubaur. Vielleicht entsteht mit dem Aufbrechen der alten Lager und durch die erste schwarz-grüne Landesregierung in NRW ja wirklich eine neue politische Kultur. Die Töne der Oppositionsparteien FDP und SPD in der Debatte am Donnerstag lassen darauf hoffen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Höne sagte: "Es müssen alle raus aus der parteipolitischen Komfortzone" und auch Alexander Vogt (SPD) machte der Regierung "das Angebot, mit guten Ideen mitzuwirken".

Kurzum: Das ist ein hoffnungsvoller Auftakt des neuen Landtags in Zeiten von Klima-Krise und Ukraine-Krieg. Beide führen zu großen Probleme, die besser im übergreifenden Konsens gelöst werden als im parteipolitischen Kleinklein.