Düsseldorf im Juli 2022: Nicht einmal ein Monat war vergangen, seitdem Benjamin Limbach zum Landesjustizminister vereidigt worden war, als er sich zum Abendessen verabredete. Er kannte Katharina Jestaedt schon lange, mehrfach hatten sich ihre beruflichen Wege gekreuzt.
Beide lernten sich laut Limbach 1999 beim Verwaltungsgericht kennen. Wie Jestaedt war auch Limbach später Büroleiter des Justizministers in NRW. Während Jestaedt das Büro der Ministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) leitete, übernahm Limbach den Job im Anschluss unter dem Sozialdemokraten Thomas Kutschaty. Sowohl Jestaedt als auch Limbach, beide Jahrgang 1969, haben zeitgleich in Bonn Jura studiert und leben auch heute beide in Bonn.
Zwei Gerichte stoppen Neubesetzung für das OVG
Beim Dinner sollen die beiden nicht nur über Vergangenes gesprochen haben, auch die Zukunft soll Thema gewesen sein. Genauer: Jestaedts berufliche Zukunft. So zumindest hat es Limbach später geschildert. Demnach sollen sie an jenem Juli-Abend auch über einen vakanten Posten gesprochen haben: den des Präsidenten am Oberverwaltungsgericht in Münster. Das höchste Richteramt, das das Verwaltungsrecht in NRW zu bieten hat.
Ein Jahr später sollte Jestaedt den einflussreichen Posten tatsächlich bekommen – ehe das Verwaltungsgericht Münster ihre Berufung plötzlich stoppte. Mit Beschluss vom 28. September 2023 untersagte das Gericht vorerst, das Amt an Jestaedt zu übergeben. Denn das, was nach dem gemeinsamen Abendessen folgte, bezeichneten die Richter in Münster als "rechtswidrig" und "manipulativ".
Jestaedt hatte sich nach dem Abendessen tatsächlich für den Posten beworben. Limbach wiederum hat seiner Duz-Bekannten eine sogenannte Überbeurteilung ausgestellt und ihr somit die Chance auf das Amt überhaupt erst ermöglicht.
Anderen Bewerbern soll Limbach abgeraten haben
Außerdem kam am vergangenen Donnerstag noch heraus, dass Limbach zwei anderen Bewerbern auf den Richterposten in persönlichen Gesprächen geraten hat, auf eine Bewerbung zu verzichten. Limbach räumte die Gespräche ein, bestritt gegenüber dem WDR aber, die Bewerber zu einem Rückzug gedrängt zu haben. Die beiden hätten selber um die Gespräche mit ihm gebeten.
Das Verwaltungsgericht in Münster kam jedenfalls zu dem Schluss, dass Limbach zu der Überbeurteilung für Jestaedt nicht befugt gewesen sei – und untersagte vorerst, den Posten an sie zu vergeben. Zu einer ähnlichen Bewertung kam das Verwaltungsgericht Düsseldorf später, vor dem einer der Bewerber geklagt hatte. "Dem Minister der Justiz fehlte die Zuständigkeit für die Überbeurteilung der nicht in seinem Geschäftsbereich tätigen Bewerberin." Die Düsseldorfer Richter sahen immerhin keine Manipulation.
Abendessen nicht im Dienstkalender vermerkt
Wenige Tage nach dem Münsteraner Beschluss, Anfang Oktober, musste sich Limbach vor dem Rechtsausschuss des Landtags den bohrenden Fragen der Abgeordneten stellen. Der Justizminister widersprach den Gerichtsentscheidungen. Seit Februar 2022 sei die Überbewertung möglich. Sein Ministerium habe gegen den Beschluss Einspruch eingelegt. Derzeit liegt die Causa beim Oberverwaltungsgericht.
Der Minister machte Erinnerungslücken geltend, als es um die Frage ging, auf wessen Initiative das Abendessen zustande gekommen sei. Recherchen des WDR zeigen: Über einen offiziellen Weg ist das Dinner jedenfalls nicht vereinbart worden. Im Ministerbüro lägen keine Unterlagen zu einer Kommunikation vor, hieß auf Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz aus dem Justizministerium. Es bleibt damit ungeklärt, auf welchem Weg sich die beiden verabredeten.
Limbach bestreitet ein "Näheverhältnis"
Im Rechtsausschuss darauf angesprochen, wie gut Limbach Jestaedt persönlich kenne, antwortete der Minister im Oktober, er duze nicht nur sie, sondern auch einen der anderen Bewerber. Er bestritt ein "Näheverhältnis" zu seiner Favoritin für den Richterposten und wiederholte dies jetzt auch nochmal auf Anfrage: "Es gab und gibt kein privates oder freundschaftliches Verhältnis zu der Kandidatin." Und Limbach fügte hinzu: "Weder von mir noch von meiner Frau."
Doch wie nah muss ein Verhältnis sein, damit es ein "Näheverhältnis" ist? Neben ihren beruflichen Überschneidungen eint Limbach und Jestaedt auch eine Verbindung zur Katholischen Kirche. Jestaedt wechselte nach ihrer Zeit im Justizministerium 2011 nach Berlin, um als Cheflobbyistin der Katholischen Kirche zu arbeiten. Neun Jahre später kehrte sie nach NRW zurück, allerdings nicht ins das Justiz- sondern in das Innenministerium unter Herbert Reul (CDU), wo sie die Abteilung für Cybersicherheit leitet.
Verbindungen über kirchliches Engagement
Limbach wiederum besuchte das katholische Aloisiuskolleg in Bonn, war Ministrant und Oberministrant. In einem Steckbrief gab er an, in eine "katholisch-konservative Familie" eingeheiratet zu haben. Tatsächlich engagiert sich seine Ehefrau als Vorständin im katholischen Hildegardis-Verein, der unter anderem Mentorinnen-Programme für weibliche Führungskräfte in der Katholischen Kirche anbietet. Eine der Mentorinnen des Jahres 2019: Katharina Jestaedt.
Auf Nachfrage erklärt das Justizministerium, Limbachs Ehefrau und Jestaedt seien sich im Hildegardis-Verein nicht begegnet. Aber: Beide Juristinnen hätten sich während ihrer Referendariatszeit am Landgericht Bonn kennengelernt. Sie seien jedoch "nicht befreundet". Jestaedt wollte sich am Telefon dazu nicht äußern, ließ auch schriftliche Anfragen unbeantwortet.
Am kommenden Dienstag wird sich Justizminister Limbach zu den Vorgängen ein weiteres Mal im Landtag in Düsseldorf äußern müssen. Mehrere Abgeordnete der Opposition werfen ihm inzwischen vor, ihnen im Justizausschuss nicht die Wahrheit gesagt zu haben.