Für viele Eltern in Nordrhein-Westfalen ist die Schulpolitik maßgeblich für ihre Wahlentscheidung. Eine aktuelle Befragung der Landeselternschaft Gymnasien, die dem WDR exklusiv vorliegt, zeigt: 39 Prozent der Befragten wollen von der Schulpolitik abhängig machen, wem sie ihre Stimme geben. Fast 19.000 Personen haben daran teilgenommen.
Mutter Silvia Schwick aus Neuss war bei der letzten Landtagswahl 2017 von der Schulpolitik genervt. Doch auch jetzt ist sie nicht richtig zufrieden.
Turbo-Abi abgeschafft
Die Rückkehr zu G9, also zu einem Jahr mehr Schulzeit bis zum Abitur am Gymnasium, fand Silvia Schwick positiv. Ihren Sohn habe sie nur wegen der verlängerten Schulzeit am Gymnasium anmelden können. Nun aber kritisiert Schwick, dass die Schulen zu spät mit den Vorbereitungen auf die zusätzlichen Klassen beginnen. „Mir fehlt ein bisschen die Fantasie, ob wir das auch pünktlich schaffen, dann die Räume zur Verfügung zu haben.“
Inklusion eingebremst
Schulministerin Yvonne Gebauer wollte bei der Inklusion, einem Lieblingsthema ihrer grünen Vorgängerin Sylvia Löhrmann, auf die Bremse zu treten. „Mein erstes Anliegen war, die Förderschulen zu retten“, so Gebauer. Das ist ihr gelungen. Rot-Grün wollte Förderschulen abschaffen: Kinder mit Beeinträchtigungen sollten gemeinsam mit allen Regelschulen besuchen. Die Grünen halten Gebauers Politik für eine Rückabwicklung der Inklusion.
Unterrichtsgarantie nicht eingelöst
Mit dem Koalitionsvertrag hatten CDU und FDP eine Unterrichtsgarantie gegeben. Heute bedauert die Schulministerin das. Dazu brauche es auskömmlich Lehrkräfte, sagt Gebauer. „Und da war die Situation desaströser, als bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages angenommen“, rechtfertigt sich die liberale Ministerin.
Tatsächlich hat Gebauer von ihrer Vorgängerin knapp 3000 unbesetzte Lehrerstellen übernommen. In den letzten Jahren wurden zwar neue Stellen geschaffen. Doch inzwischen fehlen mehr als 5000 Lehrkräfte, um diese Stellen zu besetzen.
Weiterhin ungleiche Lehrerbesoldung
Besonders groß ist der Mangel bei den Grundschullehrkräften. Auch zusätzliche Studienplätze konnten kurzfristig nichts daran ändern. Bisher werden Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen schlechter bezahlt als die an Gymnasien.
Die Opposition fordert seit langem eine gleiche Einstiegsbesoldung für alle Lehrkräfte. „Die entsprechende Lehrerausbildung ist jetzt gleich lang und es ist eine Frage der Wertschätzung für die Arbeit in Grundschulen“, so Sigrid Beer, die schulpolitische Sprecherin der Grünen in NRW.
Schulministerin Gebauer hatte die finanzielle Gleichstellung zwar immer wieder angekündigt, konnte sich aber beim Koalitionspartner CDU nicht durchsetzen. Für die Zeit nach der Wahl versprechen es jetzt aber auch CDU und FDP in ihren Wahlprogrammen.
Genervte Eltern und Lehrer in der Pandemie
„Es hätte besser laufen können“, übt Schulministerin Gebauer zumindest ein bisschen Selbstkritik an ihrem Krisenmanagement und ihrer Kommunikation. Tatsächlich hatte sie viele Eltern und Lehrkräfte durch kurzfristige Maßnahmen verärgert. Im Nachhinein bewerten immerhin zwei Drittel der Eltern in der aktuellen Befragung die Maskenpflicht und die Testungen als „im Großen und Ganzen im richtigen Maße eingesetzt.“ Mehr als die Hälfte kritisiert allerdings, es gebe weiterhin zu wenig Luftfilter.
Digitalisierung – zu spät und lückenhaft
Als mit dem Lockdown im März 2020 die Schulen im Land komplett geschlossen wurden, waren sie auf digitalen Unterricht nicht vorbereitet. Erst die Pandemie habe die Digitalisierung der Schulen stark beschleunigt, bilanzieren die Grünen. Aber es gebe große Baustellen, die weitergeführt werden müssen, so Sigrid Beer.
Inzwischen sind alle Lehrkräfte mit Dienstgeräten ausgestattet und für Schülerinnen und Schüler aus einkommensschwachen Familien gibt es auch Tablets. „Aber noch immer gebe es Probleme mit dem WLAN an der Schule“, so Mutter Silvia Schwick. Und Vater Uwe Kürsten aus Neuss fragt, wer sich eigentlich um die Geräte kümmert und alles koordiniert.
Rangiert bei der Landtagswahl Krieg vor Bildung?
Schulministerin Yvonne Gebauer hofft tatsächlich, dass der Krieg in der Ukraine und die steigenden Preise die Schulpolitik bei der Landtagswahl in den Hintergrund drängen. Die Angst vor einem dritten Weltkrieg sei schon etwas anderes, was die Menschen momentan bewegt als vorrangig die Bildungspolitik, so Gebauer im WDR-Interview.
Der Vorsitzende des Gesamtschulverbandes GGG in NRW, Andreas Tempel sieht das ganz anders: „Ich glaube, dass Schulpolitik wahlentscheidend sein wird. Es ist wieder Kampfzone, weil eben gerade in der Pandemie vieles nicht richtig gut gelaufen ist.“
Wer von beiden recht hat, entscheidet sich am 15. Mai.