Landtagsdebatte: Ist Reuls Brandbrief eine "Bankrotterklärung" oder "Fürsorgepflicht"?

Stand: 10.03.2023, 12:40 Uhr

Innenminister Reul warnte in einem Brandbrief das Kabinett, die Bezirksregierungen seien überlastet. Im Landtag gab es dazu einige Vorschläge der Fraktionen, was Abhilfe schaffen könnte.

Von Sabine Tenta

Auf Antrag der SPD debattierte am Freitag der NRW-Landtag in einer Aktuellen Stunde über die Belastungen des Personals in den fünf Bezirksregierungen des Landes. Anlass war ein Brandbrief von Innenminister Herbert Reul (CDU) an seine Kabinetts-Kolleginnen und -Kollegen. Reul, Chef der Landesbediensteten, warnt eindringlich davor, dass die Überlastung in den Mittelbehörden dazu führt, dass Arbeit liegen bleiben muss oder nicht angemessen erledigt wird.

In drei Punkten waren sich in der Debatte alle Fraktionen einig: Die Bezirksregierungen seien von großer Bedeutung, ihren engagierten Mitarbeitenden zollten alle Redner (es waren nur Männer) Respekt und Dank und es müsse dringend etwas an der aktuellen Lage geändert werden. Bei den Lösungs-Vorschlägen setzten die diversen Fraktionen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte - das alles garniert mit bekannter Debatten-Folkore.

SPD: "zu viele Aufgaben für zu wenige Menschen"

Jochen Ott von der SPD-Fraktion nannte den Brandbrief von Reul eine "Bankrotterklärung". Dann griff er weit zurück in der Landespolitik-Historie bis zu der Zeit, als Herbert Reul Generalsekretär der NRW-CDU war (das war von 1991 bis 2003) und die Abschaffung der Bezirksregierungen geplant habe. Daraus leitete er eine Vernachlässigung der Bezirksregierungen durch Reul ab.

Zur Sache merkte Ott an: In den Bezirksregierungen gebe es "zu viele Aufgaben für zu wenige Menschen". Darum sei eine Priorisierung der Aufgaben nötig. Es gebe zahlreiche Förderprogramme im Land, die von den Bezirksregierungen abgewickelt werden müssten. Ott sprach sogar von einer "Programm-Manie, die im Land herrscht". Das zu ändern, sei Aufgabe der gesamten Regierung Wüst.

CDU lobt fürsorglichen Innenminister

Für die CDU stellte der Abgeordnete Klaus Voussem fest, das "Horror-Szenario", das die SPD zeichne, sei nicht erkennbar. "Das Problem wurde bereits angegangen", die Personalsituation sei heute besser als zur Regierungsübernahme 2017. Er lobte Innenminister Reul für sein "Problembewusstsein" und seine "Fürsorgepflicht".

FDP will weniger Förderprogramme

Ralf Witzel (FDP) sah ebenfalls Hendrik Wüst (CDU) in der Verantwortung: "Der Ministerpräsident muss nun handeln und Ordnung schaffen." Auch Witzel beklagte die Vielzahl an Förderprogrammen der Landesregierung: "Wer alles fördert, fördert am Ende nichts." Es gebe sogar schon "Förder-Finder" und "Förder-Navis", weil die Menge der Programme zu unübersichtlich sei.

Und es sei dringend nötig, den öffentlichen Dienst attraktiver zu machen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Das sei eine "Daueraufgabe".

Grüne setzen auf Digitalisierung

Simon Rock, Abgeordneter der Grünen, sagte zum Brandbrief Reuls, es sei die Pflicht des Innenministers, das Kabinett zu informieren. Er verwies auf die Krisen der letzten Jahre - Corona-Pandemie, Flutkatastrophe, Flüchtende aus der Ukraine - die zur großen Belastung in den Bezirksregierungen geführt habe.

Rock setzt auf eine neue "digitale Antragsplattform", die eine spürbare Entlastung für alle bringen werde.

AfD: Personal der Ministerien soll in die Bezirksregierungen

Der AfD-Abgeordnete Markus Wagner kritisierte den Aufwuchs der Stellen in den Ministerien. "Die Leute kommen aus den nachgeordneten Behörden", dazu gehörten auch die Bezirksregierungen. Darum sollten die Ministerien Stellen an die Bezirksregierungen abgeben.

Den größten Stellen-Zuwachs machte Wagner im Innenministerium aus. Eine Steilvorlage für Herbert Reul, der für die Landesregierung das Wort ergriff.

Reul macht drei Vorschläge

An den AfD-Abgeordneten Wagner gewandt, sagte der Innenminister, die meisten Stellen in seinem Ministerium seien beim Verfassungsschutz geschaffen worden. Nach diesem Seitenhieb auf die AfD, die vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird, lobte Reul ausdrücklich die wichtige Arbeit der Bezirksregierungen. Da habe er dazu gelernt.

Dann skizzierte auch Reul die Krisen der letzten Jahre, die nicht vorhersehbar gewesen seien. Aber dann gebe es auch "Aufgaben, die sind nicht vom Himmel gefallen", sondern seien im Landtag beschlossen worden. "Jeder hier, auch ich, hatte jeden Tag neue Ideen." Ein Appell an das Parlament, bei Beschlüssen auch an diejenigen zu denken, die es umsetzen müssen.

Dann stellte Herbert Reul drei Lösungsvorschläge als Fragen zur Diskussion: "Können Aufgaben wegfallen?" Könnten Aufgaben anderswo erledigt werden? Und könnten Prozesse anders gestaltet, "schlanker und einfacher" werden?

Schnittmenge der Lösungsvorschläge

Wenn man von der Debatte das übliche Parteienscharmützel abzieht, bleibt am Ende auch bei den Lösungsvorschlägen eine große Schnittmenge. Würde sie umgesetzt, dann wäre denen geholfen, denen alle Redner teilweise mehrfach ihren Dank aussprachen: den überlasteten Mitarbeitenden der fünf Bezirksregierungen in Köln, Düsseldorf, Münster, Detmold und Arnsberg.

Über das Thema berichtet der WDR am 10.03. auch im Hörfunk (Westblick, WDR 5) und Fernsehen (Aktuell).