Warum der Kohleausstieg 2030 kippen könnte

Stand: 08.12.2023, 15:17 Uhr

Der Kohleausstieg 2030 kann nur gelingen, wenn viele neue Gaskraftwerke zur Überbrückung bereitstehen - auch in NRW. Doch die Haushaltskrise im Bund gefährdet deren Bau. Ministerpräsident Wüst schlägt Alarm.

Von Sabine Tenta

Je länger die Ampel-Regierung in Berlin um den Haushalt für 2024 ringt, desto mehr entfaltet sich die Wucht des Bundesverfassungsgerichts-Urteils zum Bundeshaushalt und dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Mit welchen Zusagen kann die Wirtschaft für die Energiewende noch rechnen?

Staatliche Zuschüsse im Energiesektor sind aus Sicht der Kraftwerksbetreiber eine Voraussetzung für den Kohleausstieg bis 2030. Wenn es allerdings schlecht läuft, müssen die Braunkohlemeiler deutlich länger in Betrieb bleiben. Und das angesichts einer Klimakrise, die sich dramatisch zuspitzt und den Ausstieg aus der fossilen Energieerzeugung immer dringlicher macht.

Kohleausstieg in NRW hängt vom Bund ab

Vieles hängt in NRW gerade an der Kraftwerksstrategie von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Denn NRW braucht für den Kohleausstieg bis 2030 sechs neue Gaskraftwerke. Sie sollen zunächst mit Erdgas und später mit Wasserstoff betrieben werden. Diese neuen Anlagen sind das nötige Strom-Backup, wenn die Erzeugung aus Wind und Sonne nicht ausreicht.

Doch die hohen Investitionen gehen Kraftwerksbetreiber wie RWE nur ein, wenn ihnen staatliche Förderung sicher ist. Diese Absicherung wollte Robert Habeck mit seiner Kraftwerksstrategie auch liefern. Anfang August stellte er ein Konzept vor, das zwar Versprechungen macht, aber bis heute nicht von der Bundesregierung verabschiedet ist. Weil nun die Ampelkoalition weiterhin um die Finanzen ringt, hatte Klimaminister Habeck diese Woche sogar seine Reise zur Weltklimakonferenz in Dubai gestrichen.

Wüst macht Druck

Die Zeit drängt - darum macht NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst nun Druck: "Spätestens im nächsten Jahr muss da Klarheit herrschen", sagte Wüst der Deutschen Presse-Agentur. Er hatte gemeinsam mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne), Robert Habeck und RWE den vorgezogenen Kohleausstieg für das Jahr 2030 vereinbart.

Es brauche sechs neue Gaskraftwerke in NRW, die Zeitspanne von der Genehmigung bis zum Fertigbau betrage fünf bis sechs Jahre, rechnet der Ministerpräsident vor. Ohne Habecks Kraftwerksstrategie könne es keine Ausschreibung für den Bau geben, so Wüst. "Es kann keinen Ausstieg ohne Einstieg geben", brachte er das energiepolitische Dilemma auf den Punkt.

Die grüne Achse Düsseldorf Berlin

Dass in Düsseldorf und Berlin die Wirtschafts- und Energieministerien in der Hand von Grünen sind, ließ in der Vergangenheit die Energiewirtschaft hoffen. Der kurze Draht zwischen Düsseldorf und Berlin müsste angesichts der Lage gerade eigentlich glühen.

Neubaur und Wüst | Bildquelle: ddp / Sven Simon

Auf WDR-Nachfrage teilte NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur mit, beide Ministerien verfolgten "stets das Ziel, dass der Kohleausstieg bis 2030 unter Gewährleistung der Versorgungssicherheit gelingt". Hierfür werde die Kraftwerksstrategie dringend benötigt. "Daher gehen wir weiterhin fest davon aus, dass diese zeitnah veröffentlicht wird und so die notwendigen Investitionen angereizt werden." Neubaur weiß, wie groß der Druck aus der Wirtschaft ist, denn sie sagt auch: "Die Unternehmen in Nordrhein-Westfalen stehen bereit – sie brauchen aber dringend Planungssicherheit."

Neubaur: Schnellere Genehmigungen nötig

Und die Ministerin sieht weiteren Handlungsbedarf: "Neben einem gesicherten Finanzierungskonzept wird aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nun auch eine Beschleunigungsstrategie für die Genehmigungsverfahren benötigt." Dabei seien "bundeseinheitliche Standards für den bundesweiten Ausbau der gesicherten Leistung" sehr wichtig.

Darum fordert die Energiewirtschaft Unterstützung

Die Notwendigkeit von staatlichen Garantien und Zuschüssen unterstreicht die Energiewirtschaft. Der Interessenverband "Zukunft Gas" warnt: "Es ist höchst bedenklich, die Zeit läuft ab", sagte Verbandssprecher Charlie Grüneberg dem WDR.

Er erklärte, die Gaskraftwerke sollten als Backup immer dann den Stromfluss sichern, wenn während sogenannter Dunkelflauten weder Sonne noch Wind erneuerbare Energie liefern. Darum würden sie nicht im Vollbetrieb laufen, sondern voraussichtlich nur wenige hundert Stunden im Jahr. Würde der Gewinn dieser Gaskraftwerke ausschließlich über den Strompreis kalkuliert, ergäben sich für die Betreiber "hohe Unsicherheiten". Und damit sei es auch schwer, Kredite für die Investitionen zu erhalten. Aus diesem Grund brauche es feste Zusagen über eine verlässliche Summe, die mit den Leistungen der Kraftwerke erzielt werden könne.

Es könnte noch länger dauern

Kraftwerksturbine | Bildquelle: Ulrich Baumgarten / picture alliance / WDR

In der Regel dauere der Bau eines Gaskraftwerks von der Genehmigung bis zur Fertigstellung fünf bis sechs Jahre. Doch Charlie Grüneberg von "Zukunft Gas" weist auf weitere mögliche Verzögerungen hin, die der Energiewirtschaft drohen: Je mehr Gaskraftwerke gebaut würden, desto größer werde auch die Nachfrage, beispielsweise für Turbinen. Diese würden von großen Herstellern wie Kawasaki oder Siemens nach Bedarf produziert.

"Da droht ein Flaschenhals", warnt Grüneberg und nennt gleich noch ein zweites Beispiel: Er verweist auf den Genehmigungs-Stau bei Schwertransporten, den es aktuell für Windkraftanlagen gebe. Dies könne auch große Gaskraftwerksturbinen betreffen. Beim Bau der Kraftwerke könnte obendrein der Fachkräftemangel zu Verzögerungen führen.

Große Nachfrage aus ganz Europa

Hinzu kommt: Deutschland ist nicht das einzige Land in Europa, dass aus der fossilen Energieerzeugung aussteigen will. Wenn andere Länder schneller in neue Gaskraftwerke investieren, könnten die Auftragsbücher der Turbinenhersteller bereits voll sein, ehe in Deutschland die Weichen für den Umstieg gestellt sind.

Weitere Energie-Strategien von Habeck angemahnt

Auch der "Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft" (VIK) mahnt eine zügige Beilegung der Haushaltskrise an. "Der Mangel an Planbarkeit erschwert die Transformation", sagte Verbandssprecher Alexander Ranft dem WDR. Er erklärt, dass neben der Kraftwerksstrategie auch die Wasserstoffimportstrategie und die Carbonmanagementstrategie aus dem Bundeswirtschaftsministerium noch nicht beschlossen sind. "Es gibt sehr viele offene Fragen", so Ranft.

Der Hauptgeschäftsführer des VIK, Christian Seyert, erklärte: "Sollten nun geplante Förderprogramme ausgesetzt werden, würde Vertrauen zerstört und würden private Investitionen ausgebremst. Das würde die Energiewende um Jahre zurückwerfen."

Nie wieder Leitentscheidung! WDR RheinBlick 17.11.2023 24:51 Min. Verfügbar bis 15.11.2028 WDR Online

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