Ganze vier Tagen treffen sich die Grünen von heute an in Karlsruhe zum Bundesparteitag, es ist der längste in der Parteigeschichte. Viel Redebedarf hatte die Partei schon immer. Doch lange war der Frust dabei nicht mehr so groß.
Frust in der Ampel - und hausgemacht
Das liegt einerseits daran, dass die Partei mit ihren Kernthemen nicht vorankommt. Gerade erst hat das Bundesverfassungsgericht der Ampel-Regierung verboten, Geld, das zur Bewältigung der Coronakrise bestimmt und dann übrig geblieben war, für Klimaschutz auszugeben. Das Heizungsgesetz hat mehr Bürger verunsichert als motiviert. Und die Verkehrswende wird immer wieder vom FDP-Verkehrsminister ausgebremst.
Andererseits ist der Frust auch hausgemacht. Erst vergangene Woche hatte die Basis einen offenen Brief an die grüne Führungsriege geschrieben. Bisher haben ihn mehr als tausend Mitglieder unterschrieben. „Zurück zu den Grünen“ lautet die Überschrift. Die Unterzeichner fühlen sich in ihren Idealen von der Ampel-Regierung verraten: 100 Milliarden für die Bundeswehr, leichtere Abschiebungen, die Abschaffung der Sektorziele beim Klimaschutz – alles haben die Grünen im Bund mit beschlossen.
Es sind Kompromisse, die die Basis verärgern – die zugleich aber nicht verhindern, dass andere Parteien die Grünen nach wie vor zur Verbotspartei stilisieren. CDU-Chef Friedrich Merz etwa bezeichnete die Partei als "unsere politischen Gegner im Parlament", schimpfte auf ihre "penetrant vorgetragene Volkserziehungsattitüde". In den Ländern fuhren die Grünen bei den jüngsten Landtagswahlen empfindliche Verluste ein.
Stabilität in NRW?
In NRW dagegen steht die schwarz-grüne Regierung in Umfragen ordentlich da. Die Grünen kommen im jüngsten WDR-Trend mit 18 Prozent auf das Ergebnis der vergangenen Landtagswahl. Doch auch im größten Bundesland treten die Konfliktlinien immer deutlich hervor.
Als prominentester Vertreter positionierte sich vergangene Woche Arndt Klocke (52) mit einem kritischen Blog-Eintrag gegen den aktuellen Zeitgeist seiner Partei, Titel: "Was ist bei Grün los?!" Klocke war fünf Jahre lang Chef des NRW-Landesverbands und bis Oktober 2020 Vorsitzender der Landtagsfraktion. Seit der Landtagswahl 2022 ist er dort Sprecher für Bauen und Wohnen.
"Ich nehme zu viel Harmonie und Besonnenheit wahr", sagte Klocke in dieser Woche dem WDR. Mit Blick auf frühere Regierungsbeteiligungen in Bund, Land und Kommunen betonte er: "Damals wurde mehr gestritten, mehr debattiert und auch mehr Expertise von außen eingeholt". Nachdem der größere Koalitionspartner kürzlich die Grünen sowohl in Berlin als auch in Hessen aus dem Regierungsbündnis geworfen hat, fehle ihm eine nüchterne Bestandsaufnahme. "Ich würde mir wünschen, dass wir da mal genau hingucken. Und selbstkritisch überlegen: Woran kann es gelegen haben", forderte Klocke.
Tiefe Verunsicherung nach Hessen-Schock
Schwarz-grün galt lange als "Zukunftsprojekt", das vielleicht sogar im Bund gelingen könnte. Doch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) entschied sich nach 10 Jahren überraschend für die SPD, obwohl das Wahlergebnis problemlos als "Weiter so" für schwarz-grün interpretiert werden konnte. Das hat viele Grüne zutiefst verunsichert.
Wozu sind Kompromisse und Kabinettsdisziplin gut, wenn man bei der erst besten Gelegenheit ausgetauscht wird?
Achtermeyer: schwarz-grüner Stil weiter "Zukunftsmodell"
Von diesen Fragen und Klockes Kritik angesprochen fühlen muss sich Tim Achtermeyer (30), der Vorsitzende der NRW-Grünen. Im Gespräch mit dem WDR wiegelte er ab, verweist auf die stabilen Umfragewerte in NRW und im Bund. "Was da in Hessen passiert ist, muss die Hessener CDU beantworten. Ich finde, dass wir in Nordrhein-Westfalen sehr gut miteinander regieren", sagte er. "Intern um den besten Weg ringen, aber nach außen geschlossen auftreten", so beschreibt er den politischen Stil in NRW – und der sei "nach wie vor das Zukunftsmodell".
Doch wie verlässlich ist die CDU als Partner wirklich?
Ziemiak: Schwarz-grün auch für Zukunft regierungsfähig
"Wir arbeiten hier sehr gut, sehr konzentriert und auch harmonisch miteinander" sagte Generalsekretär Paul Ziemiak dem WDR. "Diese Koalition baut Brücken und überwindet auch unterschiedliche in verschiedenen gesellschaftlichen Milieus". Auch für die Zukunft sei schwarz-grün in NRW gut regierungsfähig.
NRW also als eine Art grünes Wohlfühl-Bundesland, während die Partei bundesweit kräftig Gegenwind bekommt?
Zart Kante zeigen
Nach der Bund-Länder-Konferenz Anfang November hatte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Verena Schäffer, dem nicht abgesprochenen Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU), Asylverfahren in Drittstaaten durchführen zu lassen, schriftlich eine Abfuhr erteilt.
Es war ein Moment, in dem die NRW-Grünen zart Kante zeigten.
Kein bewustes Absetzen
Und doch: "Es geht dabei überhaupt nicht um ein bewusstes Absetzen", sagte Schäffer im Gespräch mit dem WDR. Man habe als Landtagsfraktion eben eine eigene Meinung, die sich von der CDU unterscheide in bundespolitischen Fragen. Für NRW übernehme man aber gemeinsam Verantwortung.
Vor dem Parteitag zeichnet sich jedoch ab, dass das der Basis nicht reichen dürfte. In Karlsruhe werden die Grünen zeigen müsse, dass sie das interne Ringen um den thematischen Kern mit der Regierungsverantwortung vereinen können. Diese große Debatte steht direkt für Donnerstagabend an.
Es wird wohl ein langer Abend werden.
Über dieses Thema berichtet der WDR Hörfunk am 23.11.2023 in der WDR-Sendung "Morgenecho".