"Hallo zusammen! Das ist tatsächlich mein allererstes TikTok-Video", spricht NRW-Kulturministerin Ina Brandes (CDU) in ihr Smartphone. Neben ihr steht Ex-Fußballer Lars Ricken, der 1997 Borussia Dortmund zum Champions-League-Sieg schoss. Jetzt unterstützt er die Ministerin zum Auftakt der Europawahltour des Landes. Nur knapp 1200 Leute haben das Video gesehen und nicht mal 100 Personen den Kanal abonniert.
Politiker versuchen aufzufallen
Da sind andere schon viel erfolgreicher. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) startete mit seiner Aktentasche auf TikTok. Mehr als 3,5 Millionen Menschen haben sein "What’s in my bag?"-Video bisher gesehen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt sich gerne beim Essen. Damit fallen sie zwar auf, aber nicht allen gefällt das. "Ich finde, dass Politiker eigentlich nur blabla machen, um gut da zu stehen und gewählt zu werden", findet Melina Franken, die gerade das Albrecht-Dürer-Berufskolleg in Düsseldorf besucht.
TikTok bei den jungen Leuten beliebt
Die 19-Jährige hat - wie viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler - die Plattform TikTok auf ihrem Smartphone. Sie schaut regelmäßig, welche Produkte Influencer so anbieten. Nach einer Untersuchung des digitalen Marktforschungsunternehmens Appino war TikTok bereits 2022 die meistgenutzte App bei den unter 25-Jährigen in Deutschland.
Im Unterschied zu anderen sozialen Medien schlägt TikTok auf der Startseite seinen Nutzern Inhalte vor. Einmal etwas geliked sucht der Algorithmus weitere Videos mit ähnlichen Inhalten. Maler-Azubi Ramadan Azizi Oglou ist mindestens sechs Stunden täglich auf der Plattform. Dabei sind dem Berufsschüler auch schon Videos der AfD aufgefallen.
AfD besonders erfolgreich
Dabei zeigt die AfD in ihren Videoclips meist kurze Ausschnitte aus Reden ihrer Politiker. "Und das mit sehr hohem Erfolg", sagt Landesparteichef Martin Vincentz. Er sieht ein hohes Interesse an seiner Partei und glaubt, dass viele sich angesichts einer Stigmatisierung der Partei lieber in der Sicherheit der eigenen vier Wände über die AfD informieren würden und nicht direkt auf Infoabenden.
Tatsächlich hat die AfD sehr viel früher als andere für sich den Nutzen von TikTok erkannt. Die Videos sind oft stark polemisch. Social-Media-Experte Professor Dennis-Kenji Kipker sieht zwei Gründe für den Erfolg. "Zum einen suchen sie sich gezielt ein junges Publikum und zum anderen suchen sie gezielt Maßnahmen, mit denen sie dieses junge Publikum erreichen können", so Kipker. Da würden dann populistische parteipolitische Inhalte mit der eigentlichen visuellen Kommunikation verbunden.
Mit knapp 46.400 Abonnenten liegt die AfD im Land weit vor allen anderen Parteien. Die Grünen stehen auf Platz zwei mit rund 4.200 Abonnenten. Danach kommt die SPD mit 422 und die FDP mit 321 Abonnenten. Die CDU hat gar keinen TikTok-Account. "Wir beobachten die Plattform und überlegen, ob die Plattform für die Verbreitung unserer Botschaften und zur Demokratiebildung gerade jüngerer Zielgruppen einen Beitrag leisten kann", so ein Sprecher der NRW-CDU.
Demokratische Parteien im Nachteil bei Europawahl
Der Parteichef der NRW-Grünen Tim Achtermeyer hält das für einen Fehler. Er macht seit Februar täglich ein kurzes Video für TikTok. "Je polemischer, desto besser", das scheine gerade auf TikTok mit Blick auf die AfD zu funktionieren, so Achtermeyer. Deshalb müsse man sich selber bremsen, dass man das nicht überreize. Bei ihm sind bisher Ausschnitte aus seinen Landtagsreden besonders gut gelaufen. Die zur Bildungspolitik hätten mehr als eine Millionen Menschen gesehen. Achtermeyer sieht großen Aufholbedarf für die "demokratischen Parteien". Im Europawahlkampf hätten diese dadurch einen Nachteil, dass sie viel zu lange auf TikTok nicht ausreichend aktiv waren.
Bei der Europawahl am 9. Juni dürfen in NRW rund 1,1 Millionen Menschen zum ersten Mal wählen, unter ihnen ungefähr 300.000 erstmals wahlberechtigte 16- und 17-Jährige.
Über dieses Thema berichten wir auch im WDR-Fernsehen, in der Sendung Westpol, am Sonntag, 21.4.2024 ab 19:30 Uhr.