Der Blick aus dem Fenster ist das Schönste für sie: Almut Davidis schaut gerne nach draußen, in der Ferne sind Hügel und die Wipfel der Bäume zu sehen. Sie genießt diesen Ausblick nun schon seit fast einem halben Jahr, satt gesehen hat sie sich noch nicht. Davidis hatte Glück: Sie bekam eine der begehrten Wohnungen im Zentrum von Ratingen zugewiesen, nachdem ein Brand ihr Hab und Gut zerstörte und ihre alte Wohnung unbewohnbar machte.
Für Almut Davidis endete damit eine Odyssee. Lange stand sie auf der Liste vom Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) in Ratingen, denn der Umbau des Hauses hat Jahre gedauert. Heute verbergen sich hinter einer historischen Fassade zwölf öffentlich geförderte Wohnungen, auch Sozialwohnungen genannt. "Ich habe mich total eingelebt. Wir haben eine tolle Hausgemeinschaft und ich habe alles für den Alltag in der Nähe", erzählt Davidis mit einem Lächeln auf dem Gesicht.
Glücksfall Sozialwohnung
So glücklich war sie lange nicht. Denn zuvor lebte die 65-Jährige in einer Wohnung, deren Kosten zwar vom Amt übernommen wurden, doch nach einer Mieterhöhung musste sie 80 Euro zusätzlich zahlen - aus eigener Tasche, wie sie erzählt. Zum Leben sei ihr nicht mehr viel geblieben. Arbeiten konnte sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr.
Wohnkosten nicht immer komplett übernommen
Ähnlich wie Almut Davidis geht es vielen anderen Menschen, deren Kosten für Unterkunft eigentlich anerkannt und übernommen werden. Kalaf Albakkri ist Mutter von zwei Kindern. Sie hat einen Nebenjob im Friseursalon, will bald eine Ausbildung starten und geht zum Sprachkurs. Als Unterstützung erhält sie Bürgergeld. Seit der Trennung von ihrem Partner ist sie alleinerziehend.
Als vor zwei Jahren der Mietvertrag auf sie umgeschrieben wurde, kam es zu einer Erhöhung der Nebenkosten. "Der Mietpreis war schon genehmigt worden. Ich wusste nicht, dass ich für die höheren Nebenkosten auch wieder eine neue Genehmigung vom Jobcenter brauche", sagt sie. Weil die aber zum Zeitpunkt der Unterschrift fehlte, wird dieser Teil nicht mehr vom Amt übernommen. Albakkri muss nun jeden Monat gut 70 Euro selbst übernehmen. Eine Belastung für die junge Mutter aus Syrien.
Sie versteht nicht, warum ihre Wohnung nicht nachträglich als angemessen eingestuft wird. Gerade einmal 400 Euro zahlt sie für 80 Quadratmeter. "Ich suche und suche, aber finde nirgendwo eine Wohnung, die genauso billig ist." Umziehen wolle sie eigentlich nicht. Ihre Kinder gehen hier in der Nähe zur Schule und oder besuchen ihre Freunde. Die Situation von Albakkri kennen viele Menschen.
Kommunale Unterschiede
In Nordrhein-Westfalen gibt es 716.458 sogenannte Bedarfsgemeinschaften, also Haushalte, deren Kosten der Unterkunft anerkannt sind. Doch etwa 13 Prozent von ihnen müssen einen Anteil der Kosten selbst tragen, das betrifft rund 94.000 Haushalte.
Dabei gibt es von Kommune zu Kommune große Unterschiede bei der Differenz zwischen anerkannten Wohnkosten und den Kosten, die tatsächlich anfallen: In Düsseldorf zahlen die Menschen im Durchschnitt 131 Euro dazu, in Wuppertal nur 36 Euro - Geld, das Bürgergeldempfänger zusätzlich zahlen müssen. In Solingen, wo Kalaf Albakkri lebt, betrug diese "Wohnkostenlücke" im Jahr 2022 durchschnittlich 90 Euro monatlich, bei Alleinerziehenden sogar 113 Euro.
Kommunen entscheiden, was angemessen ist
Wie hoch die Kosten für die Wohnung sein dürfen, die das Amt übernimmt, hängt von der Kommune ab. Jede Kommune kann selbst festlegen, was sie für angemessen hält - wobei man sich oft am jeweiligen Mietspiegel orientiert. Der Leiter des Jobcenters in Solingen, Mike Häusgen, sagt, das gehe nicht anders: "Jeder Wohnungsmarkt ist anders, deswegen muss auch immer einzeln entschieden werden, wo die Angemessenheit liegt." Dass in Solingen aktuell etwa 600 Haushalte auf die Miete draufzahlen, erklärt er damit, dass es sich immer um individuelle SItuationen handle: "Wer eine Garage hat, muss selbst dafür zahlen. Oder auch, wenn sich jemand vom Partner trennt und sich nach einer gewissen Übergangszeit keine kleinere Wohnung sucht."
Mieterbund kritisiert unklare Kriterien
Doch das Problem ist grundsätzlicher, kritisiert kritisiert Hans-Jochem Witzke, Vorsitzender des Mieterbunds NRW. Die Angemessenheitsgrenze für die Mieten, die von der Kommune übernommen wird, seien oft zu niedrig. "Es gibt die Wohnungen nicht zu den Preisen, die in diesem Pauschalbetrag Kosten der Unterkunft vorgesehen sind." Zwar plädiert er nicht für eine pauschale, einheitliche Regelung, dafür aber für mehr Nachvollziehbarkeit bei den Kriterien. Außerdem fordert er mehr Unterstützung für die häufig klammen Kommunen. Denn wenn es ihnen besser ginge, dann könnten sie auch mehr bei bei den Wohnkosten unterstützen.
Wären mehr klare Kriterien also doch eine Lösung? Das NRW-Sozialministerium sieht den Bund in der Verantwortung. Das Bundesarbeitsministerium sagt, es gebe noch keine Überlegungen für Gesetzesänderungen. Und eigentlich seien auch die Länder verantwortlich.
Sozialwohnungen werden komplett bezahlt
Abhilfe könnten Sozialwohnungen schaffen, denn deren Kosten werden von den Ämtern voll übernommen. Die Mietpreise hier sind also automatisch angemessen. Die Zahl der preisgebundenen Mietwohnungen sinkt aber seit Jahren stetig, weil Wohnungen aus der Preisbindung fallen und nicht genügend neue gebaut werden, um die Lücke zu schließen. Zwar ist nach Jahren des Abstiegs beim Neubau von Wohnungen ein leichter Trend nach oben erkennbar, doch nach wie vor ist der Bedarf deutlich größer als das, was hinzu gebaut wird.
Almut Davidis ist deshalb glücklich, eine solche Sozialwohnung bekommen zu haben, deren Kosten komplett von der Stadt Ratingen übernommen werden. Sie hat es sich auf 38 Quadratmetern gemütlich gemacht und fühlt sich angekommen, hier mitten in der Stadt, mit guter Anbindung, kurzen Wegen und einem Ausblick ins Weite.
Über dieses Thema berichten wir am Sonntag, 25. Februar 2024, in "Westpol" im WDR Fernsehen.