Bei Anruf Schock: Warum Telefonbetrüger oft nicht gefasst werden

Stand: 03.09.2022, 07:54 Uhr

Immer häufiger versuchen Betrüger, ältere Menschen am Telefon hereinzulegen. Gelingt der Betrug, dann sind oft riesige Summen weg. Die Aufklärungsquote ist immer noch sehr gering.

Von Cedrik Pelka

Das zweitägige Martyrium beginnt für Maria Elisabeth Plempe mit dem Anruf an einem Dienstagnachmittag. "Hallo Mama“, sagt eine weinende Frauenstimme. "Ich hatte einen Autounfall. Ich habe eine Frau überfahren und die ist jetzt tot. Die Polizei möchte mit dir sprechen.“ Ein angeblicher Polizist erklärt, dass Kaution gezahlt werden müsse, damit ihre Tochter nicht in Untersuchungshaft kommt.

Die 85-jährige Maria Elisabeth Plempe wird von diesem Anruf im Mai 2021 völlig überrumpelt. Fast ununterbrochen telefoniert sie mit dem falschen Polizisten. Später auch mit angeblichen Staatsanwälten und Richtern. Obwohl Plempe schon häufiger von diesen Tricks in der Zeitung gelesen hat, fällt sie drauf rein. "Sie schalten dann ab. Sie schalten ganz ab. Sie denken nur daran: Dem Kind ist was passiert. Anders denken Sie nicht“, sagt sie heute, immer noch den Tränen nahe.

Maria Elisabeth Plempe | Bildquelle: WDR

Am Ende hat sie Sparbücher geplündert und mehrere zehntausend Euro übergeben. Den einen Teil an der Haustür. Den anderen Teil am nächsten Tag in der Bochumer Innenstadt. In der ersten Bank wird gar nicht erst gefragt, was sie mit dem vielen Geld will. Einer anderen Bankmitarbeiterin erzählt sie, sie brauche das Geld für ein Geschenk für ihre Tochter. Die Betrüger hatten ihr vorgegeben, was sie sagen soll. "Hinterher, da ist mir so langsam aufgefallen: Mensch, du warst doch ein Rindvieh. Warum hast du das gemacht?“, sagt Plempe.

Immer mehr Anrufe

Diese Fragen stellen sich im Nachhinein Viele. Betrügerische Anrufe wie dieser häufen sich. Noch vor drei Jahren gab es in NRW laut der polizeilichen Kriminalstatistik 4.600 Anzeigen wegen versuchten Betrugs durch Schockanrufe. Vergangenes Jahr waren es schon 6900. 95% der Anrufe kommen dabei aus dem Ausland – oft aus Polen oder der Türkei.

Die Anrufe, soviel wissen die Ermittler und Ermittlerinnen immerhin, kommen aus großen Callcentern, die jeden Tag tausende Anschlüsse in ganz Deutschland anrufen – meistens gehören sie älteren Menschen. Dahinter stecken organisierte Banden, teilweise mischen kriminelle Familienclans mit.

Bei den meisten Delikten handelt es sich um Versuche. Deshalb liege die Aufklärungsquote bei Betrugsdelikten zum Nachteil älterer Menschen bei nur bei 2,5 Prozent, erklärt Innenminister Herbert Reul (CDU): "Die meisten Fälle werden gemeldet, aber finden nicht statt. Denn die allermeisten älteren Menschen legen auf und dann war es das. Bei den Fällen hat man keine Chance zu ermitteln, weil es ja keine Fakten gibt." Konzepte zur Bekämpfung dieser organisierten Kriminalität im Vorhinein gäbe es zwar, "aber kein Konzept funktioniert immer zu 100 Prozent“, so Reul.

Ermittlungen sind schwierig

Kriminalhauptkommissar Ulrich Neuhaus | Bildquelle: WDR

Allerdings werden auch bei den wenigen erfolgreichen Fällen nur selten kriminelle Callcenter und deren Betreiber aufgespürt. Jeder fünfte Fall aus dem Inland wird aufgeklärt, so das Innenministerium. Kriminalpolizeihauptkommissar Ulrich Neuhaus aus Bochum beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Betrugsdelikten. Er weiß, warum es so schwierig ist, die Banden zu ermitteln: "Die Banden agieren mit entsprechendem, gutem Equipment und verschleiern zum Beispiel die Telefonnummern“, so der Ermittler. Um sich dem Zugriff der deutschen Strafverfolgungsbehörden zu entziehen, agierten sie aus dem Ausland. “Es ist sehr schwierig, daran zu kommen, denn es ist mit sehr viel Aufwand verbunden. Ein langwieriges und umfängliches Verfahren."

Deswegen setzen Kommissar Neuhaus und seine Kolleginnen und Kollegen auf Prävention. Das ist laut Neuhaus die Maßnahme, die am besten wirkt. Dafür besucht er zum Beispiel ein Rollatortraining auf dem Marktplatz in Bochum Gerthe. Ein Ort, an dem er auf viele potenzielle Opfer trifft. Sein Tipp: "Wenn Sie sich an den Grundsatz halten: Ich spreche am Telefon nicht über Wertgegenstände. Ich spreche nicht über Geld, sondern lege auf. Dann haben Sie mit einem Merksatz die Sicherheit für sich gewonnen.

Betrüger reingelegt

Diesen Satz kannte Walter August. Und so konnte der 67-Jährige aus Herne die Betrüger aufs Kreuz legen. Falsche Polizisten sagten ihm am Telefon, in seiner Straße sei eingebrochen worden. Auf einer Liste, die gefunden wurde, stünde sein Name. Ein Trick, von dem ebenfalls immer häufiger zu hören ist. "Mir wurde gesagt meine Wertgegenstände müssten sofort sichergestellt werden durch die Polizei, um vorzubeugen. Dann habe ich erzählt, dass ich 15.000 Euro in bar habe, zwei wertvolle Uhren und Goldbarren. Und das war natürlich der absolute Köder.

Zweieinhalb Stunden telefoniert er mit den Betrügern. Die wollen alles ganz genau wissen. Parallel ruft er mit seinem Handy die Polizei. Bei der Geldübergabe verhaften Beamte die beiden Männer. Diesmal sei es gutgegangen. Aber Walter August hält es für möglich, "dass ich in 10 oder 15 Jahren drauf reinfalle. Das ist ja auch immer eine Sache der geistigen Fitness und wie man da reagieren kann“.

Die Hinterleute dieses Falls sind immer noch auf freiem Fuß – und werden es wohl noch bleiben. Genau wie viele andere Betrüger.