Wie Eltern mit Depressionen ihre Kinder stark machen können

Stand: 04.07.2024, 06:00 Uhr

Wenn Eltern depressiv sind, wirkt sich das auch auf das Leben ihrer Kinder aus. Was Eltern dagegen tun können - und was der Bundestag dazu heute beschließen will.

Jan ist acht Jahre alt. Er bringt andere gerne zum Lachen. Dabei gibt es bei ihm zu Hause oft nicht viel zu Lachen. Seine Mutter ist 29 Jahre alt, sucht seit Langem erfolglos nach einer Ausbildungsstelle. Sie ist alleinerziehend - und depressiv.

Jan heißt eigentlich anders. Aber es gibt ihn wirklich. Er ist eines der Kinder, die beim Verein "Lebensfarben - Hilfen für Kinder und Jugendliche" Unterstützung finden. Seine Geschichte steht so auf der Webseite des Vereins. Jan ist einer von vielen, die so oder so ähnlich aufwachsen.

Depression: Wie Stimmung und Verhalten sich verändern WDR 5 Innenwelt – das psychologische Radio 04.07.2024 49:25 Min. Verfügbar bis 02.07.2025 WDR 5

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Jedes vierte Kind lebt mit sucht- oder psychisch krankem Elternteil

Laut Bundesregierung lebt in Deutschland jedes vierte Kind mit einem sucht- oder psychisch kranken Elternteil im Haushalt. Sie müssen oft früh Verantwortung übernehmen und haben wenig Freiraum, sich zu entwickeln.

Damit sich das ändert, sollen Kinder psychisch kranker Eltern künftig mehr Therapiemöglichkeiten bekommen und insgesamt stärker unterstützt werden. Das sieht ein gemeinsamer Antrag der Ampel-Fraktionen mit der Unionsfraktion vor, der heute (Donnerstag) im Bundestag in einer ersten Lesung beraten wird. Zum Beispiel sollen die rechtlichen Möglichkeiten erweitert werden, damit Psychotherapeuten auch in Kitas und Schulen Hilfe anbieten können.

Wie Eltern mit Depressionen ihre Kinder stark machen können

Sandra Karsten arbeitet in Wiehl im Oberbergischen Kreis als Geschäftsführerin des . Sie sagt, was die Politik beschließen will, sei dringend nötig. Die professionelle Seite das ist das eine. Es gibt aber auch innerhalb der Familie einiges, das Eltern tun können, um ihre Kinder stark zu machen. Zum Verein Lebensfarben, sagt Sandra Karsten, kämen vor allem Kinder und Eltern, die von einer Depression betroffen sind.

Aus der Arbeit ihres Vereins mit Kindern wie Jan, weiß sie, dass die Kinder mit ihren Ängsten, Sorgen und Nöten oft ganz alleine dastehen. Professionelle Hilfe sei ganz wichtig. Deshalb ist ihr erster Tipp: Diese Hilfen annehmen - und zwar für die Eltern und die Kinder.

Über die Depression sprechen

Wenn Eltern über ihre Depression sprechen, nimmt das Kindern Schuldgefühle | Bildquelle: imageBROKER / newspixx vario images

Was tut den Kindern noch gut? Sandra Karsten sagt: "offen sein, das Thema und die Krankheit ansprechen, es nicht verschweigen". Dann könnten die Kinder einschätzen, dass es nicht an ihnen liegt, dass es der Mutter oder dem Vater schlecht geht, sondern an der Krankheit. "Das hilft, um Schuldgefühle der Kinder zu verringern." Es helfe aber auch, um Kindern zu zeigen, dass so eine Krankheit nichts sei, was man verschweigen muss. In der Schule oder in der Kita mit Freunden darüber sprechen zu dürfen, das entlaste die Kinder.

Wie Bücher helfen können

Manchmal ist es schwer, die richtigen Worte zu finden. Dann können Bücher helfen, ins Gespräch zu kommen. Der Verein Lebensfarben nennt auf seiner Website Literatur, die sich eignet. Empfohlen werden da zum Beispiel die Kinderbücher "Warum ist Mama traurig", "Warum fahren Papas Gefühle Achterbahn?", "Papas Seele hat Schnupfen", "Warum ist Mama so traurig auch wenn die Sonne lacht?". Aber auch für Ältere gibt es Lesestoff. Zum Beispiel "Mit Kindern redet ja keiner", ein Kinder- und Jugendbuch zum Thema Depressionen bei Müttern von Kirsten Boje.

Auf Fragen der Kinder antworten

Was wollen Kinder über die Erkrankung der Eltern wissen? Und wo wird es ihnen zu viel? Sandra Karsten sagt: "Unsere Erfahrung ist, dass Kinder fragen. Das trauen die sich." Darauf sollten Eltern dann eingehen. Was gesagt wird und was nicht - "das können wir den Kindern überlassen", sagt Karsten.

Auch Erzieher und Lehrer sollten Bescheid wissen

Eine psychische Erkrankung ist eine Herausforderung für alle Familienmitglieder. Das ist etwas, worüber in der Schule die Lehrer und in der Kita die Erzieher Bescheid wissen sollten, sagt Sandra Karsten. Sie können dann besser einordnen, warum sich ein Kind möglicherweise zurückzieht oder mal Hausaufgaben fehlen, weil zu Hause niemand in der Lage war, dabei zu unterstützen.

Auf die Gesundheit des Kindes Acht geben

Sandra Karsten vom Verein Lebensfarben | Bildquelle: LEBENSFARBEN – Hilfen für Kinder und Jugendliche e.V.

Wenn Eltern psychisch krank sind, besteht statistisch gesehen eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass auch das Kind erkrankt. Das gelte besonders dann, wenn ein Kind keine Hilfe bekommt, sagt Sandra Karsten. So oder so: "Diese Kinder sollte man immer mit im Blick haben." Auch deshalb sei es wichtig Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch niederschwellige Angebote wie sie ein Verein wie Lebensfarben biete, achte auf die Gesundheit aller Familienmitglieder und vermittle weiter, wenn es akut werde, sagt Sandra Karsten. "Wir sind fachlich ausgebildete Fachkräfte in der Psychiatrie, also Fachkrankenschwestern und Fachkrankenpfleger mit langjähriger Berufserfahrung. Wir bieten keine Therapien – wir beraten, unterstützen und begleiten Kinder und deren Familien."

Keine Angst vorm Jugendamt

"Die Ängste vieler Eltern sind groß, dass ihnen wegen ihrer Erkrankung die Kinder weggenommen werden." Natürlich spiele das Kindeswohl eine wichtige Rolle. "Aber so schnell passiert das nicht." Das Jugendamt sei nicht dafür da, Eltern die Kinder wegzunehmen. "Es hilft, die Familien zu stärken."

Einen Paten in Anspruch nehmen

Vereine wie Lebensfarben bilden auch ehrenamtliche Paten aus. "So ein Ehrenamtler holt ein Kind für zwei bis drei Stunden pro Woche aus dem häuslichen Umfeld und verbringt eine gute Zeit mit dem Kind", erklärt Karsten. Der Pate sei für das Kind eine feste Bezugsperson und Vertrauensperson. "Die Patenschaft schafft, dass das Kind wieder Kind sein kann, dass die Kinder wieder gestärkt und mit neuen Perspektiven und mit Resilienzen die neue Woche beginnen können, um gesund zu bleiben."

Wenn Jan bei seinen Paten war, bringt er manchmal Muffins mit nach Hause | Bildquelle: WDR

Auch der achtjährige Jan hat Paten - sogar zwei. Sie heißen Meike und Jens und kümmern sich zusammen um ihn. Seit er sie hat, weine er nicht mehr so schnell, schreibt der Verein auf seiner Website. "Er fühlt sich sicherer und kommt auch mal mit Muffins nach Hause. Da freut sich auch Mama. Das Paten-Ehepaar zeigt ihm zu ihren regelmäßigen Treffen die Welt aus einer anderen Perspektive. Hier fährt Jan auf einem Rheinschiff, geht schwimmen, Eis essen, werkelt, malt oder macht Spaziergänge an der Hand seiner Paten. Ohne Sorgen."

Unsere Quellen:

  • Sandra Karsten vom Verein "Lebensfarben - Hilfen für Kinder und Jugendliche" im Oberbergischen Kreis
  • Berufsverbände für Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Nervenheilkunde und Neurologie aus Deutschland
  • Bundestag - Antrag mit dem Titel "Prävention stärken – Kinder mit psychisch oder suchtkranken Eltern unterstützen"