Rhein, Weser, Elbe: Dürre legt Hungersteine in Flüssen frei

Stand: 19.08.2022, 20:03 Uhr

Hungersteine heißen sie: oft jahrhundertealte, stille Zeitzeugen in Gewässern wie Rhein und Weser. Durch den niedrigen Wasserstand kommen sie nun zum Vorschein.

Von Jörn Seidel

Sie sind teils uralte Zeugnisse dramatischer Hungersnöte und eindringliche Warnungen für nachfolgende Zeiten. Auf dem Grund von Flüssen wie Rhein, Weser und Elbe oder auch von Seen liegen zahlreiche Hungersteine. Der niedrige Wasserstand infolge der Dürre hat nun viele von ihnen freigelegt.

Worte auf Hungerstein: "Wenn du mich siehst, dann weine"

"Wenn du mich siehst, dann weine", ist zum Beispiel auf einem Hungerstein zu lesen. Auf einem anderen steht in tschechischer Sprache: "Mädchen, weine und klage nicht, wenn es trocken ist, spritze das Feld."

Meistens sind es aber einfach nur Jahreszahlen, die den jeweiligen Niedrigwasserstand markieren, so wie am großen Hungerstein im ostwestfälischen Würgassen in der Weser. Darin eingemeißelt sind viele Daten aus dem 19. Jahrhundert, aber auch einige aus jüngerer Zeit.

Die Umweltschutzorganisation "Greenpeace" hat nach eigenen Angaben vor vier Jahren ebenfalls einen Hungerstein in der damals stark ausgetrockneten Elbe platziert. Die Aufschrift: "Wenn du mich siehst, ist Klimakrise - August 2018".

Hungersteine im Rhein bei Worms und Remagen freigelegt

Im Rhein hat die Dürre vor einigen Tagen zum Beispiel den Hungerfelsen bei Remagen-Kripp freigelegt. Auch die bekannten Hungersteine bei Worms sind wieder zum Vorschein gekommen. Auf einem der Steine ist dort "Ano 1857" zu lesen, darunter "Hungerjahr 1947".

"Für Binnenschiffer konnten freigelegte Hungersteine ein Warnsignal sein." Mathias Deutsch, Umwelthistoriker

"Groß war die Not", daran würden die Hungersteine erinnern, sagt der Erfurter Umwelthistoriker Mathias Deutsch dem WDR. "Hungersteine sind Erinnerungszeichen an Extremereignisse."

Ein Hungerstein an der Elbe bei Pirna | Bildquelle: picture alliance/dpa/Arno Burgi

Aber sie hätten auch eine warnende Funktion gehabt. "Für Binnenschiffer konnten freigelegte Hungersteine ein Warnsignal sein. Sie wussten dadurch, dass sie nicht mehr mit voller Fracht verkehren sollten, da sie ansonsten auf Grund laufen könnten", erklärt Deutsch, der selbst schon Hungersteine freigelegt und dokumentiert hat.

Ihre Funktion als Warnsignal für Binnenschiffer haben Hungersteine inzwischen an moderne Wetterprognosen und Pegelmessungen abgegeben. Als nachdenklich stimmende Zeitzeugen haben sie aber nichts an ihrer Wirkung verloren.

Gedicht zu Hungersteinen: "Wie konnten wir überleben bloß"

Mit dem Gedicht "Die Hungersteine von Worms am Rhein" erinnere Autor Erdmann Höra an die Hungersnot im Nachkriegsjahr 1947, so die Touristeninformation Worms auf ihrer Internetseite und zitiert daraus einige Zeilen:

"Wie konnten wir überleben bloß. Was gab es zum Essen für Frau und Kind? Wir liefen weit, weit hinaus auf das Land. Vielleicht gab es gar dort noch einen Freund? Ob man wohl dort noch etwas Essbares fand? Mancher hat leider davon nur geträumt ..."

"Spanisches Stonehenge" freigelegt

Auch in Spanien hat die Dürre nun besondere Steine freigelegt. Es ist der Dolmen von Guadalperal, auch "spanisches Stonehenge" genannt - vor Jahrtausenden möglicherweise ein Grab. Hungersteine, die an extremes Niedrigwasser erinnern, verbergen sich hinter diesen Steinen jedenfalls nicht. Erst seit der Erschaffung des Stausees Valdecañas in den 1960er-Jahren befindet sich der Dolmen von Guadalperal unter Wasser - zumindest normalerweise.