Experten fordern unabhängige Stelle für Ermittlungen gegen Polizisten

Stand: 10.08.2022, 15:42 Uhr

Ein 16-Jähriger ist in Dortmund bei einem Polizeieinsatz erschossen worden. Jetzt wird gegen den Polizisten ermittelt. Die Polizei Recklinghausen hat den Fall übernommen - damit soll eine neutrale Ermittlung gesichert werden. Experten kritisieren aber, dass es in NRW keine unabhängige Stelle gibt, die in solchen Fällen tätig wird.

Von Christina Höwelhans

Um neutrale Ermittlungen zu gewährleisten, ermitteln in Nordrhein-Westfalen Polizeibehörden nicht gegen die eigenen Beamten. In solchen Fällen werden die Ermittlungen abgegeben, dabei gibt es feste Kooperationen: Düsseldorf ist immer für Duisburg zuständig und umgekehrt, ebenso Bonn und Köln. Und Dortmund und Recklinghausen tauschen ihre Fälle untereinander. Aktuell ermitteln die Polizeibehörden dort in zwei Fällen gegenseitig:

Dortmund und Recklinghausen ermitteln gegenseitig wegen Todesfällen bei Polizeieinsätzen

Am Montag ist bei einem Polizeieinsatz in Dortmund ein junger Senegalese ums Leben gekommen, nachdem ein Polizist mehrfach auf ihn geschossen hat. Der 16-Jährige wohnte in einer Jugendhilfeeinrichtung. Ein Betreuer hatte ihn mit einem Messer gesehen und die Polizei gerufen.

Die kam mit elf Beamten, einer von ihnen schoss mit einer Maschinenpistole und traf den Jugendlichen fünf Mal. Gegen den Polizisten wird ermittelt, wie in solchen Fällen üblich. Es geht um den Anfangsverdacht der Körperverletzung mit Todesfolge. Recklinghausen hat den Fall von Dortmund übernommen.

Umgekehrt ermittelt Dortmund derzeit in einem Fall in Recklinghausen: Dort hat am Sonntag ein Mann in seiner Wohnung randaliert und soll massiv Widerstand geleistet haben, als die Polizei kam. Der Mann wurde fixiert und ist später gestorben. Es gibt Hinweise, dass er unter Drogen stand. Diesen Fall hat Dortmund von Recklinghausen übernommen.

Kriminologen fordern unabhängige Ermittlungsbehörden

Kriminologen kritisieren die Zuständigkeiten der Polizeibehörden untereinander. "Es gibt eine sehr starke Binnenkultur innerhalb der Organisation Polizei, ein sehr starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das heißt, wenn man als Kollege gegen Kollegen ermittelt, geht man immer mit einem gewissen Verständnis an einen solchen Fall ran", sagte der Kriminologe Tobias Singelnstein von der Uni in Frankfurt am Main dem WDR.

Er plädiert für eine unabhängige Behörde, die solche Ermittlungen führt und nicht in der Polizei angesiedelt ist. Der Kriminologe Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg spricht sich für einen unabhängigen Polizeibeauftragten aus, der in solchen Fällen ermitteln darf.

NRW sei generell nicht besonders weit, was unabhängige Ermittlungen in der Polizei angehe, so Kriminologe Singelnstein: In anderen Bundesländern wie Hamburg und Bayern gebe es zumindest spezielle Dienststellen innerhalb der Polizei, die nur für die Bearbeitung von Fällen zuständig sind, bei denen es um Polizeieinsätze geht.

Gewerkschaft der Polizei verweist auf gründliche Ermittlungen

Die Gewerkschaft der Polizei kann die Kritik nicht nachvollziehen. "Die Kolleginnen und Kollegen ermitteln gründlich. Man würde sich auch strafbar machen, wenn man etwas unter den Tisch fallen lassen würde", so der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Maatz gegenüber dem WDR: "Herr des Ermittlungsverfahrens ist immer die zuständige Staatsanwaltschaft. Und natürlich schauen auch die zuständigen Staatsanwälte genau auf den Vorgang."

Landesregierung plant unabhängigen Polizeibeauftragten

Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, einen unabhängigen Polizeibeauftragten vom Landtag einsetzen zu lassen. Noch ist unklar, wann das passieren wird und vor allem: Wofür ein solcher Beauftragter zuständig sein wird. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gibt es jeweils bereits eine solche Beauftragte - sie dürften aber strafrechtliche Ermittlungen wie die in Dortmund und Recklinghausen gar nicht übernehmen.