Habecks Ansage hat am Freitag viele überrascht: "Wenn wir Kurs halten, erreichen wir unsere Klimaziele 2030", erklärte der Grünen-Politiker und bezog sich dabei auf neue Daten des Umweltbundesamts. Demnach ist der Ausstoß im vergangenen Jahr gegenüber 2022 deutlich gesunken. Der Klimaschutzminister sagte außerdem, "dass sich die politischen Anstrengungen lohnen und gelohnt haben."
Ist der Optimismus gerechtfertigt? Sascha Samadi mahnt zur Vorsicht. Er ist Co-Leiter des Forschungsbereichs Sektoren und Technologien am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dort befasst sich Samadi unter anderem mit klimapolitischen Strategien im Energiesystem.
WDR: Herr Samadi, liegt dieser Rückgang im vergangenen Jahr wirklich daran, dass wir substantiell vorangekommen sind beim Klimaschutz?
Sascha Samadi: Zum einen haben wir im letzten Jahr in Deutschland erstmals seit rund 20 Jahren mehr Strom aus dem Ausland importiert, als wir exportiert haben. Dadurch mussten weniger Kohle- und Gaskraftwerke in Deutschland laufen, und dadurch sind die Emissionen in der Energiewirtschaft sehr deutlich zurückgegangen. Das ist natürlich erfreulich für die Emissionen in Deutschland. Aber es ist ein Sondereffekt, der relativ wenig mit Klimaschutzpolitik zu tun hat und der sich in den nächsten Jahren auch wieder verändern könnte.
Und ein weiterer wichtiger Faktor für den Emissionsrückgang sind die krisenbedingten Produktionsrückgänge in der Industrie. Gerade die energieintensive Industrie hat weniger produziert im letzten Jahr als im Vorjahr, also rund zehn Prozent weniger, weil vor allem die Preise für Strom und Erdgas sehr hoch waren. Deswegen war die Industrie teilweise auch nicht so wettbewerbsfähig wie in den Vorjahren und konnte weniger produzieren.
Es gibt aber auch ein paar Effekte, die wirklich dem Klimaschutz gutgeschrieben werden können. Die sind aber weniger groß in ihrem Ausmaß. Dazu gehört nicht zuletzt der erfolgreiche Ausbau der erneuerbaren Energien im letzten Jahr in der Stromerzeugung.
WDR: Wirtschaftsminister Habeck hat ja heute gesagt, er sieht Deutschland jetzt erstmals auf Kurs für die Klimaziele 2030. Jetzt haben Sie gerade gesagt, wir haben hier aber eher Sondereffekte. Sind Sie auch so optimistisch, dass das mit den Klimazielen bis 2030 klappen wird?
Sascha Samadi: Es kann auf jeden Fall klappen, den Optimismus teile ich. Wir haben Entwicklungen, die tatsächlich dazu führen werden, dass die Emissionen zurückgehen werden. Ob wir wirklich bis 2030 das Ziel erreichen, 65 Prozent weniger Treibhausgasemissionen als im Jahr 1990 zu erzeugen, das ist allerdings noch unsicher. Diese Projektionen, die jetzt veröffentlicht wurden, sind natürlich immer mit Unsicherheiten behaftet.
Und wir sehen auch , dass dieses Ziel in den aktuellen Projektionen nur sehr knapp erreicht wird. Aber es ist sicherlich möglich. Und dabei würde helfen, wenn wir die Dynamik beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die wir in den letzten zwei, drei Jahren gesehen haben, tatsächlich verstetigen und noch weiter ausbauen könnten. Also wenn der Zubau gerade von Photovoltaik und auch Windenergie in Zukunft so stark zunimmt wie die Bundesregierung das erhofft, dann ist das sicherlich möglich, die Ziele zu erreichen.
WDR: Das passiert ja nun nicht von alleine. Wo muss die Ampel-Regierung noch deutlich mehr tun, damit das mit dem ausreichenden Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 so klappt?
Sascha Samadi: Tatsächlich hat die Regierung in den letzten zwei Jahren im Bereich erneuerbarer Energien die Rahmenbedingungen deutlich verbessert. Davon hat vor allem die Photovoltaik profitieren können. Wir haben im letzten Jahr einen fast doppelt so hohen Ausbau wie im Vorjahr gehabt. Und hier ist wirklich eine Vereinfachung von Bürokratie durchgesetzt worden.
Auch die Fördersätze für den erzeugten Strom aus Solarenergie wurden erhöht, und ein ganzes Maßnahmenbündel wurde beschlossen, was allerdings zum Teil auch noch umgesetzt werden muss. Es ist wichtig, dass es beim sogenannten Solarpaket zu einer Entscheidung kommt. Und bei der Windenergie ist der Fortschritt etwas langsamer. Dort sind vor allem auch die Bundesländer in der Pflicht, genug Flächen auszuweisen, auf denen Windenergieanlagen gebaut werden können. Und es ist in den nächsten Jahren besonders wichtig, dass diese Flächenverfügbarkeit zunimmt und die Akzeptanz in der Bevölkerung möglichst hoch bleibt, um die Windenergie auch so ausbauen zu können.
WDR: Jetzt ist das große Sorgenkind seit langem der Verkehr. Das haben die Zahlen erneut gezeigt. Ist der Verkehrssektor der Knackpunkt, damit das klappen kann mit den Klimazielen bis 2030 ?
Sascha Samadi: Ja. Bisher kann die Energiewirtschaft - also vor allem die Fortschritte, die es in der Stromerzeugung gibt - den eigentlich zu geringen Fortschritt im Verkehrssektor immer noch kompensieren. Und auch im Gebäudebereich läuft es nicht so toll. Bis 2030 wird das wahrscheinlich weiter so sein, dass die Energiewirtschaft da ein bisschen kompensieren kann. Und dennoch muss es auch im Verkehrssektor bis 2030 Fortschritte geben. Und darüber hinaus natürlich sowieso. Wir wollen ja 2045 klimaneutral werden. Da sind wir bisher gar nicht auf Kurs.
WDR: Was sehen Sie als wichtigsten Punkt, der jetzt angepackt werden muss ?
Sascha Samadi: Wir dürfen auf keinen Fall wegen eines relativ positiven Jahrs und auch durch die verbesserte Projektion, die wir jetzt haben, unsere Bemühungen beim Klimaschutz verlangsamen. Das sollte uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Wir dürfen nicht nachlassen. Es ist kein Selbstläufer, und wir müssen weiter zusehen, wie wir Maßnahmen verschärfen, um nicht nur das Ziel 2030, sondern auch das Ziel von 2045 erreichen zu können.
Das Interview führte Louisa Schmidt.