Salman Rushdie: Knife. Gedanken nach einem Mordversuch.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben
Penguin, 256 Seiten, 25 Euro.
(ET: 16. April.)
Am 11. August 2022 erreicht Salman Rushdie die Chautauqua Institution, ein Bildungszentrum im Nordosten der USA. Am kommenden Vormittag wird er hier vor einigen tausend Gästen sprechen. Nach dem Abendessen geht er gut gelaunt noch einmal vor die Tür.
"Allein, von der Nacht umhüllt, nur der Mond und ich."
Zufrieden lässt sich Rushdie von seinen Gedanken davontragen. Sein neuer Roman "Victory City" ist gerade erschienen und: er ist glücklich verliebt.
"Wir aber wissen, was er nicht weiß. Wir wissen, dieser glückliche Mann am See schwebt in Lebensgefahr."
Am nächsten Tag, es ist der 12. August 2022, greift ein Attentäter Salman Rushdie auf offener Bühne mit einem Messer an und verletzt ihn lebensgefährlich. Aus seinem Buch erfahren wir nun, wie Salman Rushdie selbst den Angriff erlebt hat.
"Dann sah ich aus dem rechten Augenwinkel – das Letzte, was mein rechtes Auge je sehen würde – aus der rechten Seite des Sitzbereichs einen Mann in Schwarz auf mich zurennen."
Der Attentäter sticht auf Salman Rushdie ein. 27 Sekunden dauert der Angriff. Dann wird der Attentäter überwältigt. Und Salman Rushdie mit dem Hubschrauber in die nächstgelegene Intensivstation gebracht. Sein Leben ist in größter Gefahr.
"Mehrere Chirurgen arbeiteten gleichzeitig an verschiedenen Verletzungen. Hals, rechtes Auge, linke Hand, Leber und Unterleib. Schnittwunden im Gesicht und auf der Brust. Danach hing ich am Beatmungsgerät, aber ich war nicht tot. Ich lebte."
Und dieses Leben lässt er nicht mehr los. So wie die Schilderungen des Schriftstellers die Lesenden nicht mehr loslassen. Seine Ohnmacht, seine Ängste, seine Schmerzen macht der schwerverletzten Salman Rushdie mit all seinem Können erfahrbar: wie entsetzlich es sich anfühlt, beatmet zu werden, nicht mehr schreiben zu können, ein Auge verloren zu haben. Und gleichzeitig macht er klar, dass er ohne seine Frau und seine Familie das Leben nicht hätte festhalten können.
"Einer der bedeutsamsten Wege, auf denen ich verstehen lerne, was mir passiert ist, auf denen ich das Wesen dessen begreife, was ich erzählen will, führt zu dem Schluss, dass dies eine Geschichte ist, in der auf Hass mit Liebe geantwortet und durch sie schließlich überwunden wird."
Denn eigentlich – so beschreibt Salman Rushdie das Davor – eigentlich ist sein Leben so schön gewesen wie der Abend vor dem Attentat im Mondlicht.
"Dann kam das Messer und zerschnitt dieses Leben."
Aber, zu diesem Schluss kommt der Autor weiter in einer der vielen Nächte nachts im Krankenbett: Anders als ein Gewehr ist ein Messer nicht allein eine Waffe, es kann verschiedene Zwecke habe, es ist ein Werkzeug. Und das, so Rushdie, hat das Messer mit der Sprache gemein:
"Sprache war mein Messer. Sie könnte auch das Werkzeug sein, mit dem ich meine Welt wieder errichten und wieder einfordern konnte, sie könnte den Rahmen formen, mit dem ich mein Bild von der Welt wieder an die Wand zu hängen vermochte."
Die Sprache, so Salman Rushdie, war machtlos im Augenblick des Messerangriffs. Danach aber ist sie umso mächtiger. Der Schriftsteller führt die Lesenden ganz langsam aus der Hölle des beinahe tödlichen Überfalls zurück ins Leben. Es dauert Wochen, bis er für wenige Schritte aus dem Bett kommt. Es dauert Monate, bis er das Krankenhaus verlassen kann – und viele weitere Monate, bis er die verletzte linke Hand wieder bewegen kann. Ein Jahr und einen Monat nach dem Attentat kehrt Salman Rushdie mit seiner Frau Eliza an den Tatort zurück. Und beschreibt diese Rückkehr als Befreiung.
"Ein Kreis hatte sich geschlossen, und ich tat, was ich mir erhofft hatte – ich schloss meinen Frieden mit dem Geschehenen, schloss Frieden mit meinem Leben. Ich stand da, wo ich fast getötet worden war [...] und fühlte mich … ganz."
Salman Rushdie weiß noch immer wie nur wenige mit Sprache umzugehen. Und so bräuchte dieser persönliche Bericht eigentlich zwei Trigger-Warnungen: einerseits vor den drastischen Details der Notfall-Medizin – andererseits vor dem Humor des Autors, den er sich schon wenige Wochen nach dem Attentat wieder zurück erobert hat. Salman Rushdie hat den Hass seines Attentäters überwunden – und dem Publikum ein packendes Plädoyer für die Freiheit geschenkt.