"Marigold und Rose" von Louise Glück

Stand: 30.04.2024, 07:00 Uhr

Louise Glück war 2020 die erste US-amerikanische Poetin die den Literaturnobelpreis erhielt. Nun ist mit "Marigold und Rose" ihr letztes Buch auf Deutsch erschienen. Eine Rezension von Juliane Bergmann.

Louise Glück: Marigold und Rose. Eine Erzählung
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné.
Luchterhand, 2024.
64 Seiten, 18 Euro.

"Marigold und Rose" von Louise Glück Lesestoff – neue Bücher 30.04.2024 04:28 Min. Verfügbar bis 30.04.2025 WDR Online Von Juliane Bergmann

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Zwei Mädchen, Marigold und Rose, kommen auf die Welt, ein bisschen zu früh, Kaulquappen noch, deshalb beginnt ihr Leben im Brutkasten, bevor sie dann nach Hause dürfen.

"Anfangs hatten Mutter und Vater von Zwillingen keinen blassen Schimmer gehabt. Sie hatten zwei gleiche Babys erwartet, wie nach einer Doppelbestellung im Restaurant. Oder vielleicht wie im Kaufhaus, wo es das gleiche Kleid in zwei unterschiedlichen Farben gibt. Aber mit so etwas hatten sie wirklich nicht gerechnet."

…nämlich damit, dass die Zwillinge schon im ersten Lebensjahr zu völlig unterschiedlichen, fast gegensätzlichen Charakteren heranwachsen. Die Literaturnobelpreisträgerin Louise Glück geht ein Wagnis ein und erzählt die Geschichte aus der Sicht der Säuglinge. Das gelingt ihr nur bedingt. Sie spielt mit der Idee: Was wäre, wenn Babys schon denken, sich nur noch nicht mitteilen könnten?

Während Marigold nach dem verschlossenen Vater kommt, also eher beobachtet, in ihren Gedanken lebt und unbedingt bald ihr erstes Buch schreiben will, ist Rose wie die Mutter: abenteuerlustig, extrovertiert und gesellig.

"Marigold mochte keine Menschen. Sie mochte Mutter und Vater; alle anderen hatte sie noch nicht gründlich genug untersucht. Rose mochte Menschen und war fest entschlossen, von den Menschen gemocht zu werden."

Die ungewöhnliche Perspektive äußert sich im sympathisch-naiven, keinesfalls aber belanglosen Ton. Ja, keine Frage: Louise Glück weiß, wie poetische Sprache geht. Das merkt man auch diesem Text an, überzeugend übersetzt hat ihn Eva Bonné.

Zwei noch winzige Kinder, die vor allem "Pflaster und Küsse" brauchen, die sich von den eigenen Triumphen ablenken lassen – weil sie krabbeln, gehen, klettern, sprechen lernen – und die vor allem Fragen ans Leben haben, die sie noch nicht formulieren können. Die Mutter bringt ihnen das Teilen bei. Sie lernen, sich selbst zu erkennen, stellen fest, wie groß die menschliche Unwissenheit ist und was Traurigkeit bedeutet. Etwa als die Mutter den Tod der Großmutter verkraften muss.

"Plötzlich ging Großmutter in den Himmel. Im Herzen der Zwillinge buk sie weiterhin Kekse."

Die Mädchen sind ein Gegensatzpaar: Die Wilde und die Scheue, die Sprechende und die Nachdenkliche, wie Schwarz und Weiß. Louise Glück erschafft mit diesem kleinen Gegenwarts-Märchen quasi eine Ur-Erzählung wie eine Art Diptychon, also ein zweiteiliges Gemälde. Nebenbei geht es auch um Themen wie Care-Arbeit, Schreibbiografien, Generationenkonflikte, doch von dem Erwachsenenkram verstehen die Hauptfiguren nicht viel. Das Buch ist schlau komponiert, angenehm in seiner Einfachheit, bedauerlicherweise aber auch etwas blutleer. Es werden ohne großen Kontext Weisheiten gestreut wie anlassloses Konfetti.

"Je mehr du vertraust, desto mehr kannst du dir leisten zu verlieren."

Die Gefühle der Schwestern werden zwar beschrieben, kommen jedoch nicht bei der Leserin an. Dem Text fehlt eine gewisse Wärme, weil er sich zu sehr auf das Gedankenexperiment konzentriert. Genial ist die Kern-Frage dieser Erzählung, nämlich welche Rolle Sprache bei unserer Menschwerdung spielt. Die Befassung damit bleibt letztlich – wie das 64-Seiten-Bändchen selbst – einfach zu dünn.

"Sie versuchte zu hören, was das Buch wollte. Aber das Buch schwieg."

Vielleicht ein Trost: Auch Louise Glück galt als rätselhaft menschenscheu, so dass sie sich mit Marigold ein Alter Ego geschaffen haben könnte. Das Buch mag mehr über die Autorin erzählen als alles andere. Aber hey: Immerhin.