Sport inside: Herr Thormann, der viermalige Tour-de-France-Sieger Christopher Froome hat 2013 und 2014 medizinische Ausnahmegenehmigungen (TUE) für das Kortisonpräparat Prednisolon bekommen mit einer Dosierung von 40 Milligramm täglich jeweils für sechs bzw. sieben Tage. Wirkt das Mittel leistungssteigernd?
Sebastian Thormann: Für einen Gesunden sicherlich. Wenn jemand stark erkrankt ist, bringt es ihn vielleicht auf das normale Level eines normal fitten Sportlers zurück. Das ist genau die Diskussion, die man jetzt hat. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, ob er damit eine Leistungssteigerung von fünf oder zehn Prozent gehabt hat. Aber es ist sicherlich problematisch mit systemischem Kortison zu arbeiten. Gerade in einem Bereich, in dem es relativ viele andere medikamentöse Therapien für Asthma gibt. Es ist lege artis, also nicht verboten. Es ist auch nicht verkehrt. Es ist keine falsche Therapie. Es ist einfach so: Es gibt in Deutschland und international Guidelines für die Therapie von Asthma. Und da ist systemisches Kortison immer die letzte Möglichkeit. Etwas, das man noch zusätzlich geben kann.
Zur Person
Der ehemalige Weltklasse-Ruderer Sebastian Thormann, 42, ist Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie und arbeitet im Kantonsspital Luzern in der Schweiz. Als Vorsitzender der Kommission Medizin bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) in Bonn wurde er Ende 2017 in die Expertenkommission für Medizinische Ausnahmegenehmigungen (TUE) der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA berufen.
Sport inside: Die 40mg pro Tag sind ihm während der laufenden Tour de Romandie verordnet worden. Wie kann man denn kontrollieren, ob er wirklich nur diese 40mg genommen hat?
Sebastian Thormann: Man kann nicht ausschließen, dass er mehr oder weniger genommen hat. Er kann gar nichts genommen haben, er kann auch mehr genommen haben. Letztendlich kann man ihn nicht einsperren und rund um die Uhr bewachen, was er nimmt.
Sport inside: Würde die NADA eine solche TUE ausstellen?
Thormann: Wir haben bisher so eine TUE für systemisch Kortison bei Asthma nicht ausgestellt. Ich persönlich würde mich auch extrem schwertun damit und dort sehr, sehr viele Hemmnisse vorschalten. Am Ende braucht es eine entsprechende Dokumentation. Man hätte es dann mit Sportlern zu tun, die die ersten vier Stufen an Therapien durchlaufen und auf alle nicht entsprechend reagieren. Kortison wäre dann die fünfte und letzte Stufe. Da kann man sich schon fragen, ob der Sportler noch in der Lage ist, überhaupt Wettkampfsport zu betreiben.
Sport inside: Wer entscheidet bei einem international startenden, deutschen Radprofi über eine TUE?
Thormann: Wenn es ein international startender, deutscher Radprofi ist sofort der internationale Verband zuständig.
Sport inside: Heißt also, ein bisschen ketzerisch ausgedrückt, ein deutscher, international startender Radprofi würde ein TUE für Kortison bei der NADA nicht kriegen, hat aber offenbar keine Probleme, die beim internationalen Radsportverband zu kriegen und hat die freie Wahl.
Thormann: Bedingt, ja. Er hat eigentlich nicht die freie Wahl, weil er sich ja an den internationalen Verband wenden muss. Der ist zuständig. Insofern: Wenn er sich an die NADA wenden würde, würde die sagen: 'Wir sind nicht zuständig, wir müssen das an den internationalen Verband abgeben.' Der internationaler Verband kann aber sagen: 'Kommt NADA, macht ihr das. Wir wissen, ihr macht super Arbeit und wir übernehmen alles, was ihr macht.' Da gibt es gewisse Vereinbarungen.
Aber es ist schon so, dass der Sportler theoretisch sagen kann: 'Ich probiere es erstmal bei der NADA Wenn das nicht geht, gehe ich zum internationalen Verband.' Am Ende gibt es noch übergeordnet die Welt-Anti-Dopingagentur, die sich die ganzen TUEs anschauen und auch einkassieren kann. Die WADA kann sagen: 'Das ist ein Approval, das geht gar nicht.' Oder: 'Ja, das ist in Ordnung.' Die können natürlich nicht jedes Approval kontrollieren. Aber die testen relativ viel. Wir kriegen ja ab und zu Mal eine Rückmeldung zu unserem System. Die WADA verlangt dann die medizinischen Daten dazu zu sehen. Und wir kriegen dann eine Rückmeldung.
Sport inside: Im Fall Froome hat die WADA aber offenbar keinen Grund gesehen einzuschreiten.
Thormann: Genau. Alle drei Jahre treffen sich die Vorgesetzten der TUE-Komitees der nationalen Anti-Dopingagenturen und der Weltverbände. Dort werden solche Fälle diskutiert. Das Interessante ist schon, dass das je nach Land, je nach Verband auch ein bisschen unterschiedlich gehandhabt wird. Ich kann jetzt nicht beurteilen, wie in Großbritannien Asthma therapiert wird. Ich kenne die weltweiten und die deutschen Guidelines. Aber es ist schon so, dass man einen Fall konstruieren kann, bei dem die anderen Therapiemöglichkeiten alle nicht ausreichen, und der Sportler gesundheitlichen Schaden davon tragen würde, wenn er das systemische Kortison nicht bekommen würde. Und dass dies dann auch von der WADA gutgeheißen wird.
Sport inside: Aber systemisch gegebenes Kortison ist schon ein Problemfall?
Thormann: Das ist sicherlich ein Problemfall. Andererseits gibt es auch Gründe dafür es zu geben, um den Sportler vor gesundheitlichen Schädigungen zu schützen. Es gibt Diagnosen, bei denen man systemisch Kortison geben kann. Und bei Asthma gehört Kortison halt in der fünften Stufe des Treatments dazu. Wie gesagt: In Deutschland wurde bisher, soweit man das überblicken kann, noch kein Approval dafür ausgestellt. In anderen Ländern aber häufiger so, dass solche Genehmigungen ausgestellt werden.
Das Interview führte Ralf Meutgens