Ob seine Eltern ein Zeichen Gottes darin sahen, dass ihr Sohn ausgerechnet am ersten Weihnachtstag zur Welt kam? Naheliegend wäre es. Denn Joachim Meisner wurde am 25.12.1933 in Lissa (Schlesien) in eine streng katholische Familie hineingeboren. Aber dass ihn sein Weg bis an die Spitze des größten deutschen Erzbistums führen würde, konnten sie auch nicht ahnen.
Es deutete nichts darauf hin, dass er einmal Erzbischof und Kardinal sein würde. Sein Vater starb in Kriegsgefangenschaft, die Mutter floh mit den Kindern nach Thüringen - und Joachim wurde Banklehrling statt Priesterkandidat. Das holte er aber bald nach, studierte, promovierte, stieg die Kirchen-Karriereleiter Sprosse für Sprosse höher, bis er 1980 zum Bischof von Berlin ernannt wurde. Eine Bewährungsprobe, vor die ihn Papst Johannes Paul II. stellte, denn das Bistum war genau so geteilt wie die Stadt, und die katholische Kirche hatte in der zunehmend atheistischen DDR ohnehin einen schweren Stand. Dazu kam, dass das Domkapitel ihn gar nicht haben wollte - die Berliner Katholiken setzten auf Ökumene, und davon hielt Meisner nur wenig.
Ein Schlesier im Rheinland
Trotzdem: Meisner, der 1983 Kardinal wurde, gefiel es in Berlin. Er wäre gerne dort geblieben - aber in Köln wurde nach dem Tod von Kardinal Höffner ein neuer Erzbischof gebraucht, und für Meisner war es ein "Akt des Glaubensgehorsams", dass er sich nicht verweigerte. Dass er auch hier gegen den Willen des Domkapitels berufen wurde, muss für ihn ein besonders unangenehmes Déja-Vu-Erlebnis gewesen sein. Der Papst hatte nach monatelangem Hin und Her kurzerhand die Wahlordnung geändert und damit seinen Wunschkandidaten durchgesetzt. Gläubige und Theologen protestierten gegen diese "Entmündigung". Andere befürchteten, dass Meisner nicht ins liberale Rheinland passen würde. Als er am 12.2.1988 im Kölner Dom in sein neues Amt eingeführt wurde, standen sie mit Plakaten vor der Tür und skandierten Protestparolen.
Bastion in der Brandung der Moderne
Ob Meisner darunter litt, dass er nicht mit offenen Armen aufgenommen wurde? Er ließ sich jedenfalls nicht beirren: Er sei nicht nach Köln gekommen, um sich beliebt zu machen, sagte er in einer WDR-Sendung. Das war 1989, ein Jahr nach seiner Amtseinführung, und an dieser Einstellung würde sich auch in den nächsten Jahrzehnten nichts ändern. "Er ist zweifellos ein tieffrommer Mann, der konsequent handelt, ohne dass er sich durch Kritik abbringen lässt", sagt Domprobst Norbert Feldhoff, 15 Jahre lang als Generalvikar Meisners zweiter Mann. Ein Kardinal, der die Kirche auf Kurs hält, die Positionen der Päpste vertritt und gegen die Anfechtungen der Moderne verteidigt: So sah und sieht Meisner seine Aufgabe.
Fatale Vorliebe für "flotte Sprüche"
"Wachhund der Kirche" war nur ein Titel, mit dem er bedacht wurde, "Hassprediger" ein anderer. Denn egal, ob "Pille danach", der Umgang mit Kritikern, das Verhältnis zu Protestanten, Juden oder Homosexuellen: Meisner eckte an, riss Gräben auf und vertiefte sie noch mit seiner "Vorliebe für flotte Sprüche", die schon seine Amtsbrüder kritisierten. Mal verglich er die Abtreibungspille RU 486 mit Zyklon B, mit dem Hunderttausende in den Gaskammern umgebracht wurden, oder empfahl der CDU, das "C" zu streichen, solange sie nicht eindeutig Stellung gegen die Abtreibung bezog. Ein anderes Mal warnte er davor, dass die Kultur entarten könne, wenn sie von der Gottesverehrung abgekoppelt werde - eine Formulierung, die zu sehr an die "entartete Kunst" der Nazis erinnerte, um kritiklos hingenommen zu werden. Sie schaffte es auf den dritten Platz als Unwort des Jahres 2007 und trug ihm einen weiteren Beinamen ein: "notorisch geistiger Brandstifter" nannte ihn eine Zeitung.
"Wir sind alle Zebras"
Manchmal ruderte Meisner zurück, entschuldigte sich sogar, wie bei der jungen Frau, die Anfang des Jahres vermutlich vergewaltigt und danach in zwei katholischen Krankenhäusern abgewiesen wurde. "Kein Mensch ist ganz schwarz oder ganz weiß", sagte er 1989 im WDR-Fernsehen. "Wir sind alle Zebras, ich auch." Dass er etwa als Kenner und Sammler moderner Kunst gilt, ist wenig bekannt - und verhinderte auch nicht, dass er das berühmte Richter-Fenster im Kölner Dom als unpassend abkanzelte. Diese Zwiespältigkeit macht vielen zu schaffen. Sie habe ihn "persönlich sehr bescheiden und authentisch erlebt", sagt Nicole Harbeke, Pressereferentin des Erzbistums. Andererseits halten ihm Kritiker einen Hang zum "pseudobarocken Pomp" vor. Und für Ulrich Harbecke, der der kirchenkritischen "Kirche von unten" nahe steht, ist er "ohne Gespür für die Nöte der Menschen".
Hoffen auf den Nachfolger
"Er ist kein böser Mensch, der morgens aufsteht und sich überlegt, was richte ich heute an", sagt Harbecke. "Aber er ist eine Fehlbesetzung." Das gilt jetzt erst recht: Im Vatikan herrscht ein neuer Geist, Papst Franziskus lässt die Katholiken befragen, wie sie es mit Ehe, Sex und Treue halten. Deswegen freuen sich viele Kölner darüber, dass Meisner den Papst um seine Entlassung gebeten hat. Denn damit besteht die Chance, dass ein Kandidat berufen wird, mit dem die Kölner gut leben können. Ein Brief, in dem diesmal mehr Mitspracherecht gefordert wird, ist schon in Rom eingetroffen.
Festamt im Dom - zu Ehren Jesu Geburt
Wann Meisner tatsächlich geht, steht noch nicht fest. Auf den Brief oder den Anruf aus dem Vatikan wartet er noch, und auch dann können noch ein paar Wochen bis zu seinem endgültigen Abschied vergehen. Er wünscht sich, dass er nicht bis zur Wahl seines Nachfolgers bleiben muss, heißt es aus der Pressestelle. Er hat schon Pläne für die Zukunft: Das Laufen fällt ihm zwar schwer, deswegen kann er keine langen Spaziergänge mit dem Hund machen. Aber er will Pfarrer im Urlaub vertreten oder endlich wieder selbst die Beichte hören. "Ich hoffe, er lebt sich in die Rolle ein, dass er nicht mehr der Erste ist", wünscht ihm Domprobst Feldhoff. Meisner bleibt übrigens in Köln, damit Besucher keine langen Fahrten auf sich nehmen müssen. Und am 25. Dezember feiert er im Dom - nicht seinen runden Geburtstag, sondern die heilige Messe. Für eine Familienfeier hat er an diesem Tag keine Zeit. Aber es bleibt ein denkwürdiger Tag: das letzte Weihnachtsfest für Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln.