Vor drei Jahren, am 4. November 2011, enttarnte sich der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) selbst. Die sogenannte Zwickauer Terrorzelle soll jahrelang unerkannt gebombt und gemordet haben - drei Mal in NRW. Doch weder zwei Bombenanschläge in Köln noch einen Mord in Dortmund konnten die Behörden aufklären. Pannen bei Polizei und Verfassungsschutz, Schreddern von geheimen Akten - damit befasst sich nun ein Untersuchungsausschuss im Düsseldorfer Landtag, der am 16. Dezember 2014 mit der konstituierenden Sitzung seine Arbeit beginnt. Vor allem geht es um die Frage, ob die Verbrechen ausschließlich von Einzeltätern aus dem Osten verübt wurden, oder ob sie in NRW auf ein Netz von Unterstützern zurückgegriffen haben. WESTPOL hat sich auf Spurensuche gemacht und ist dabei auf Auffälligkeiten gestoßen.
Verbindungen zu Dortmunder Neonazis?
Fragen ergeben sich zum Beispiel im Zusammenhang mit dem Mord an Mehmed Kubasik, der am 4. April 2006 in seinem Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße erschossen wurde. Fünfeinhalb Jahre später - am 25. November 2011, also kurz nach dem Auffliegen des NSU - fand in einem Bielefelder Schnellrestaurant ein bemerkenswertes Gespräch statt. Ein Dortmunder Polizeibeamter traf den verurteilten Neonazi und ehemaligen V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes Sebastian S. WESTPOL liegt der entsprechende Polizeivermerk vor. Demnach berichtete S., dass er und andere bereits 2003 in Dortmund eine militante Gruppe aufgebaut hätten. Die Gruppe besorgte sich Waffen und nannte sich "Combat 18", wie ihr britisches Vorbild aus dem "Blood and Honour"-Umfeld. Die "Combat 18"-Bewegung setzt auf "führerlosen Widerstand" und Anschläge ohne Bekennerschreiben. "Das ist genau das Motto, nachdem der NSU vorgangen ist", sagt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der die Familie Kubasik vertritt. "Deswegen glauben wir, dass es da eine Verbindung gibt."
S. machte noch weitere Angaben. Es ging um die Tatwaffen des NSU. Im Vermerk der Dortmunder Polizei heißt es, dass S. "möglicherweise Angaben zur Herkunft der Schusswaffen TT 33 und Bruni machen kann." Mit diesen Waffenmodellen wurde bei den mutmaßlichen Morden des NSU geschossen. Was ist aus der Spur geworden? Die Hinweise von S. sind offenbar von den Ermittlungsbehörden gar nicht weiterverfolgt worden, sagt Anwalt Scharmer. Die Generalbundesanwaltschaft erklärt auf WESTPOL-Anfrage, dass sie der Spur nachgegangen sei. S. sei aber "bislang nicht bereit, im Rahmen einer förmlichen Zeugenvernehmung weitere Angaben zu machen."
Ein unbekannter Dritter als Bombenleger?
Fragen ergeben sich für den nordrhein-westfälischen NSU-Untersuchungsausschuss auch aus dem Bombenanschlag, der sich am 19. Januar 2001 in einem Lebensmittelladen an der Kölner Probsteigasse ereignet und die 19-jährige Tochter des iranisch stämmigen Inhabers schwer verletzt hatte. Wie kam der NSU ausgerechnet auf dieses Geschäft, an dessen Außenschild noch der deutsche Name des Vorbesitzers zu lesen ist? Hatte das NSU-Trio in Köln Unterstützer, die den Tipp für den Tatort gegeben haben? Oder hat womöglich eine ganz andere Person die Bombe, versteckt in einem Geschenkkorb, im Laden abgelegt?
Der Ladeninhaber hatte damals eine genaue Beschreibung jenes Mannes gemacht, der den Geschenkkorb im Laden deponiert hatte. Aber das Phantombild passt offensichtlich nicht zu Uwe Böhnhardt oder Uwe Mundlos. Aber es hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Kölner Rechtsextremisten, der Mitte der 1980er Jahre wegen eines Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz verurteilt wurde. Doch dieser Mann wurde offenbar nie offiziell vernommen. Die Generalbundesanwaltschaft erklärte auf Anfrage von WESTPOL, es gebe "keinen tragfähigen Ansatzpunkt" für eine Vernehmung des Rechtsextremisten. Diese Antwort reicht Rechtsanwältin Edit Lunnebach, die die Opfer des Anschlags vertritt, nicht: "Wir meinen, dass wir da nicht nachgeben dürfen." Es müsse geklärt werden, wer den Geschenkkorb abgestellt habe.
Antworten bis zum Frühjahr 2017?
Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hatte lediglich drei Tage, um sich mit den Kölner Bombenanschlägen in der Probsteigasse und in der Keupstraße sowie dem Mord in Dortmund zu befassen. Viel zu wenig, meint der damalige CDU-Obmann Clemens Binninger: "Das ist für mich im Moment das Fazit: Dass viele Antworten im Moment noch nicht da sind. Und viele Fragen bestehen, auch was Täterschaft und Unterstützer angeht." Möglicherweise findet der NSU-Untersuchungsausschuss in NRW Antworten - zumindest hat er dafür Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2017. Dann muss seine Arbeit abgeschlossen sein.