WDR.de: Herr Blätte, die Ergebnisse der Landtagswahlen stehen fest - Ihre erste Reaktion?
Andreas Blätte: Das Erstaunliche ist, wie zweideutig das Ergebnis ist. Einerseits haben die Wähler sehr eindeutige Mehrheitsverhältnisse geschaffen und die rot-grüne Koalition auf Dauer gestellt, andererseits gibt es offenkundig den Wunsch nach Veränderungen und einem neuen politischen Stil, der sich bei den Piraten zeigt.
WDR.de: Erstaunlich ist auch, wie stark die CDU verloren hat - weit mehr, als die Umfragerergebnisse hätten vermuten lassen, die auch schon nicht gut waren.
Blätte: Das hat natürlich mit den Ungereimtheiten im Wahlkampf des Norbert Röttgen zu tun, der sich nicht klar geäußert hat, ob er seine politische Zukunft hier in NRW sieht. Die CDU wird aber auch darüber nachdenken, ob sie nicht auf die falschen Themen gesetzt hat, ob man mit so abstrakten Themen wie der Haushaltskonsolidierung eine Wahl gewinnen kann.
WDR.de: Röttgen hat auch gleich die Konsequenzen gezogen und ist als CDU-Landesvorsitzender zurückgetreten. Bundesminister ist er aber noch.
Blätte: Er wird um sein Amt kämpfen müssen, weil er viel politisches Kapital eingebüßt hat. Es wird zu schwierig, in einer solchen geschwächten Position ein so großes Projekt wie die Energiewende zu verwirklichen. Da ist er sicherlich in Merkels Kabinett ein Wackelkandidat.
WDR.de: Wo sind all die CDU-Stimmen hingewandert?
Blätte: Zum einen zur SPD. Sie hat offensichtlich viele Stimmen von den Arbeitern und Arbeitslosen, die sich der CDU zugewandt haben, zurückbekommen. Dann hat es die CDU auch nicht geschafft, ihre Wähler zu mobilisieren - da sind viele daheim geblieben. Und schließlich haben CDU und FDP gegeneinander Wahlkampf gemacht - die FDP hat gewonnen.
WDR.de: Die FDP hat der CDU Stimmen abgenommen?
Blätte: Ja, das waren Wähler, die bei der CDU nicht genügend Profil gesehen haben und mit den Zweideutigkeiten Röttgens nicht zufrieden waren, die sind dahin abgewandert. Der "Lindner-Effekt" spielt aber auch eine Rolle.
WDR.de: Viele CDU-Wähler haben auch die Piraten gewählt. Ist das nicht eigentlich erstaunlich?
Blätte: Das waren Arbeiter und Arbeitslose, bei denen vielleicht der Protest eine Rolle gespielt hat, aber auch Selbständige und Angestellte. Aber die Piraten haben nicht nur der CDU oder den Grünen Stimmen abgenommen. Da mussten alle ein Stück von ihrem Kuchen abgeben.
WDR.de: Und damit haben die Piraten aus dem Stand 7,8 Prozent geschafft.
Blätte: Das ist für eine Partei, die zum ersten Mal in den Landtag einzieht, ein erstklassiges Ergebnis. Die Reaktionen auf die Wahlen in Griechenland und Frankreich haben zwar gezeigt, dass es Themen gibt, auf die sie keine Antworten haben, trotzdem ist das ein großer Erfolg.
WDR.de: Die Linken sind eindeutig draußen. Sind ihnen die Protestwähler abhanden gekommen, oder wie erklären Sie sich das Ergebnis?
Blätte: Für das Protestpotenzial gibt es dank der Piraten andere Ventile. Die Linke hat aber auch einen unklaren Oppositionskurs gefahren, und sie leidet massiv unter der Schwäche der Bundespartei.
WDR.de: Um zu den eigentlichen Siegern des Abends zu kommen: Die SPD hat gegenüber den Umfragen zugelegt und gegenüber 2010 sowieso. Was hat sie richtig gemacht?
Blätte: Die SPD hat eigentlich einen sehr traditionellen Wahlkampf gemacht. Hannelore Kraft hat mit ihrem präsidentiellen Stil zweifellos Erfolg gehabt. Und sie hat sehr authentisch an der Basis agiert.
WDR.de: Die Grünen sind stabil geblieben, obwohl sie eine ganze Weile bei den Umfragen schwächelten.
Blätte: Sie sind im Vergleich zur erstarkten SPD auch geschwächt, und vielleicht machen sie sich jetzt Sorgen, dass es mit der Politik auf Augenhöhe vorbei ist. Aber zu einer Kräfteverschiebung im rot-grünen Gleichgewicht wird das nicht führen. Es gibt noch so viele Punkte aus der Koalitionsvereinbarung von 2010, die abgearbeitet werden müssen, wie das Klimaschutzprogramm oder die Veränderungen im Schulwesen - da wird es nicht zu Brüchen kommen.
WDR.de: Und es gibt eine stabile Mehrheit, die sich Kraft so gewünscht hat.
Blätte: Das zeigt, dass die Minderheitsregierung der vergangenen Jahre den Rot-Grünen nicht zum Nachteil gereicht hat. Und weil die Linken nicht mehr da sind, auf die immer Rücksicht genommen werden musste, wird jetzt auch eine moderate Haushaltskonsolidierung leichter.
Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.