Das Wetter gibt an diesem Tag alles: Strahlender Sonnenschein, blauer Himmel, die Koordinaten für eine Grillparty könnten besser nicht sein. Eine Stunde vor Verkündung der Prognose stehen gut gelaunte Menschen im Garten der CDU-Parteizentrale in Düsseldorf. Sie tragen Sonnenbrille, sie sitzen entspannt auf der Terrasse im ersten Stock oder flanieren schon mal durchs Partyzelt - nur: es sind keine CDU-Mitglieder, sondern Mitarbeiter vom Catering, von der Technik und die Vertreter der Presse. Von der Partei will sich bislang kaum jemand blicken lassen. Die wenigen, die bis 17.30 Uhr den Weg gefunden haben, sprechen von einer deutlichen Niederlage, die sie erwarten. "Das macht die Kraft, ganz klar", sagt ein älterer Herr, der sich gerade das erste Pils bestellt. "32 Prozent werden wir wohl holen, aber Rot-Grün macht die Mehrheit." Das Wetter, die Sonne, der Himmel - für die CDU an diesem Nachmittag der blanke Hohn.
Totenstille, versteinerte Mienen
Dass es aber sogar noch schlimmer kommen soll, dass die CDU in der Prognose unter 26 Prozent hängen bleiben wird, das will zunächst noch niemand glauben. Erst als die Grafikbalken sich Punkt 18.00 Uhr auf den Bildschirmen aufbauen, wird den Anwesenden das wahre Ausmaß der Niederlage bewusst. Es ist nicht unbedingt still im Faltpavillon, aber sämtliche Geräusche, die man hört, gehören zu eifrig bedienten Fotoapparaten oder Kamerateams, die nervös mit ihrer Gerätschaft zickzack durchs Zelt laufen. Ansonsten: Totenstille, versteinerte Mienen. Einer übt sich in spontanem Galgenhumor: "Prost", sagt er leise und hält seine Pilstulpe in Richtung Plasma-Fernseher.
Norbert Röttgen sitzt zu diesem Zeitpunkt im Besprechungszimmer im zweiten Stock. Analysten hatten ihm das Ergebnis bereits vor 18.00 Uhr mitgeteilt. Das Parteipräsidium und die meisten Mitglieder seines Schattenkabinetts sind bei ihm. Gemeinsam entscheiden sie, was angesichts dieser Klatsche unumgänglich ist: Röttgen muss vom Parteivorsitz zurücktreten. Bereits sieben Minuten nach der Prognose hört man Röttgens Stimme im Treppenhaus, kurz darauf schreitet er mit seiner Frau hinunter ins Pressezentrum, ihre Hand fest umschlossen. Unsicher ist sein Gang, das Ergebnis setzt ihm zu, das sieht man.
"Eine eindeutige, klare Niederlage"
Und man hört es: "Das ist eine eindeutige, klare Niederlage", sagt er, deutlich bemüht, sich seine Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. "Ich will auch keine Relativierung anstrengen, das Ergebnis ist eindeutig, umfassend, klar." Er wird diese Adjektive noch häufiger gebrauchen. Es ist Ausdruck seiner Hilflosigkeit. Noch öfter, als die Worte, die die Niederlage bebildern sollen, fallen aber die Begriffe "Ich", "meine" und "mir". Röttgen nimmt die ganze Schuld auf sich. "Es waren meine Überzeugungen, meine Themen - die Niederlage der CDU war meine Niederlage." Was er damit bezweckt ist klar: Er will nicht nur den Landesverband aus der Schlappe raushalten, dem er sich vor zwei Jahren als Vorsitzender förmlich aufgedrängt hatte. Er will vor allem Angela Merkel aus dem Schussfeld nehmen, deren Sparkurs auf Europa-Ebene er in der Woche vor der Wahl noch mit zur Entscheidung gestellt hatte. Parteiintern soll er dafür harsch kritisiert worden sein. Dass der Versuch, vom Glanz der Kanzlerin zu profitieren, kläglich gescheitert ist, hat er jetzt, kurz nach 18 Uhr, amtlich. "Diese Niederlage tut richtig, richtig weh." Beim letzten Wort dieses für ihn bitteren Bekenntnisses wird seine Stimme kurz brüchig.
Röttgen bleibt Elefantenrunde fern
Um ihn herum die versammelte Parteiprominenz: Generalsekretär Oliver Wittke, Fraktionsvorsitzender Karl-Josef Laumann, Bundestagspräsident Norbert Lammert - ihnen allen steht der Schreck im Gesicht. Die Partei in der Schockstarre. Röttgen löst sich aus ihr und verlässt das Podium. Den Parteivorsitz will er abgegeben. Mehr ist nicht zu tun.
Das heißt: Doch. Norbert Röttgen wird sich auch in Berlin fragen lassen müssen, wie es zu diesem katastrophalen Ergebnis kommen konnte. Als Landespolitiker ist er gescheitert, aber auch als Bundespolitiker ist er nun angezählt. Die Ambitionen, die ihm nachgesagt werden, irgendwann mal Angela Merkel als Parteivorsitzender beerben zu wollen - sie dürften an diesem Abend in weite Ferne gerückt sein, wenn nicht sogar vollends begraben. Mit seinem Canossagang vor laufender Kamera versucht Röttgen, sich in sein Umweltministerium zurück zu retten. Offenbar will er dort still und leise weiter arbeiten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Wenn man ihn denn lässt. Die Chancen stehen nicht gut. Wie angeschlagen Röttgen tatsächlich ist, wird später klar, als sich die Spitzenkandidaten der Parteien im WDR-Funkhaus Düsseldorf zur Elefantenrunde versammeln. Die CDU schickt Generalsektretär Wittke. Röttgen leckt seine Wunden lieber im Stillen.
Stimmung wie beim Leichenschmaus
Im Garten der CDU-Geschäftsstelle unterdessen: eine Stimmung wie beim Leichenschmaus. Müde stößt die Basis mit Pils und Wasser an. Fragt man in die kleinen Personengruppen, die sich gebildet haben, wie die Partei mit diesem Ergebnis umgehen soll, schaut man in ratlose Gesichter, die nach kurzem Überlegen verzweifelt lächeln. "Noch'n Bier!", sagt einer, ein anderer: "Was soll man anderes machen, als darüber zu lachen?" Nur ein paar wenige gehen bereits analytischer vor. "Das war die einzig richtige Konsequenz", raunen sich zwei Herren mittleren Alters zu, die Haare grau, die Sakkos taubenblau. Gesprächsfetzen wie "Bekenntnis zu NRW" oder "traurige Figur" flirren durch die Luft. Namen wie "Gröhe" oder "Laschet" fallen, die möglichen Nachfolger Röttgens. Die Zeit der Abrechnung hat begonnen - wenn auch hinter vorgehaltener Hand.
Am Pilsstand im Garten: der ältere Herr, der eine halbe Stunde zuvor noch von 32 Prozent geträumt hat. Sein Blick ist müde. "Mal ernsthaft. Damit konnte wirklich niemand rechnen", sagt er und setzt zum herzhaften Schluck an. Der Paukenschlag 26 Prozent - langsam kommt er an in der CDU Nordrhein-Westfalen. Er wird lange nachhallen.