Das plant Rot-Grün - Teil 3

Windkraft soll Energiewende beflügeln

Stand: 15.06.2012, 06:00 Uhr

Zwei Ministerien kümmern sich künftig federführend um die Energiewende, überwacht von Hannelore Kraft. Doch die Aufspaltung ruft Unmut hervor, und Experten bleiben die Zielvorgaben des Koaltionsvertrags "zu vage".

Von Sven Gantzkow

Der Plan

31 Seiten umfasst das Kapitel "Wirtschaft, Klimaschutz, Energie" - so viel wie kein anderer Punkt im Koalitionsvertrag von Rot-Grün. Kernpunkt: die Energiewende hin zu den Erneuerbaren. Formell erlangt das Thema allein schon dadurch eine höhere Aufmerksamkeit, da ein eigenes Wirtschafts- und Energieministerium eingerichtet wird. Der von der SPD noch zu benennende Minister wird hier künftig für den Netzausbau, die Versorgungssicherheit und die Preisüberwachung zuständig sein. Der für die Energiewende zentrale Bereich der erneuerbaren Energien verbleibt dagegen bei Umweltminister Johannes Remmel (Grüne).

Bei der Energiewende steht im Koalitionsvertrag über allem der Grundsatz: "Wir wollen, dass das Energie- und Industrieland NRW mit zahlreichen energieintensiven Unternehmen als größter Kraftwerksstandort und Stromlieferant und als Innovationsschmiede für Produkte und Prozesse gestärkt wird." Unter zahlreichen Einzelpunkten setzt sich die Landesregierung Zielvorgaben. Wichtig dabei: Klima- und Energiepolitik soll "in einem partizipativen Prozess unter Einbindung wichtiger gesellschaftlicher Gruppen in Nordrhein-Westfalen" ausgehandelt werden. Sprich: Die Energiewende ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Den Umstieg auf eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien "bis zur Mitte des Jahrtausends" sieht Rot-Grün als "politischen Konsens" an. Bis 2025 sollen 30 Prozent des Stroms aus regenerativen Quellen stammen. Momentan sind es rund zehn Prozent. Ziele in den einzelnen Bereichen, die bereits im geplanten Klimaschutzgesetz genannt werden, sind uner anderem:
(1) Windenergie: Als "tragende Säule der erneuerbaren Energie" will die Landesregierung bis 2020 den Anteil der Windenergie an der Gesamtstromversorgung auf 15 Prozent hochschrauben. Grundlage dafür ist der bereits erlassene Windenergieerlass, der Mindestabstände zu Wohngebieten sowie Höhenbeschränkungen für Windräder entschärft hat.
(2) Photovoltaik: Strom durch Sonnenkraft macht in NRW momentan knapp zwei Prozent des Gesamtstromverbrauchs aus. Das bedeutet: 150.000 Photovoltaik-Anlagen sind im Einsatz. Vieles läuft in diesem Bereich über den Bund. Die Landesregierung will allerdings durch Gesetzesänderungen, beispielsweise beim Denkmalschutz, Unternehmen und Privathaushalten eine bessere Planungssicherheit ermöglichen.
(3) Wasserkraft: Auch diese Technologie soll eine Rolle bei der Energiewende spielen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass in jedem Regierungsbezirk "mindestens eine neue Referenz-Wasserkraftanlage" errichtet werden soll.
(4) Kraft-Wärme-Kopplung: Als "wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele" sieht die Koalition den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) als "einfachste, kostengünstigste und umweltgerechteste" Erzeugungsform. Bei diesem Verfahren wird die Wärme, die bei der Stromerzeugung in den Kraftwerken entsteht, gespeichert und ebenfalls verwendet. Vor allem die Möglichkeit zur dezentralen Energieerzeugung macht die KWK für Rot-Grün zu einem wichtigen Instrument. Zurzeit beträgt die KWK-Quote in NRW "nur etwa zehn Prozent" an der Gesamtstromerzeugung. Ein entsprechendes "Impuls-Programm" für KWK-Projekte ist der Landesregierung 250 Millionen Euro wert - die einzige Stelle im Bereich Energiewende, an der im Koalitionsvertrag konkrete Kosten genannt werden.
(5) Energieeinsparung: Mit gezielten Finanzierungsinstrumenten will Rot-Grün Investitionen in Energiespar- und Energieeffizienzprojekte ermöglichen. Im Rahmen des KWK- und Gebäudesanierungsprogramms soll bis 2020 "ein Großteil der rund 450.000 elektrischen Nachtspeicherheizungen in NRW" ersetzt werden.

Die Analyse

Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen, seit 1995 an der Aushandlung von vier Koalitionsverträgen beteiligt, nennt den Energieteil des Koalitionsvertrags "das beste, was SPD und Grüne in diesem Fachbereich bislang zusammen gemacht haben". Priggen hebt vor allem die Zielvorgaben bei den Quoten der erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch sowie die Fördermittel im KWK-Bereich in Höhe von 250 Millionen Euro hervor. "Durch die Energiewende entstehen neue Märkte und Möglichkeiten", sagt er. "Beim Umbau dieses alten traditionsstarken Industrielandes sehe ich die größten Chancen für Arbeitsplätze." Dass der Bereich Energie trotz eines eigenen Ministeriums von zwei Ministern gelenkt wird, hält Priggen für die richtige Lösung: "Die Energiewende ist ein Prozess, der fast alle Bereiche umfasst. Sie funktioniert nur, wenn alle Ministerien - Forschung, Bauen, Verkehr, Wirtschaft - an einem Strang ziehen." Priggen vergleicht die Energiewende mit einer Baustelle: "Sie ist so groß, da habe ich lieber viele Leute mit verteilten, klar abgegrenzten Kompetenzen als einen alleinig Zuständigen, der das angesichts der Größe der Aufgabe ja auch gar nicht alleine schaffen kann."

Karl-Josef Laumann, Fraktionschef der Union im Landtag, bewertet die Einrichtung eines eigenen Energieressorts positiv. Die CDU hätte im Falle eines Wahlsieges ähnliche Pläne gehabt. FDP-Fraktionschef Christian Lindner sieht die Aufteilung der Kompetenzen indes kritisch. Das neue Wirtschafts- und Energieministerium nennt er schon jetzt eine "energiepolitische Resterampe". Die Zielvorgaben des Vertrages seien in erster Linie "wolkige Formulierungen". Zustimmung erhält der Liberale hier von Hubertus Bardt, Leiter des Bereichs Umwelt, Energie und Ressourcen am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Dass sich die Landesregierung zum Industriestandort bekennt und klarstellt, dass die Energieversorgung bezahlbar bleiben muss, findet er zwar gut. Aber: "Der Vertrag benennt an vielen Stellen keine konkreten Maßnahmen." Eine echte Priorisierung finde nicht statt, Kosten würden nicht beziffert, "es läuft hauptsächlich auf Prüfaufträge und Dialogprozesse hinaus", kritisiert er. "Es bleibt die Frage: Wo will man eigentlich hin?" Außerdem sieht er eine Gefahr der "Zielinflation". Man müsse bedenken, wie viele Gesetze und Verordnungen es mittlerweile auf Bundes- und EU-Ebene gebe. "Ob bei CO2-Verringerung oder dem Anteil an erneuerbaren Energien: Es sind immer unterschiedliche Quoten und Zeitfenster. "Im Einzelfall könne das durchaus Sinn machen. "Aber als Ganzes wirkt es einfach nur durcheinander."

Das sieht der Naturschutzbund (Nabu) größtenteils anders. An vielen Stellen sei der Energiewende-Teil des Koalitionsvertrages "schon sehr detailreich und fundiert", man merke, "dass das Ganze von Sachverstand geprägt ist", sagt Josef Tumbrinck, der Vorsitzende des Nabu in NRW. "Aus Umweltsicht ist das wahrscheinlich der beste Koalitionsvertrag in ganz Deutschland", lobt er die Arbeit von Rot-Grün. Wichtig ist für ihn vor allem das Grundbekenntnis der Landesregierung, bis 2050 voll auf Erneuerbare umsteigen zu wollen. Dass der Vertrag häufig von einem gesamtgesellschaftlichem Konsens bei der Energiewende spricht, hält er bisweilen für "ein bisschen vernebelt". Tumbrinck sagt: "Es ist ein bisschen nach dem Motto: Soll mal die Gesellschaft klären, wohin die Reise geht." Echtes Konfliktpotenzial macht der Nabu-Chef im Bereich Windenergie aus. "Wir hätten uns gewünscht, dass die Bezirksregierungen die Ausweisung neuer Flächen steuert." Da dies nun aber die Kommunen machen sollen, müsse man abwarten, inwiefern die Standards von Arten- und Naturschutz dann noch eingehalten werden.

Die Umsetzung

Vieles bei der Energiewende läuft über den Bund. NRW will sich laut Koalitionsvertrag über den Bundesrat für verschiedene Initiativen stark machen, unter anderem die Einführung eines Energieeffizienzfonds zur Mittelvergabe, eine Aufstockung der Mittel zur Gebäudesanierung sowie ein Klimaschutzgesetz auf Bundesebene. Wichtigster Bestandteil in Nordrhein-Westfalen wird das sogenannte Klimaschutzgesetz, das Vorzeigeprojekt von Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Für dieses Rahmengesetz, das die Ziele für den sogenannten Klimaschutzplan festlegt, musste der Minister bereits Kritik einstecken. Wirtschaftsnahe Institute und die Industrie fürchten um den Wirtschaftsstandort NRW, Klimaschutzexperten stellten den Sinn des Gesetzes in Frage, da das Thema Bundessache sei. Zu Zeiten der Minderheitsregierung war es deswegen nicht klar, ob Rot-Grün das Gesetz wirklich durch den Landtag bekommt. Mit der komfortablen Mehrheit nach der Neuwahl soll das Gesetz schnell ins Plenum eingebracht und verabschiedet werden, so Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen.