Der Plan
Bei der Kommunalwahl in NRW dürfen 16-Jährige bereits seit 1999 wählen. Die rot-grüne Koalition will dieses Recht nun auch bei der Landtagswahl durchsetzen. Dazu ist eine Änderung der Landesverfassung notwendig. Der Artikel 31, in dem das Wahlalter festgelegt wird, müsste geändert werden. Um diese Änderung im Landtag mehrheitsfähig zu machen, will die Koalition der Opposition aus FDP, CDU und Piraten die Bildung einer Verfassungskommission vorschlagen.
Diese Kommission soll jedoch nicht nur über die Senkung des Wahlalters beraten. Weitere Verfassungsänderungen stehen nach den Vorstellungen der Koalition an: Rot-Grün möchte die Hürden für Volksbegehren senken und das Informationsrecht des Parlaments gegenüber der Landesregierung stärken. Außerdem sollen die rechtlichen Details bei einer Auflösung des Landtags überarbeitet werden, damit das Parlament auch nach einer Auflösung weiter arbeitsfähig bleiben kann.
Die Analyse
NRW wäre nicht das erste Bundesland, das ein Wahlrecht mit 16 einführt. In Bremen und Brandenburg dürfen Jugendliche bereits den Landtag wählen. Brandenburg musste dafür ebenfalls die Verfassung ändern, Bremen nur das Wahlrecht. NRW-Landtagsabgeordnete Dagmar Hanses von den Grünen möchte Jugendliche "stärker an den politischen Prozessen beteiligen". Das sei ein wichtiger Grund, das Wahlalter zu senken. "Es spricht viel dafür und viel dagegen", heißt es dagegen bei der NRW-CDU-Fraktion. Kritisch wird zum Beispiel die Entkopplung von Wahlrecht und Volljährigkeit gesehen. Problematisch sei etwa, dass Jugendliche dadurch Gesetze mitbestimmen dürften, obwohl sie selbst nicht voll strafmündig seien. Außerdem dürften sie dann zwar wählen, aber nicht selbst gewählt werden. Dies sei ein Widerspruch.
Auch die NRW-FDP sieht ein Wahlrecht mit 16 skeptisch. Der Landtagsabgeordnete Robert Orth gibt zu bedenken, dass es durch die Verfassungsänderung einen Bruch im bundesweiten Wahlrecht geben würde: "Bundestag und Europaparlament darf man erst mit 18 Jahren wählen - den Landtag aber mit 16. Das schafft eine seltsame Wertigkeit - als wäre die Landtagswahl unwichtiger als die Bundestagswahl." Trotzdem sei die FDP zu Gesprächen mit der Regierungskoalition bereit. Orth glaubt auch, dass man "den Jugendlichen keinen Gefallen damit tut, diese Entscheidung zu treffen". Dieses Recht könne auch eine Bürde sein, weil die Jugendlichen diese Entscheidung mit 16 noch nicht richtig einschätzen könnten.
Das sieht der Jugendforscher Uwe Sander, Professor an der Universität Bielefeld, anders. Für ihn gibt es keinen Grund, warum man 16-Jährigen das Recht, den Landtag zu wählen, vorenthalten sollte: "Dafür gibt es keinen logischen oder entwicklungspsychologischen Grund. 16-Jährige sind in ihrer geistigen und psychologischen Entwicklung weit genug, um eine solche Entscheidung zu treffen", sagt Sander. Für ihn ist der Vorschlag der Koalition eine vernünftige und konsequente Entscheidung. Schließlich würden die Abiturienten auch immer jünger, und da traue man den unter 18-Jährigen auch wichtige Entscheidungen für ihre Zukunft zu.
Dass sich Jugendliche durch die Senkung des Wahlalters mehr für Politik interessieren, glaubt er jedoch nicht. "Das wird keine zusätzliche Motivation geben, sich stärker politisch zu beteiligen", sagt Sander. Die Politik entferne sich grundsätzlich immer mehr von allen Bürgern, und das könne man durch eine Senkung des Wahlalters nicht ändern. Außerdem gehe es bei der Diskussion um das Wahlalter nicht ausschließlich um die stärkere Beteiligung von Jugendlichen, sondern auch um neue Wähler: "Die Parteien untersuchen natürlich im Vorfeld, von welcher Altersgruppe sie gewählt werden." Bei der letzten Kommunalwahl 2009 lag die Wahlbeteiligung der 16- bis 21-Jährigen bei 40,8 Prozent, so die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Landesbetriebs Information und Statistik NRW. Die CDU wurde von 30,3 und die SPD von 29 Prozent dieser Altersgruppe gewählt; die Grünen kamen auf 17,2 Prozent, die FDP auf 10,2 Prozent.
Die Umsetzung
Um die NRW-Verfassung zu ändern und ein Wahlrecht ab 16 Jahren durchzusetzen, braucht die Koalition im Landtag eine Zweidrittelmehrheit. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und Piraten, die die Änderung unterstützen, kommt diese jedoch nicht zustande. Mindestens zehn Abgeordnete der Oppositionsparteien CDU und FDP müssten ebenfalls für diesen Vorschlag stimmen. Experten sind skeptisch, ob die Regierungskoalition diese Unterstützung für die Verfassungsänderung bekommen wird. Der Fraktionsvorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Christian Lindner, hat zumindest Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die Senkung des Wahlrechts steht für die FDP dabei jedoch nicht im Vordergrund: "Die FDP ist selbstverständlich bereit, mit der Koalition über Änderungen der Landesverfassung zu sprechen. Unser Kernanliegen ist dabei die verfassungsrechtliche Verankerung einer Schuldenbremse, die tatsächlich als Selbstverpflichtung zum bescheidenen Haushalten wirksam wird." Auch die CDU will zunächst "ergebnisoffen" in die Gespräche der Verfassungskommission gehen.