Landtag debattiert über die Mafia in NRW

Mafia-Experte beklagt Vertuschung

Stand: 20.01.2010, 02:00 Uhr

Der Landtag debattiert am Mittwoch (20.01.2010) über die Aktivitäten der Mafia in NRW. Die Oppositionmeint, dass die kriminelle Organisation weiterhin unterschätzt wird. Derselben Ansicht ist auch der Autor und Mafia-Experte Jürgen Roth.

Jürgen Roth recherchiert seit Jahren im Mafia-Milieu. Sein Buch "Mafialand Deutschland" ist 2009 erschienen. Dort schildert Roth ausführlich den Einfluss der "ehrenwerten Gesellschaft" auf Unternehmen und Politik in Deutschland. Im Interview mit WDR.de gibt er seine Einschätzung über die Mafia in NRW.

WDR.de: Herr Roth, Nordrhein-Westfalen wird trotz der Morde von Duisburg 2007 im Grunde bis heute als Ruhe- und Rückzugsraum für die Mafia bewertet. Sehen Sie das auch so?

Jürgen Roth: Nordrhein-Westfalen war noch nie ein Ruhe- und Rückzugsraum für die italienische Mafia. Das Land war und ist, zumindest seit Ende der 80er-Jahre, immer auch ein Operationsraum, in dem die Mafia mit Geldfälschungen, mit Raub, mit kriminellen Warentermingeschäften und mit Drogen- und Waffenhandel bei den jeweiligen Polizeidienststellen aufgefallen ist.

WDR.de: Und die berühmte Schutzgelderpressung, von der immer die Rede ist - ist das noch ein Hauptgeschäftszweig der Mafia?

Roth: Die Schutzgelderpressung ist in Kalabrien sicher noch ein Hauptbetätigungsfeld, in Nordrhein-Westfalen und in Deutschland generell ist das aber sicher nicht mehr der wichtigste Geschäftszweig. In manchen Regionen spielt es noch eine gewisse Rolle, aber das Problem ist, dass die Betroffenen in aller Regel nicht zur Polizei gehen. Ich weiß beispielsweise von einem Unternehmen in NRW, da wird die Schutzgelderpressung derart praktiziert, dass man verlangt, an dem Geschäft beteiligt zu werden. Die Unternehmer können sich schlecht dagegen wehren, weil sie Familie und Kinder haben. Deswegen haben sie Angst, mit der Polizei zu kooperieren.

WDR.de: Betrifft das denn eine große Anzahl von Gastronomen?

Roth: Nach meiner Kenntnis ist das heutzutage eher die Ausnahme. In den achtziger Jahren und Anfang der neunziger Jahre war das durchaus üblich. Aber das Geschäftsfeld hat sich geändert.

WDR.de: In welchen Zweigen ist die Mafia denn inzwischen vor allem tätig?

Roth: Die italienische Mafia ist in großem Umfang im Kokain-Geschäft tätig. Das beherrscht sie im Wesentlichen. Auch die Geldwäsche spielt eine ganz entscheidende Rolle. In manchen Regionen von Deutschland haben sie die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bereits erreicht. Da gibt es entsprechende Erkenntnisse von Staatsanwaltschaften. Zum Beispiel in Kempten im Allgäu gab es entsprechende Ermittlungsverfahren. Das ist ein ländlicher Raum, wo es nicht so viele 'Ndrangheta-Familien gibt. In Nordrhein-Westfalen konzentrieren sich diese Familien aber.

WDR.de: In Ihrem Buch "Mafialand Deutschland" schildern Sie dass die Mafia auch in Deutschland schon bestimmte politische Ebenen erreicht habe. Welche Erkenntnisse haben Sie bezüglich Nordrhein-Westfalen?

Roth: In Nordrhein-Westfalen gibt es bislang keine Hinweise, dass es direkte Verbindungen zwischen der Politik und der italienischen Mafia gibt. Aber die Politik schützt meiner Ansicht nach die Mafia, wenn sie angibt, dass die Mafia überhaupt kein Problem sei. Genau das ist der falsche Denkansatz. Deswegen ist Deutschland ja für ganz bestimmte, sehr mächtige Mafia-Familien so begehrt. Das bestätigen die meisten italienischen Staatsanwälte, die sich mit der Mafia beschäftigen.

WDR.de: In Bochum ist kürzlich der Polizeipräsident Thomas Wenner abberufen worden, weil er Informationen über die Mafia an die SPD weiter gegeben haben soll. Wie beurteilen Sie diesen Fall?

Roth: Politik hat Bedeutung der Mafia nicht begriffen | Bildquelle: dpa

Roth: Wenner hat im Grunde etwas Selbstverständliches getan. Er hat Informationen, die im Übrigen allgemein bekannt sind durch die Lageberichte des Bundeskriminalamtes, der SPD zur Verfügung gestellt - damit Aufklärung vorgenommen werden kann. In Bochum kommt hinzu, dass es dort Ermittler gibt, die seit über einem Jahrzehnt sehr fachkundig zu der Mafia ermitteln. Die haben tiefgehende Erkenntnisse, die der Darstellung der Landesregierung widersprechen, dass alles kein Problem sei. Deswegen musste Wenner meiner Meinung nach gehen.

WDR.de: Das heißt: Die Landesregierung möchte gern wegschauen?

Roth: Ich glaube schon, dass die Politik bis zum heutigen Tag überhaupt nicht begriffen hat, was Mafia wirklich bedeutet. Es wäre wirklich mal anzuraten, dass führende Innenpolitiker, beispielsweise von der CDU oder der FDP, sich mal ein paar Wochen in Kalabrien oder Palermo bei den dortigen Ermittlungsbehörden aufhalten - damit sie die politische und gesellschaftliche Macht der Mafia überhaupt begreifen. Dann versteht man, warum viele Italiener, auch in Nordrhein-Westfalen, Angst vor der Mafia haben.

WDR.de: Sie breiten in Ihren Publikationen sehr detailreiche Erkenntnisse zur Mafia aus. Wie kommt man an diese Informationen? Welche Quellen nutzen Sie?

Roth: Ich nutze in aller Regel italienische Quellen: Italienische Staatsanwälte, die Anti-Mafia-Einheit, dann den parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Die Staatsanwälte, die Finanzpolizei und die Carabinieri haben unendlich viele Erkenntnisse. Die würden sie auch gern den Deutschen übermitteln, aber da besteht nicht immer ein großes Interesse. Was die Auskunftsfreude angeht, treffe ich da auch auf zwei Welten: Die Italiener haben erkannt, dass nur die Öffentlichkeit das Problem der Mafia bekämpfen kann. Das ist der größte Schaden, den man der Mafia zufügen kann. Diese offene Aufklärungsstrategie, die in Italien verfolgt wird, findet in Deutschland nicht statt. Man möchte hier möglichst alles vertuschen. Das ist in jeder Beziehung kontraproduktiv.

Das Gespräch führte Nina Giaramita.