Wie ist der Stand der Ermittlungen?
Es gab 16 Beschuldigte, darunter zehn Mitarbeiter bei der Stadt Duisburg, fünf Mitarbeiter beim Veranstalter Lopavent und einen Mitarbeiter bei der Polizei. Die Duisburger Staatsanwaltschaft ermittelte wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen. Die Ermittlungen um das tragische Geschehen seien abgeschlossen, teilte die Staatsanwaltschaft Duisburg am Dienstag (11.02.2014) mit. Einzelheiten wollen die Ermittler erst am Mittwochvormittag (12.02.2014) bei einer Pressekonferenz erläutern. Erwartet werden Antworten etwa auf die Fragen, wer zu den Beschuldigten zählt und wie der Tatvorwurf lautet. Dreieinhalb Jahre nach der Katastrophe in Duisburg hat die Staatsanwaltschaft jetzt Anklage erhoben. Mehr als 3.500 Zeugen sind vernommen worden, allein die Hauptakten umfassen rund 32.000 Blätter. Hinzu kommen rund 804 Terabyte an auszuwertenden Daten und umfangreiches Videomaterial (963 Stunden).
Zur Aufklärung der "Ursachen der Menschenverdichtung und der Möglichkeit ihrer Verhinderung" hat die Staatsanwaltschaft Duisburg bei Keith Still, einem britischen Professor für Massendynamik und Massenmanagement, ein Gutachten in Auftrag gegeben. Demnach hätte die ganze Feier nie genehmigt werden dürfen. Auf fast 90 Seiten kritisiert Still, dass man mit einfachen Berechnungen hätte feststellen können, dass die Rampe auf dem Veranstaltungsgelände für die erwartete Besucherzahl viel zu klein gewesen sei.
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gibt es Hinweise, dass der Ordnungs- und Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe von den Problemen beim Genehmigungsverfahren wusste. Man wundere sich, dass bei den zuständigen Bediensteten auffällig wenig Mails aus der Vorbereitungszeit gefunden wurden. Ob diese Ansicht aufrechterhalten bleibt, wird am Mittwoch bekannt gegeben.
Warum hat es bis zur Anklage so lange gedauert?
Rechtsanwalt Julius Reiter, dessen Kanzlei in Düsseldorf zusammen mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum rund 100 Opfer vertritt, sagt: "Man kann nicht wie beim Düsseldorfer Flughafen-Brand von einer unglücklichen Aneinanderreihung von Kausalitäten sprechen", sagt er. Es handele sich um "bewusstes Versagen, oder besser: organisierte Verantwortungslosigkeit". Mit Fahrlässigkeit habe das nichts mehr zu tun.
Hinter den Kulissen gab es seitens der Polizei Zweifel, ob es zur Anklage kommen würde. Die konkrete Schuldzuweisung sei schwierig. Innerhalb der Stadt Duisburg sind sich die Beschuldigten nach Angaben des Personalrats sicher, dass sie alles richtig gemacht haben und daher nicht verurteilt werden können.
Theo Steegmann, dessen Bürgerinitiative das Abwahlverfahren gegen den Oberbürgermeister Adolf Sauerland ins Rollen brachte, hatte Verständnis für die lange Zeit der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen: "Wichtig ist uns, dass in dem Verfahren schonungslos alle Verantwortlichkeiten geklärt werden - vor allem auch bei denen, die die politische Verantwortung gehabt haben." Auch wenn Adolf Sauerland nach eigenen Worten "nichts unterschrieben hat" - so hat er Druck auf die Verwaltung ausgeübt, damit diese nicht genehmigungsfähige Veranstaltung stattfindet.
Welche Konsequenzen wurden aus dem Unglück gezogen?
Es gibt bundesweit neue Sicherheitsvorschriften. Großveranstaltungen werden nur noch zugelassen, wenn ein detailliertes Sicherheitskonzept schriftlich vorliegt. Zugangswege zu einem Festivalgelände werden verbreitert und mehr Fluchtwege eingerichtet, die auch beleuchtet werden. Ein Videosystem überwacht den Zustrom und den Abfluss der Besucher. Auch die Anzahl der Sicherheitskräfte wird erhöht. Die Katastrophe der Loveparade in Duisburg hat dazu geführt, dass viele Großveranstaltungen im Zweifel eher abgesagt wurden.
In NRW dürfen Kommunen (seit August 2010) Großveranstaltungen nur noch genehmigen, wenn alle Sicherheitsbehörden mit dem Sicherheitskonzept einverstanden sind. Nach dem Erlass von Innenminister Ralf Jäger, SPD, müssen sich die Kommunen bei der Planung von Großevents bis auf Weiteres mit dem Kreis abstimmen, die kreisfreien Städte haben sich an die Bezirksregierungen zu wenden. Im August 2012 stellte Minister Jäger einen Orientierungsrahmen vor, der Kommunen bei der Durchführung von Großveranstaltungen helfen soll.
Und wie sieht es mit den personellen Konsequenzen aus?
Der ehemalige Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) wurde durch einen Bürgerentscheid abgewählt. Weitere personelle Konsequenzen gibt es nicht, kritisiert Jürgen Hagemann von "Loveparade Selbsthilfe e.V.": "Die Hoffnungen, dass der Neuanfang gleichzeitig mit mehr Transparenz verbunden sei, haben sich nicht erfüllt." Bis heute gebe es keine Versetzungen, Beurlaubungen oder Suspendierungen. "Von Sören Link (SPD) der ja letztlich auf dem 'Ticket Loveparade' Oberbürgermeister wurde, habe ich mir mehr Transparenz und Mut zur Offenheit erwartet."
Auch Opferanwalt Julius Reiter fordert personelle Konsequenzen bei der Stadt Duisburg: "Kein Unternehmen könnte es sich erlauben, bei einem so schweren Vorwurf, Mitarbeiter in dieser Position zu belassen." Seiner Meinung nach käme vor allem der Veranstalter zurzeit viel zu gut weg. Niemand würde mehr über Rainer Schaller reden. Der hätte über seine Rechtsanwälte Druck auf die Stadt ausgeübt, so Reiter.
Der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link, SPD, sagte (19.07.13) bei einer Diskussion mit Hinterbliebenen und Verletzten, dass er erst disziplinarrechtliche Schritte bei einer Anklageerhebung einleiten würde. Ansonsten gelte die Unschuldsvermutung. Wahlbeamte wiederum könnten nur über den Rat der Stadt abgewählt werden.
Was macht Adolf Sauerland jetzt?
Adolf Sauerland hat sich größtenteils aus der Politik zurückgezogen und arbeitet im Reisebüro der Familie. Statt großer Politik verkauft er Reisen auf die Kanaren und mag nicht über die Loveparade-Katastrophe reden. Seine Gegner wie Theo Steegmann werfen ihm vor, dass er nach wie vor auf Parteitagen der CDU gefeiert würde: "Diese Partei hat sich nicht im Geringsten von der Politik Adolf Sauerlands des Verschweigens und Vertuschens nach der Loveparade distanziert. Das gleiche gilt für Sauerland selber."