Reaktorunfälle, Flugzeugabstürze, Imagekrisen - der gelernte Journalist Peter Höbel beschäftigt sich seit gut 30 Jahren kommunikativ mit Krisen. Mit seiner Unternehmensberatung "crisadvice" berät er Unternehmen, Behörden und Ministerien. Die Art und Weise, wie Loveparade-Veranstalter, Stadt Duisburg und Polizei die Öffentlichkeit in den vergangenen Wochen informiert haben, hält er für "mangelhaft". In dieser Woche stehen erneut verschiedene Termine zur Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe an. Am Montag (30.08.10) hat bereits der Loveparade-Veranstalter einige Videos online gestellt, die das Unglück erklären sollen.
WDR.de: Ist es wichtig, in so einer Woche der Erste zu sein, der seine Sicht der Dinge veröffentlicht?
Peter Höbel: Grundsätzlich gilt in der Krisenkommunikation die alte Wild-West-Regel: Wer zuerst schießt, lebt länger. Im Grunde hat Oberbürgermeister Sauerland schon etwas Ähnliches versucht, indem er diesen Fernsehauftritt als "Kreuzverhör" nutzen wollte, um seinen Standpunkt darzustellen. Alle Beteiligten versuchen, ihre Position in der Öffentlichkeit zu einem aus ihrer Sicht günstigen Zeitpunkt zu platzieren. Übrigens: Die Polizei hat das indirekt auch schon gemacht. Durch den vorgezogenen Bericht des Innenministeriums, der ja die Polizei schon zu einem erstaunlich frühen Zeitpunkt von jeder Schuld freigesprochen hat.
WDR.de: Wie war die Kommunikation der drei beteiligten Parteien - Veranstalter, Polizei und Stadtverwaltung - nach dem Unglück?
Höbel: Die Krisenkommunikation war mindestens so mangelhaft wie das gesamte Krisenmanagement nach dem Unglück und die Vorbereitung und Durchführung der Großveranstaltung. Die Kommunikation passt sich nahtlos in das Gesamtbild ein.
WDR.de: Was wurde falsch gemacht?
Höbel: Die Öffentlichkeit und insbesondere die Verletzten und die Angehörigen der Toten wollen Aufklärung. Sie empfinden Trauer, sie empfinden Wut. Sie fordern zurecht, dass mit ihren Gefühlen adäquat umgegangen wird. Stattdessen sehen sie, dass es keinem der drei Hauptbeteiligten um ernsthafte Aufklärung geht, sondern eher darum, strafrechtlich oder versicherungsrechtlich zu punkten.
WDR.de: Dann war die Pressekonferenz am Sonntag nach der Veranstaltung aus Ihrer Sicht ein Fiasko?
Höbel: Das Minimum wäre gewesen, dass die drei Hauptbeteiligten mit einer abgestimmten Botschaft in diese erste Pressekonferenz gegangen wären. Natürlich kann man am Tag eins nach einem solchen Ereignis noch keine konkreten Aussagen zu Schuld und zu Abläufen machen. Aber man kann zumindest mit der gebührenden Empathie gemeinsam auf die Betroffenen zugehen. Das ist ein absolutes Muss. Dadurch, dass die Akteure aber schon an diesem Tag der Trauer angefangen haben, schmutzige Wäsche zu waschen, ist das Schicksal der Opfer - zumindest aus deren Sicht - an zweiter Stelle geblieben.
WDR.de: Was ist denn das Ziel von Krisenkommunikation nach so einem Unglück?
Höbel: Die beste Krisenkommunikation ist immer integrierter Bestandteil des gesamten Krisenmanagements. Beide sollen den eingetretenen Schaden begrenzen - und zwar für alle Beteiligten. Die Opfer und die Hinterbliebenen dürfen nicht das Gefühl haben, auf der Strecke zu bleiben. Umgekehrt ist auch niemandem damit geholfen, einen einzelnen Sündenbock auszudeuten. Insofern hat man sicherlich in der öffentlichen und in der veröffentlichten Reaktion dem Oberbürgermeister Sauerland unrecht getan, ihn allein zu verteufeln. Keiner macht alles richtig, und keiner macht alles falsch. Das Unglück haben Veranstalter, Polizei und Stadt gemeinsam zu verantworten. Bei jeder Krise gibt es außerdem eine Menge weitere Interessensgruppen, die im Hintergrund wirken. Das ist ein wichtiger und oft vergessener Fakt.
WDR.de: Am Donnerstag wird sich der Innenausschuss des Landtages in Düsseldorf mit dem Thema befassen. Veranstalter Rainer Schaller wird dort nicht persönlich auftreten. Wie ist diese Verweigerung zu bewerten?
Höbel: Von außen können wir nicht beurteilen, ob die Verweigerung von Herrn Schaller persönlich ausgeht oder ob ihm vielleicht seine Versicherung von dem Auftritt abgeraten hat. Es spielen hier viele Einflüsse und Interessen im Hintergrund eine Rolle. Vermutlich haben ihm auch seine Anwälte Zurückhaltung empfohlen. Aus der Sicht des Öffentlichkeitsarbeiters macht dieses Verhalten jedenfalls einen verheerenden Eindruck. Es sieht aus, als ob sich einer der Hauptverantwortlichen nicht der Öffentlichkeit und damit nicht seiner Verantwortung stellen will. Da helfen dann auch keine veröffentlichten Videos mehr.
Das Interview führte David Ohrndorf