Der Weg zur Katastrophe

Die Chronologie der Loveparade-Genehmigung

Stand: 06.08.2010, 02:00 Uhr

Zwischen der Stadt Duisburg und Loveparade-Veranstalter Lopavent gab es massive Differenzen hinsichtlich der Sicherheit auf dem Gelände am Duisburger Güterbahnhof. Dies geht aus 150 Seiten Aktenvermerken, Gesprächsprotokollen und Anträgen zur Genehmigung der Loveparade hervor, die dem WDR vorliegen.

Von Christina Hebel

Sicherheitsexperten der Stadt Duisburg wiesen bereits im März 2010 darauf hin, dass die erste Planung des Veranstalters nicht genehmigungsfähig sei. Das Berliner Unternehmen Lopavent, dessen Geschäftsführer Rainer Schaller ist, hatte mitgeteilt, das Gelände am alten Duisburger Bahnhof komplett einzäunen und Teile des Geländes nicht freigeben zu wollen. Dadurch wäre das Veranstaltungsgelände für die erwarteten Besucherzahlen viel zu klein gewesen und hätte zeitweilig sogar gesperrt werden müssen. Wäre diese Planung so umgesetzt worden, hätte man in der Kernzeit zwischen 17.00 und 22.00 Uhr nicht alle Zuschauer auf das Gelände lassen können. In einem Gesprächsvermerk der Stadt steht dazu: "Diese Problematik ist nicht lösbar." Mitarbeiter der Stadt wiesen Lopavent deshalb auf strafrechtliche Konsequenzen hin.

Der Veranstalter kam in diesem Fall den Bedenken der Stadt nach, änderte nach Gesprächen seine erste Planung und gab größere Teile des Geländes frei, das aber eingezäunt blieb. In vielen anderen Punkten entstand jedoch ein monatelanges Hin und Her zwischen Lopavent und Stadt über die Sicherheit bei der Loveparade, wie die von WDR.de aufgestellte Chronologie des Genehmigungsverfahrens im Detail erstmals darlegt.

Brandschutz- und Sicherheitskonzept fehlten monatelang

Mehrfach mussten zum Beispiel Sicherheitskonzepte und Brandschutzverordnungen beim Veranstalter angemahnt werden. Dieser mauerte und verwies auf die beiden vorherigen Paraden in Essen und Dortmund. Die Mitarbeiter der Stadt Duisburg machten noch Mitte Juni 2010 deutlich, dass "Vergleiche zu anderen Loveparades (...) nicht relevant" seien. Denn durch die komplette Umzäunung war das Gelände am Güterbahnhof nicht mehr frei zugänglich, wie es die Veranstaltungen in Essen und Dortmund noch waren.

Dies hatte auch Auswirkungen auf die Genehmigung: Wegen der Zäune brauchte Lopavent eine andere Genehmigung als bei den Loveparades zuvor - die einer vorübergehenden Nutzungsänderung des Geländes. Und dafür musste der Veranstalter einen Antrag mit einem schlüssigen und vollständigen Sicherheits- und Brandschutzkonzept vorlegen. Nur, dies tat er wochenlang nicht - und als Lopavent dann Ende Mai endlich einen Antrag bei der Stadt Duisburg einreichte, fehlten nahezu alle erforderlichen Unterlagen, auch das Brandschutz - und Sicherheitskonzept.

Lopavent: Probleme eher praktisch angehen

Wie aus den Akten hervorgeht, waren einige Mitarbeiter der Stadt, insbesondere der Bauaufsicht, mit den schließlich vom Veranstalter doch noch vorgebrachten Sicherheits- und Brandschutzkonzepten bis kurz vor der Loveparade nicht einverstanden. Auf mehreren Sitzungen der Stadt und Lopavent wurden die Bedenken besprochen. Während Mitarbeiter der Bauaufsicht immer wieder auf die rechtlichen Bestimmungen hinwiesen, mauerte Lopavent.

Laut einem Gesprächsvermerk der Leiterin des Amtes für Baurecht und Bauberatung über eine Besprechung mit Vertretern der Stadt, der Feuerwehr und des Veranstalters am 18. Juni 2010 machte Lopavent deutlich, dass sie die von der Stadt geforderten rechtlichen Auflagen nicht nachvollziehen könnte: Ihr ginge es "allein um die praktische Seite" der Probleme, weniger um die rechtlich-formale. Als dann noch der Ordnungsdezernent der Stadt, Wolfgang Rabe, Lopavent unterstützte und klar machte, dass der Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) die Veranstaltung wünsche, und die Bauaufsicht zusammen mit Lopavent für die ungeklärten Fragen eine Lösung erarbeiten solle, lehnte der Stadtbaurat Jürgen Dressler eine Verantwortung für die Loveparade ab.

Späte Genehmigung mit Auflagen

Auch noch zehn Tage vor der Loveparade am 24. Juli 2010 waren die von der Lopavent eingereichten Unterlagen lückenhaft. Immerhin lag dann ein Sicherheitskonzept mit einer sogenannten Entfluchtungsanalyse vor, die darlegt, wie und wie schnell die Besucher vom Gelände kommen. Der von der Stadt Duisburg beauftragte Gutachter Professor Martin Schreckenberg von der Universität Duisburg-Essen bewertete die Analyse grundsätzlich als "gut". Er machte aber deutlich, dass "dem Zugang zum Gelände durch den Tunnel Karl-Lehr-Straße eine besondere Rolle" zukommt, "die in jedem Fall detailliertere Betrachtung benötigt".

Erst zwei Tage vor der Veranstaltung legte das Unternehmen das endgültige Brandschutzkonzept eines externen Sachverständigen vor. Am 23. Juli 2010 erteilte das Amt für Baurecht und Bauberatung - trotz der Bedenken zuvor - formell die Genehmigung für die Nutzungsänderung des Geländes, allerdings mit zwei Auflagen: Erstens dürfen sich nicht mehr als 250.000 Menschen auf dem Gelände aufhalten. Zweitens dürfen "die Fluchtwege an keiner Stelle durch Einbauten oder sonstige Hindernisse beschränkt werden".

Die Polizei erhielt das Dokument erst nach mehrmaliger Nachfrage am Tag der Loveparade, dem 24. Juli 2010.