Die ersten Tränen fließen gleich zu Beginn des Abends. Dabei war das ganz anders geplant. Im Café Museum in der Duisburger Innenstadt sind viele Mitglieder der Selbsthilfegruppe Massenpanik zusammengekommen. Sie haben die Musiknacht "Remind the Love" mitorganisiert, an der sich viele Szenekneipen und Clubs in Duisburg beteiligen. Auch Partys und Bars in Bochum, Essen und Köln haben das Motto übernommen. Verkauft werden kleine Buttons mit dem Motto "Erinnere dich an die Liebe" - mit den Einnahmen sollen Treffen von Angehörigen und Opfern finanziert werden. Die Todesopfer "waren alles junge Menschen", sagt Mitorganisator Jürgen Hagemann, "Die sind zur Loveparade gegangen, weil sie Musik hören und tanzen wollten." Deswegen wurde den teilnehmenden Clubs auch kein trauriges Musikprogramm vorgeschrieben. "Es sollte eine fröhliche Geschichte werden", betont Hagemann. Soweit die Theorie. Aber jetzt um kurz vor 20 Uhr sieht er ein: "Es wird Momente geben, die zum Weinen sind und Momente, in denen wir lachen."
"Meine Frau hat nur noch funktioniert"
Dieser Freitag ist der Beginn eines Wochenendes, das für alle nicht einfach wird. Am Sonntag (24.07.2011) jährt sich die Tragödie der Loveparade zum ersten Mal. Das bedeutet für viele, dass die Erinnerungen wieder hochkochen. "Meine Frau und ich waren zusammen auf der Loveparade", erzählt Gregor Dronski. "Sie ist eher nach Hause gegangen und hat die toten Menschen gesehen, die im Tunnel lagen und notdürftig mit Jacken zugedeckt waren." Ein Schock, der erst 100 Tage später richtig einsetzte. "Meine Frau hat einfach nur noch funktioniert", berichtet der 46-Jährige. Sie habe die Kinder versorgt - mehr sei nicht drin gewesen. Seit November mache sie eine Traumatherapie. "Die Gruppe tut uns gut", sagt Dronski. "Wir sollten uns treffen, um mal wieder zu lachen."
Ein Song für Duisburg
Ortswechsel. In Duisburg-Ruhrort bereiten sich Holger Schörken und Gundolf Kubischok auf den Abend vor. Die beiden DJs werden im "Zum Hübi" auflegen. Die gewohnte Musik, aber um 23 Uhr wollen sie wie alle teilnehmenden Clubs den Titel "Hope you can hear me" spielen. "Der ist an alle verteilt worden", sagt Holger Schörken. Sein Kollege ergänzt: "Wir wollen uns heute Abend erinnern, aber nicht trauern." Seinen Sohn, der auch Besucher der Loveparade war, konnte er damals stundenlang nicht erreichen.
"Für Opfer gibt man keine Party"
Währenddessen kauft sich Leah Lorke an der Theke einen der Benefiz-Buttons. Sie hat auf Bitten ihrer Mutter schon vor einer Woche ein Plakat für "Remind the Love" in ihrer Schule aufgehängt. "Ich kenne niemanden, der bei der Loveparade verletzt wurde, aber ich kann mir in Ansätzen vorstellen, was diese Menschen durchmachen", sagt die 14-Jährige. Dagegen kann Sabine, die mit ihrer Clique zum Tanzen gekommen ist, dem Motto nichts abgewinnen. "Eine Party für die Opfer?", fragt die junge Frau skeptisch. "Ich bin auch Duisburgerin, aber irgendwann muss damit auch Schluss sein und für die Opfer gibt man keine Party."
"Das hier ist etwas Neues"
In Duisburg-Neudorf, auf der anderen Seite der Stadt, ist die Kneipe "Jedermann" schon brechend voll. Auf dem Fernseher über der Tür läuft in einer Endlosschleife der Videoclip zu "Remind the Love"."Ich finde das gut", sagt Barbara Piwowar. "Die jungen Leute, die bei der Loveparade umgekommen sind, wollten doch feiern." Ein anderer Gast ergänzt: "Ich bin auch sehr betroffen, von dem, was passiert ist, aber Trauer kann nicht zum Event gemacht werden." Er brauche auch keinen Button, um über seine Gefühle nachzudenken. "So ein Abend wie heute gehört dazu, aber keine Trauerfeier im Stadion, wo die Angehörigen vorgeführt werden."
Um kurz vor 23 Uhr gibt es eine kleine Ansprache von Stefan Pelzer, der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist. "Wir wollen nicht dieses Gefühl von vor einem Jahr fortsetzen", sagt Pelzer. "Wir sind hier um zu feiern, und das machen wir in Zusammenarbeit mit den Hinterbliebenen. Das hier ist etwas Neues."