Verzögerung beim Loveparade-Verfahren

"Wir dürfen nicht aufgeben"

Stand: 29.10.2014, 18:23 Uhr

Vier Jahre nach dem Unglück der Loveparade 2010 diskutierte der Rechtsausschuss im Landtag am Mittwoch (28.10.2014) darüber, warum sich der Prozess um die Schuldfrage weiter verzögert. "Eine einzige Respektlosigkeit" seien die Ermittlungen, sagt Gabi Müller, die damals ihren Sohn verlor.

Er war gerade 25 Jahre alt geworden, hatte eine Restaurantfachlehre und das Fachabitur in der Tasche, nun sollte es zum Studium an die Universität gehen. Doch das Leben von Christian Müller aus Hamm endete am 24. Juli 2010 in der Massenpanik der Loveparade. Bisher hat seine Mutter Gabi Müller es vermieden, sich der Presse gegenüber zu äußern. Doch nun wolle sie nicht länger schweigen, sagt die 57-Jährige, die sich dennoch lieber nicht auf einem Foto zeigen möchte.

WDR.de: Mehr als vier Jahre sind seit dem Unglück vergangen. Der Gerichtsprozess, der die Schuldigen ausfindig machen soll, hat noch immer nicht begonnen und soll sich nun noch weiter verzögern. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Gabi Müller: Anfangs muss man ja an irgendetwas glauben, an Gerechtigkeit. Aber die Hoffnung darauf schwindet. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte uns eine Woche nach dem Unglück in ihrer Rede auf der Trauerfeier in der Salvatorkirche lückenlose Aufklärung versprochen. Bisher ist gar nichts lückenlos aufgeklärt worden. Bis jetzt zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Entwicklungen ein: "Ich war es nicht, ich war es nicht", bei allen Beteiligten. Aber so kann man nicht abschließen, man wird ständig wieder aufgewühlt, und eigentlich stecken wir in der Hoffnung auf Gerechtigkeit für unsere Angehörigen immer nur Niederlagen ein. Das ist ihnen gegenüber respektlos. Dieses Event, das aus Habgier und Profilierungsdrang entstanden ist, hat unsere Kinder das Leben gekostet.

WDR.de: Sind Ihrer Meinung nach jetzt die Richtigen angeklagt?

Panik bricht aus unter den Partybesuchern am 24.07.2010 | Bildquelle: dpa/Wiffers

Müller: Die zehn jetzt Angeklagten sind meines Erachtens zwar nicht unschuldig, aber die Hauptverantwortlichen sind andere: Der damalige Duisburger Oberbürgermeister, der Veranstalter, der damalige Rechtsdezernent Wolfgang Rabe. Dass die Planung riskant war, haben alle gewusst. Es sind vorab viele mahnende und warnende Stimmen protokolliert worden – die aber ignoriert wurden. Wenn der Herr Sauerland gesagt hätte: "Das findet hier nicht statt, weil wir die Kapazitäten dafür nicht haben", dann hätte es die Loveparade in Duisburg nie gegeben. Da hätten sich alle Befürworter auf den Kopf stellen können. Genauso hat es ja vorher die Bochumer Oberbürgermeisterin gemacht, wo die Loveparade ursprünglich stattfinden sollte. Alle in Duisburg kannten den Ort und die Gegebenheiten, dennoch wurden sämtliche Bedenken ignoriert. Das ist für mich unvorstellbar.

Polizeipräsident von Schmeling, Veranstalter Schaller und Ex-OB Sauerland | Bildquelle: imago stock&people

Und was ist mit der Polizei? Die Staatsanwaltschaft baut ihre Anklage ausschließlich darauf auf, dass das Unglück aufgrund fehlerhafter Planung und Genehmigung passiert ist. Aber von Seiten der Polizei sind am Tag selber auch gravierende Fehler gemacht worden.

WDR.de: Fühlten Sie sich als Betroffene bei den bisherigen Ermittlungen ausreichend angehört und informiert?

Müller: Abgesehen davon, dass wir als Angehörige bis heute nichts persönlich von der Stadt Duisburg oder dem Veranstalter gehört haben: Wir sind nie über irgendwelche Ermittlungen informiert worden. Selbst unsere Anwälte haben Neuigkeiten meist aus der Presse erfahren. Warum hatten unsere Anwälte nach Jahren erstmals Akteneinsicht? Das kann ich nicht nachvollziehen.

WDR.de: Das Verfahren verzögert sich jetzt möglicherweise, weil das Gutachten des britischen Experten Keith Still von einigen Verteidigern angezweifelt wird. Wie bewerten Sie das?

Müller: Mich wundert vor allem, dass der Staatsanwaltschaft das nicht eher aufgefallen ist. Die müssten doch wissen, welche Kriterien solch ein Gutachten erfüllen muss, um vor Gericht verwendet zu werden. Es gab ja bereits ein Gutachten der Stadt Duisburg, das ganz viel Geld gekostet hat und letztlich nichts wert war.

WDR.de: Auch stellte sich jetzt heraus, dass CDs mit Beweismaterial von der Staatsanwaltschaft "versehentlich" nicht an das Gericht weitergegeben wurden. Das verzögert das Verfahren zusätzlich.

Beweismaterial übersehen im Rathaus Duisburg | Bildquelle: WDR/imago stock&people/54254942/Revierfoto

Müller: Für mich steht dahinter die Absicht, uns mürbe zu machen. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger Kraft bleibt uns Hinterbliebenen und Verletzten, und vielleicht wird auf den Moment spekuliert, wo wir sagen: "Jetzt ist es uns egal, wir können ohnehin nichts mehr ändern". Wenn ich bedenke, wie viele Ermittler da dran waren – und dennoch zieht sich das Ganze so in die Länge? Nach fünf Monaten Ermittlungen stellte sich heraus, dass Beweismaterial aus dem Duisburger Rathaus übersehen worden war, so dass man dort noch weitere Computer beschlagnahmen musste. Da verstehe ich als Laie ja sogar, dass man sich das zu dem Zeitpunkt hätte sparen können.

WDR.de: Werden Sie zu den Gerichtsverhandlungen gehen – wenn der Prozess einmal begonnen haben sollte?

Müller: Ja, das werde ich. Ich möchte, dass die Angeklagten uns sehen, dass ihnen bewusst wird, was sie angerichtet haben, was sie zerstört haben. Die leben das Leben weiter, das sie hatten. Wir müssen uns neu orientieren. Ich möchte wissen, ob die Angeklagten, wenn sie dann im Fokus der Öffentlichkeit stehen, es noch schaffen, weiter zu schweigen.

WDR.de: Wie ging Ihr Leben weiter nach dem Tod Ihres Sohnes?

Müller: Wir sind in der "glücklichen" Lage, ein sehr stabiles Umfeld zu haben. Die Freunde meines Sohnes stehen bis heute in engem Kontakt zu mir und meinem Mann, aber auch unter ihnen ist er offenbar immer präsent. Oft, wenn ich zum Friedhof komme, sehe ich, dass Christian wieder Besuch hatte. Dann liegen da kleine Zeichen, so dass ich weiß, wer da war. Sie tragen die Erinnerung an ihn mit. Dadurch unterstützen sie uns sehr und geben uns Kraft – wir dürfen ja nicht aufgeben.

Das Interview führte Nina Magoley