Es ist eine Nachricht, die für Verwunderung und Empörung sorgt. Die Loveparade-Katastrophe von 2010 soll nach dem Willen des Landgerichts Duisburg keinen Strafprozess nach sich ziehen. Ihr falle es schwer, den Beschluss zu verstehen, sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) am Dienstag (05.04.2016) in Düsseldorf.
Entscheidung liegt nun beim Oberlandesgericht
Zuvor hatte das Landgericht Duisburg mitgeteilt, dass es keinen Strafprozess gegen Verantwortliche der Loveparade-Katastrophe geben wird. Die Anklage der Staatsanwaltschaft wurde nicht zur Hauptverhandlung zugelassen. Das Landgericht zweifelt vor allem die Qualität eines Gutachtens an, das die Staatsanwaltschaft für die Anklage in Auftrag gegeben hatte. Das Gutachten sei "nicht verwertbar", teilte das Gericht am Dienstag mit. Es leide "an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln". Die Staatsanwaltschaft legt Beschwerde gegen den Beschluss ein. Bestätigt das Oberlandesgericht die Entscheidung, gibt es keinen Strafprozess.
"Das ist ein Justizskandal", sagte der Vertreter der Nebenkläger, Julius Reiter, "nach fünfeinhalb Jahren Ermittlungen zu so einem Ergebnis zu kommen." Reiter vertritt rund 100 Betroffene, darunter die Angehörigen von vier Todesopfern.
Strafrechtler: "Nicht mit Ruhm bekleckert"
Die ermittelnde Staatsanwaltschaft habe sich "offenbar nicht mit Ruhm bekleckert", sagte der Düsseldorfer Strafrechtler Udo Vetter am Dienstag dem WDR. Am Gutachten der Staatsanwaltschaft habe es ja bereits seit längerer Zeit Kritik gegeben. Es sei "schwer vorstellbar", dass beim Polizeieinsatz alles richtig gelaufen sei. Die Ermittlungen gegen den Einsatzleiter der Polizei waren bereits 2014 eingestellt worden.
Am Dienstag bloggte Vetter: "Angesichts der deutlichen Worte des Gerichts in Richtung des Gutachters stellt sich die Frage, wieso die Staatsanwaltschaft Duisburg nicht bereits frühzeitig in Alternativen gedacht hat. Es ist ja in großen Fällen durchaus möglich und auch üblich, mehrere Sachverständige zu beauftragen." Aber auch das Landgericht Duisburg mache es sich möglicherweise zu leicht. Die Strafprozessordnung sehe nämlich ausdrücklich vor, dass das Gericht vor Entscheidung über die Zulassung der Anklage "zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen" könne, zitierte Vetter die Strafprozessordnung.
Kriminologe überrascht
Der Bochumer Kriminologe und Opfer-Anwalt Thomas Feltes vertritt einen Vater, dessen Tochter bei dem Technofestival am 24. Juli 2010 ums Leben kam. "Die Hinterbliebenen hatten fünf Jahre gehofft, dass dieses Ereignis objektiv aufgearbeitet wird", sagte Feltes. Er zeigte sich überrascht: "Auch aufgrund der langen Dauer der Entscheidung bin ich davon ausgegangen, dass man einen Prozess gründlich vorbereiten will."
Empörung bei der Netzgemeinde
Die Kritik an den Loveparade-Ermittlungen ist massiv. Nur wenige Minuten nach der ersten Nachricht zum geplatzten Prozess brach am Dienstag die Empörung in den sozialen Medien los. Viele beklagen eine kollektive Verantwortungslosigkeit im Fall Loveparade bei Behörden, Justiz und Politik. Hier einige Reaktionen auf Twitter:
Schleppende politische Aufklärung
Nicht nur die juristische, auch die politische Aufarbeitung des Unglücks verlief äußerst schleppend. Der damals amtierende Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) lehnte jede Verantwortung für die Katastrophe ab. 2012 wählten ihn die Duisburger per Bürgerentscheid ab. Innenminister Ralf Jäger (SPD), selbst Duisburger, war am Tag der Loveparade vor Ort. Der Minister verteidigte später bei mehreren Sondersitzungen im Landtag seine Polizeibeamten - und lehnte ebenfalls eine persönliche Verantwortung ab. Als Konsequenz aus Duisburg sind allerdings heute in NRW Sicherheitskonzepte bei Großveranstaltungen vorgeschrieben.