Warmbadetage? Gestrichen. Brötchentaste am Parkautomaten? Abgeschafft. Sprachförderung für Kinder? Gekürzt. Die Finanznot zwingt die Kommunen zu immer mehr Einschnitten. Die Folge: Die soziale Infrastruktur mancher Städte in NRW könnte in sich zusammenbrechen. Darunter leiden vor allem Kinder und Familien mit geringem Einkommen. Lars Holtkamp, Professor für Politik und Verwaltung an der Fernuni Hagen, erklärt, welche Fehler die Politik gemacht hat und warum manche Stadt selbst mit den stärksten Sparbemühungen finanziell nicht mehr zu retten ist.
WDR.de: In den meisten Kommunen wird an allen Ecken und Enden gespart - auf ganz verschiedene Art. Gibt es da richtige und falsche Ansätze?
Lars Holtkamp: Es ist die Frage, was das Ziel des Sparens ist. Richtig sparen würde bedeuten, dass es den Kommunen gelingt, einen Haushaltsausgleich zu schaffen und die laufenden Schulden, das heißt die Kassenkredite, abzubauen. Das wird aber vielen Kommunen in NRW aus eigener Kraft nicht gelingen. Denn viele Kommunen sind strukturell unterfinanziert - insbesondere im Ruhrgebiet gibt es sehr viele Beispiele dafür, etwa die Städte Hagen, Oberhausen oder den Kreis Recklinghausen. Dort werden schon seit Anfang der 1990er Jahre die laufenden Einnahmen nicht mehr ausreichend generiert, um das, was jedes Jahr ausgegeben wird, zu decken. Und dementsprechend hat sich ein riesiger Berg von Kassenkrediten aufgebaut. Und allein die Zinsen führen dazu, dass die Sparbemühungen wieder aufgefressen werden.
WDR.de: Ist es dann nicht egal, ob man zum Beispiel die Warmbadetage streicht und Freibäder ganz schließt, oder ob man sie wie gewohnt weiterführt?
Lars Holtkamp: Das hängt davon ab, was die jeweilige Kommunalpolitik will. Will sie möglichst maximal sparen - ohne jemals das Ziel des Haushaltsausgleichs zu erreichen? Oder ist sie der Auffassung, dass Kommunen ihren Bürgern eine gewissen Infrastruktur bieten müssen? Insbesondere den Bürgern, die es sich nicht leisten können, ins Privat-Sauna-Bad in der Nähe zu gehen.
WDR.de: Was können sich Kommunen, die finanziell besonders schlecht dastehen, von denen abgucken, die besser dastehen?
Lars Holtkamp: Das suggeriert ja, dass die Guten was für ihren guten Status können. Nehmen wir mal Düsseldorf als Beispiel. Die Stadt steht außerordentlich gut da. Aber es ist auch nicht so schwierig bei der entsprechenden Wirtschaftsstruktur und als Landeshauptstadt seinen Haushalt einigermaßen ausgeglichen zu gestalten. Das gibt den Kommunen, die extreme Strukturprobleme haben, keine große Orientierung.
WDR.de: Können die klammen Städte die Finanzspirale, die sich nach unten dreht, denn überhaupt noch aufhalten?
Lars Holtkamp: Nein. Das können sie nicht. Sie können versuchen, das zu sparen, was gerade noch gespart werden kann, damit sie in den Statistiken nicht als eine der Städte ausgewiesen werden, die die höchste Pro-Kopf-Verschuldung haben.
WDR.de: Warum ist das so wichtig?
Lars Holtkamp: Diejenigen, die das nicht schaffen, erfreuen sich einer ganz besonderen Aufmerksamkeit der Kommunalaufsicht. Das bedeutet meistens, dass der Haushalt nicht genehmigt wird. Die Konsequenz ist, dass die Kommune kaum noch eigenständig Investitionen tätigen kann. Zum Beispiel könnten dann Projekte wie Mahlzeiten für Schulen und Kindergärten wegfallen. Alle die Dinge, die eigentlich kleine und auch sozialpolitisch wichtige Maßnahmen sind, kann man sich dann nicht mehr leisten.
WDR.de: Wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Lars Holtkamp: Es wurden Fehler gemacht. Erstens: Es wurde nicht anerkannt, dass es in NRW Städte gibt, wie im Ruhrgebiet, aber auch in Wuppertal oder Solingen, die allein von der Sozialstruktur her schon sehr problematisch sind, weil sie hohe Sozialausgaben und wenig Steuereinnahmen haben. Dass hat man über Jahre nicht in dem Maße ausgeglichen wie man es hätte machen müssen. Zweitens: Man hat beschlossen, dass auch die Kommunen, die vollkommen verschuldet sind, den Solidaritätsbeitrag für die ostdeutschen Kommunen zahlen müssen, die aber finanziell deutlich besser dastehen. Drittens: Man hat auf Bundes- und Landesebene immer neuere Leistungsgesetze verabschiedet, ohne für den entsprechenden finanziellen Ausgleich zu sorgen.
WDR.de: Das Ganze zeichnet sich seit mehr als zehn Jahren ab. Wie wird es in zehn Jahren aussehen?
Lars Holtkamp: Vermutlich genauso wie heute. Die Schuldenberge sind dann weiter angestiegen, aber die Situation bleibt dieselbe.
WDR.de: Was passiert denn mit den Schulden?
Lars Holtkamp: Die werden nicht abgebaut, obwohl das vom Recht so vorgesehen ist. Das ist eigentlich ein ständiger Rechtsverstoß.
WDR.de: Und das hat keine Folgen?
Lars Holtkamp: Ich erkläre es mal so: Als Privatmensch hat man ein Girokonto und darauf überzieht man jedes Jahr genau das, was man eigentlich als Gehalt bekommt. Das ist zurzeit die Situation der Kommunen im Ruhrgebiet, die eben dieses Dispo bis zu einer Milliarde Euro ausgeschöpft haben. Und dem steht häufig nicht mehr genügend Gemeindevermögen gegenüber. Ein Privatmensch würde Insolvenz anmelden. Die Kommunen tun das nicht, weil sie verpflichtet sind, ihre Aufgaben weiter zu erfüllen und im Zweifel davon ausgegangen wird, dass eine höhere Ebene für ihre Schulden haftet. Deshalb ist es vorstellbar, dass einige Kommunen, die jetzt Kassenkredite in Höhe von einer Milliarde Euro haben, in zehn Jahren Kredite über zehn Milliarden Euro haben. Das muss aber nicht dazu führen, dass die Banken kalte Füße bekommen, weil sie denken, dass das Ganze durch Vater Staat in irgendeiner Form gedeckt ist.
WDR.de: Aber irgendwann bricht dieses System doch zusammen. Warum wird das ignoriert?
Lars Holtkamp: Man kann sich das so vorstellen: Zum Beispiel Oberhausen, die Stadt ist absoluter Spitzenreiter bei den Kassenkrediten und hoffnungslos verschuldet. Das weiß jeder seit 20 Jahren. Da könnte die Landesregierung jetzt hingehen und sagen: Ihr dürft keine Kredite mehr aufnehmen und ihr zahlt den Banken keine Zinsen. Nur so als Idee, könnte man ja mal machen. Die Folge wäre, dass die Zinszahlungen extrem erhöht würden, weil die Stadt Oberhausen nicht mehr als liquide eingestuft werden würde, wie man es im Moment tut auf dem Bankensektor. Das wäre eine absolute Risikokreditvergabe. Das würde dann aber auch für andere klamme Kommunen gelten. Dementsprechend würden dort auch Zinsen extrem erhöht. Das würde das Haushaltsproblem in allen Kommunen verschärfen.
WDR.de: Das heißt, im Moment wird nur jongliert - mit Geld das keiner hat?
Lars Holtkamp: Ja.
WDR.de: Können die Bürger denn etwas tun, um zu helfen?
Lars Holtkamp: Ja, natürlich. Das wird ja auch erwartet. Wer möchte, dass es freiwillige Aufgaben weiterhin gibt, muss sich als Bürger engagieren und seine Mitarbeit anbieten. Wenn man in seinem Stadtteil das Freibad erhalten will, dann muss man selbst eine Bürgerinitiative gründen und sagen, im Zweifelsfall können wir uns vorstellen, das selbst zu übernehmen. So wird es ja auch schon in vielen Kommunen praktiziert.