Es ist ein Rekord-Defizit: Der Schuldenberg, den die NRW-Kommunen bis Ende 2009 angehäuft haben, beläuft sich auf mittlerweile 52,9 Milliarden Euro - 5,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Dies teilte das Statistische Landesamt am Mittwoch (16.06.10) mit. Demnach beträgt die Pro-Kopf-Verschuldung in Nordrhein-Westfalen 2957,64 Euro.
Eckhard Ruthemeyer (CDU) ist Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW sowie Bürgermeister der Stadt Soest. Im Interview spricht er über Wege aus der Krise.
WDR.de: Der Deutsche Städtetag prognostiziert für das laufende Jahr ein Defizit der kommunalen Haushalte von 15 Milliarden Euro - ist damit der Tiefpunkt erreicht?
Eckhard Ruthemeyer: Wir erleben zurzeit in der Tat die schlimmste Finanzkrise, die die Kommunen nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt haben, und es ist nicht auszuschließen, dass es durchaus noch schlechter werden kann.
WDR.de: Und jetzt kommt auch noch das von Berlin aufgelegte Sparpaket auf die Kommunen zu.
Ruthemeyer: Zunächst begrüßen die Kommunen es, dass damit angefangen wird, Sozialhaushalte zu entlasten. Dass der Sozialhaushalt angegangen werden muss, ist auch unstreitig. Denn der beinhaltet ja über fünfzig Prozent der Bundeshaushalts. Das hat aber natürlich mittelbare Auswirkungen auf unsere kommunalen Haushalte.
Wenn zum Beispiel für die Hartz-IV-Empfänger die Rentenbeiträge nicht mehr gezahlt werden, dann bedeutet das, dass die Menschen einen Anspruch auf Grundsicherung haben, und der wird aus den kommunalen Haushalten zu finanzieren sein. Das kann natürlich nicht richtig sein.
WDR.de: Wissen denn inzwischen auch Bund und Länder um die Misere?
Ruthemeyer: Auf Bundes- und Landesebene ist mittlerweile angekommen, dass die Kommunen alleine diese Situation nicht meistern können. Denn wir haben immer weiter wachsende Sozialkosten, die auf der kommunalen Ebene abgeladen werden. Es muss darüber geredet werden, dass sich daran auch Bund und Land beteiligen.
WDR.de: Womit wollen Sie sich denn konkret aus dem Schuldensumpf ziehen?
Ruthemeyer: Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wir uns auf eine Mindestausstattung für die kommunalen Haushalte verlassen können. Das heißt: Wenn auch beim Land die Einnahmen zurückgehen, dann brauchen wir für die Aufgaben, die wir ja auch im Auftrag des Landes und des Bundes erfüllen, dennoch die nötigen Finanzmittel.
Dabei geht es ja darum, welche berechenbaren Einnahmen wir auch auf der kommunalen Ebene erhalten, und da gibt es ja immer wieder die Diskussion um die Gewerbesteuer. Bei der Gewerbesteuer haben wir als Kommunen ein großes Interesse daran, dass sie erhalten bleibt und noch mehr Unternehmen sowie auch freie Berufe in die Gewerbesteuerverpflichtung mit hineingenommen werden.
WDR.de: Sollten die Menschen im Land sich auch auf weitere Einschnitte vorbereiten?
Ruthemeyer: Es geht auch darum, Sozialsysteme zu entlasten, und wenn wir immer weniger werden, müssen wir tatsächlich darüber nachdenken, auch länger zu arbeiten, um das Ganze überhaupt noch finanzieren zu können. Auch hinsichtlich der Eigenvorsorge wird es in Zukunft verstärkte Anstrengungen geben müssen - wobei das leicht gesagt ist, denn die Einkommen werden ja nicht unbedingt größer. Aber mit der Riesterrente sind ja entsprechende Weichen gestellt.
WDR.de: Reicht es denn aus, weitere Sparvorschläge zu machen bzw. Steuern zu erhöhen? Die schuldenfreie Stadt Langenfeld beispielsweise hat deren Angaben zufolge reichlich investiert, um die Stadt auch für Unternehmen attraktiv zu machen - ist das ein gangbarer Weg für weitere Kommunen?
Ruthemeyer: Wir können uns im Durchschnitt nicht mit einer Stadt wie Langenfeld vergleichen. Denn mehr als die Hälfte der Kommunen in NRW steht unter der Kommunalaufsicht, und immer mehr Kommunen gehen in die Überschuldung. Das heißt: Wenn Sie ein Kaufmann wären, müssten Sie Insolvenz anmelden, weil die gesamten Mittel aufgebraucht sind.
Aber man muss natürlich trotzdem versuchen, Projekte nach vorne zu bringen, um auch in die Zukunft zu investieren. Städte wie Oberhausen und Gelsenkirchen sind aber natürlich sehr, sehr eingeschränkt, weil sie jede einzelne Maßnahme bei der Kommunalaufsicht anmelden müssen, und nur, wenn die Kommunalaufsicht einverstanden ist, können sie dann auch tatsächlich diese Maßnahme durchführen.
WDR.de: Wird bereits darüber nachgedacht, einzelne Städte komplett zu entschulden?
Ruthemeyer: Das ist natürlich ein Punkt innerhalb der zukünftigen Diskussion um die Gemeindefinanzreform. Unter ganz engen Voraussetzungen könnte es dann möglich sein, in eine Altschuldenablösung hineinzukommen. Wobei man aber sehen muss, dass andere Kommunen, die aus ihrer Sicht sehr sparsam gewirtschaftet haben, dann davon nachteilig betroffen sind, weil denen dann das Geld nicht zur Verfügung gestellt wird. Deswegen muss man das als letzte Stufe eines Verbesserungspaktes für die Kommunen sehen.
WDR.de: Gibt es in der einen oder anderen Kommune nicht auch hausgemachte Probleme?
Ruthemeyer: Bei den strukturellen Defiziten sind das eher Marginalien. Wir können im Bereich interkommunale Zusammenarbeit noch einiges zusätzlich umsetzen - indem man zum Beispiel Personalverwaltungen zusammenlegt oder auch Kommunalbetriebe über Gemeindegrenzen hinweg arbeiten lässt. Das ist sicherlich möglich, aber das bringt bei Weitem nicht das Entlastungspotenzial, das vonnöten ist.
WDR.de: Der Kölner OB Roters hat gesagt, falls der Bund weitere Aufgaben auf die Städte abwälze, werde er "die Ausführung dieser Aufgaben" verweigern. Ist das reine Rhetorik?
Ruthemeyer: Ich denke, der Kollege Roters zeigt, dass wir wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen. Wir machen mit solchen Äußerungen auf unsere Not aufmerksam. In einem Rechtsstaat ist es aber natürlich so, dass Aufgaben auch zu erfüllen sind, wenn es so im Gesetz festgelegt ist. Sonst kommen wir an Grenzen im Umgang miteinander.