Interview mit Staatsschutz-Leiter

"Rechte Straftäter sind schwierig zu überführen"

Stand: 28.06.2012, 00:00 Uhr

Der Bundestag berät am Donnerstag (28.06.2012) über eine zentrale Datei zum Rechtsextremismus, damit Bund, Länder und Gemeinden ihre Arbeit besser koordinieren können. Warum es so schwer ist, gegen extremistische Gewalttäter vorzugehen, erklärt Walter Kemper, Leiter des Polizeilichen Staatsschutzes Dortmund. 

WDR.de: Die NSU-Anschläge haben Deutschland aufgeschreckt. Es wurde deutlich, wie sich die Neonazi-Szene entwickeln konnte - ungehindert vom Polizeilichen Staatsschutz und Verfassungsschutz. Haben diese Anschläge auch Ihre Arbeit verändert?

Walter Kemper Staatsschutzleiter in Dortmund | Bildquelle: Kracht/WDR

Walter Kemper: Wir hatten schon immer ein Auge auf diese Szene. Jetzt hat das Landesinnenministerium den Kampf gegen Rechtsextremismus zu einem seiner Schwerpunkte gemacht. Deshalb werden auch die Behörden vor Ort mit mehr Personal ausgestattet. Wir haben eine "Task Force" aufgebaut, die sich gezielt um Rechtsradikale kümmert. Kontrollen werden verstärkt, unter anderem in Szene-Treffpunkten. Hier wollen wir erreichen, dass Intensiv-Täter immer wieder auf den gleichen Beamten treffen. Sie sollen wissen, dass wir da sind!

WDR.de: Dortmund ist nur eine Stadt von vielen in NRW mit einer sehr aktiven Neonazi-Szene. Die Neonazis hier gelten allerdings als besonders gut vernetzt und gewaltbereit. Wie können Sie die Bürger davor schützen?

Kemper: Die meisten Bürger müssen nicht besonders geschützt werden. Die Neonazis haben ihre speziellen Feindbilder, wie Homosexuelle, alternative Jugendliche und Vertreter von Minderheiten. Dazu gehören auch Obdachlose, Alkoholkranke und Drogensüchtige. Als besonders gewaltbereit sehen wir nur einige Mitglieder. In Dortmund gibt es zwei Szenen: Einmal sind das die Neonazis; die nennen sich hier "Nationaler Widerstand" (NW). Das sind junge Leute, lose in Kleingruppen organisiert. Sie treten nicht in Springerstiefeln und Bomberjacke auf. Inhaltliches Vorbild ist die Ideologie der Nationalsozialisten, mit Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus. Zwei führende Köpfe wohnen hier - und ziehen andere nach. Es gibt auch Vernetzungen nach Ostdeutschland und den Niederlanden. Viele der Neonazis sind gebildet, sie melden die Demonstrationen an – und haben eine gute Rechtsberatung.

Daneben agiert eine Skinhead-Szene: Die Skinheads sind nicht grundsätzlich fremdenfeindlich, lassen sich aber von den Nazis benutzen und neigen unter Alkohol zu spontanen Gewalt-Übergriffen.

WDR.de: In Dortmund verübten Rechtsextreme immer wieder Straftaten. Würden sie Dortmund als Nazi-Hochburg bezeichnen?

Kemper: Wir haben hier etwa 40 Rechtsradikale. Dortmund ist ein Brennpunkt. Aber eine Hochburg sieht für mich anders aus. Es gibt verschwindend wenige Anzeigen wegen Gewaltdelikten wie zum Beispiel Körperverletzungen. Die Mehrzahl der Straftaten sind sogenannte Propaganda-Delikte und Sachbeschädigungen.

WDR.de: Es treffen in Dortmund immer wieder gewaltbereite Rechte und Linke aufeinander. Wie beschreiben sie Ihre Rolle, als Staatsschutz in diesem Spannungsfeld zwischen linken und rechten Extremisten?

Kemper: Die Polizei hat von Gesetz wegen den Auftrag Straftaten zu erforschen. Wer mit politischer Motivation schlägt, andere angreift oder überfällt, wird von der Polizei genauso behandelt wie andere Straftäter. Da gibt es keinen Unterschied. Wir sind keine politische Polizei. Es gibt sowohl gewaltbereite Nazis als auch gewaltbereite Linke. Stellt sich aber heraus, dass es sich um politisch motivierte, rechtsextreme Taten handelt, werden wir uns im Rahmen unserer "Task-Force" verstärkt um die Tatverdächtigen kümmern.

WDR.de: Wie denken Sie über die Vorwürfe, dass Ermittler wegschauen – oder die rechten Straftäter nicht mit der gebotenen Konsequenz verfolgen?

Kemper: Wir schauen auf keinen Fall weg. Aber es ist in der Tat schwierig, sie als Straftäter zu überführen. Beispiel: In einem Dortmunder Stadtteil leiden Bewohner seit langem unter den Nazi-Schmierereien auf Hauswänden, Laternen oder öffentlichen Gebäuden. Hier haben wir viele Beamte aus anderen Dienststellen abgezogen, um die Täter auf frischer Tat zu erwischen. Der Aufwand ist enorm hoch und der Erfolg gering, weil viele Rechtsextremisten lediglich Ordnungswidrigkeiten begehen, die oft nicht viel höher bestraft werden als ein Falschparken. Dennoch ist diese Arbeit sehr wichtig, auch wenn dafür dann mehrere gut ausgebildete Beamte nachts auf der Lauer liegen. Aus den gewonnenen Erkenntnissen ergeben sich manchmal Gründe für eine Hausdurchsuchung oder andere Hinweise, die eine Ermittlung fördern können. Des Weiteren spüren die gewaltbreiten Rechten hier auch den starken Kontroll- und Präsenzdruck der Polizei.

WDR.de: An welche Grenzen stößt der Staatsschutz bei der Verfolgung rechtsextremistischer Straftäter?

Kemper: Wir sind unbedingt auch auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen, die uns Straftaten melden und sich als Zeugen zur Verfügung stellen. Menschen, die sich von Rechtsextremisten bedroht fühlen oder angegriffen worden sind, erstatten nur selten Anzeige; ohne Anzeige kein Weg zum Gericht. Manche rechten Straftäter wissen sehr genau, wie weit sie gehen dürfen. Sie bewegen sich offenbar bewusst am Rande der Strafbarkeit. Beispiel: Die Ehefrau des sich öffentlich gegen Rechts bekennenden Dortmunder Oberbürgermeisters bekam ein Weihnachts-Päckchen von Mitgliedern der NS-Szene, worin sich unter anderem ein Fahrradhelm befand. Einige Nazis hielten sich vor ihrer Haustür auf, filmten die Szene und stellen sie ins Internet ein. Mehr nicht. Sie wollen damit aber sagen: "Hey, Oberbürgermeister, du hast dich offen gegen uns gestellt. Jetzt wissen wir, wo du mit deiner Familie wohnst!" Wir haben den Sachverhalt der Staatsanwaltschaft zugeleitet, die darin aber keine Straftat erkennen konnte. Letztlich ist es nicht verboten, ein Geschenk zu überreichen.

Wenn wir bei einer Hausdurchsuchung etwa Pfefferspray oder Baseball-Schläger finden, können wir die nicht einfach beschlagnahmen, da diese Gegenstände nicht unter das Waffenbesitz-Verbot fallen. Daher sind wir ja auch bestrebt, ein allgemeines Waffenbesitzverbot zu erwirken, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

WDR.de: Wie wollen Sie Ihre Arbeit denn wirkungsvoller machen?

Kemper: Wir sind dabei, den Rechtsextremen die Stimmung zu verderben. In dem wir beispielsweise die offenen und verdeckten Ermittlungen verstärken, die Polizeibehörden untereinander stärker vernetzen, als es bisher der Fall war, auch mit der Staatsanwaltschaft, um bürokratische Vorgänge zu beschleunigen. Insgesamt soll der Ermittlungs- und Kontrolldruck so stark werden, dass die Luft für die Rechten in Dortmund immer dünner wird. Mit unserer Arbeit möchten wir Opfer ermutigen, Anzeigen zu erstatten. Wir möchten das Vertrauen in die Polizei stärken und latent vorhandenen Ängsten begegnen. Für Hinweisgeber, Anzeigenerstatter oder Ratsuchende zum Thema "Rechtsextreme" haben wir unter der Telefonnummer 0231/132-7777 extra ein Sorgen- und Infotelefon geschaltet.

Das Interview führte Claudia Kracht.