Dortmund hat seit vielen Jahren Probleme mit rechter Gewalt. Rechtsradikale nutzen die Stadt für ihre Kundgebungen, überfallen linke Szenelokale und bedrohen Menschen, die sich ihnen aktiv entgegenstellen. Vor einigen Jahren wurde eine Familie aus Dortmund-Dorstfeld massiv terrorisiert: Es gab Drohanrufe, die Fenster ihrer Wohnung wurden eingeworfen, das Auto beschädigt und der gegen Neonazis engagierte Sohn auf Flugblättern diffamiert. Die Polizei sah sich nicht in der Lage, die Familie schützen zu können. Ende 2009, nach über einem Jahr ständiger Bedrohung, zog die Familie aus Dortmund weg.
Schon damals entstand die Idee, dass es Beratungsstellen speziell für die Opfer rechter Gewalt geben müsse. Hartmut Anders-Hoepgen, städtischer Beauftragter für Toleranz, Vielfalt und Demokratie in Dortmund, betont: "Wir arbeiten schon lange daran, das Problem in den Griff zu bekommen. Aber so etwas vorzubereiten, die Politik im Land dafür zu gewinnen, Gelder aus dem Haushalt dafür zur Verfügung zu stellen, das braucht Zeit. Wir sind jetzt froh, dass wir an den Start gehen können."
Spezialisierte Beratungsstellen waren überfällig
In Ostdeutschland gibt es bereits seit Jahren Beratungsstellen für die Opfer rechter Gewalt, in NRW ist es die Erste. Noch Ende 2010 hielt Innenminister Ralf Jäger spezielle Beratungsstellen für überflüssig. Jetzt, im November verkündete Familienministerin Ute Schäfer, dass das Land noch dieses Jahr 300.000 Euro in die Einrichtung von zwei Beratungsstellen steckt. Die Dortmunder sind ab sofort für ganz Westfalen zuständig, eine zweite Anlaufstelle für das Rheinland soll in Köln oder Aachen entstehen.
Hans Wupper-Tewes von der Landesstelle für politische Bildung verteidigt die Landesregierung. "Es ist auch ein Lernprozess. Die Landesregierung hat schon seit längerem zum Beispiel mobile Interventionsteams. Dass wir Beratungsstellen speziell für die Opfer einrichten, ist ja aus den Gegebenheiten hier in NRW entstanden und nicht aus Panik und aktuellen Anlässen. Uns geht es nicht nur darum, Opfer zu beraten, sondern es geht auch darum: Wo haben wir Unterstützungsstrukturen in der Auseinandersetzung mit Rassismus. Deswegen lassen wir das ganze auch wissenschaftlich begleiten, weil wir nicht exakt wissen, wie groß der Bedarf ist." Die Landesstelle vergibt das Geld vom Land an die Beratungsstellen. Bevor diese eingerichtet worden sind, hat sie Vorgespräche mit den beteiligten Institutionen geführt, um verbindliche Standards festzuschreiben. Etwa den Umstand, dass sie weder staatlich, noch kommunal, sondern in privater Trägerschaft sein sollen.
Erfahrungen aus Ostdeutschland nutzen dem Projekt
Für die wissenschaftliche Begleitung ist Claudia Luzar von der Universität Bielefeld zuständig: "Ich habe bereits 1998 die Beratungsstelle für die Opfer von rechter Gewalt in Brandenburg mit aufgebaut und war dort sechs Jahre tätig. Jetzt sehe ich mich als Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis und in der Verpflichtung, die Berater möglichst gut zu coachen." Die Vorgaben für eine erfolgreiche Beratung waren schnell gefunden: Sie sollte, so Wupper-Tewes, "aufsuchend, zivilgesellschaftlich und dauerhaft sein." Deswegen wurde sie zunächst bei einem freien Träger angesiedelt. In diesem Fall bei der gemeinnützigen Gesellschaft für paritätische Sozialdienste, einer Tochtergesellschaft des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Dort haben Claudia Luzar und ihr erster Mitarbeiter, Rechtsanwalt Ulf Märtens, ihr Büro, aber meistens sind sie unterwegs. Märtens erklärt: "Wenn sich die Betroffenen bei uns melden, dann suchen wir die erst mal auf. An einem Ort, der ihnen genehm ist, gerne auch im sozialen Umfeld der Betroffenen."
Die Beratung ist kostenlos und auf Wunsch anonym
Das Angebot hat sich bereits herumgesprochen. Obwohl es bei "Back Up" erst seit Anfang November Beratungen gibt, haben sich bereits die ersten Betroffenen gemeldet. Mehrere Familien aus Bochum, eine aus Dortmund sowie einige antifaschistische Jugendliche. Die Hilfe der Beratungsstelle ist kostenlos und richtet sich immer nach den Bedürfnissen der Opfer. Die einen suchen die Öffentlichkeit, die anderen wollen anonym bleiben. Manche erstatten Anzeige, manche nicht. Der Rechtsanwalt und Opferberater Ulf Märtens betont: "Wir sind auf rechte Gewalt spezialisiert und können die Opfer weitervermitteln. Wir kennen die richtigen Rechtsanwälte oder Psychologen, die zum Beispiel auf Angsttraumata spezialisiert sind. Wir begleiten die Opfer auf Wunsch zur Polizei oder vor Gericht."
Ziel ist, dauerhafte Hilfsangebote aufzubauen
Auch der Dortmunder Familie, die vor den Rechtsradikalen geflohen ist, hätte er helfen können, glaubt er: "Gesetzt den Fall, dass die Polizei sagt, wir können euch nicht schützen, dann würden wir die fragen, ob das nicht doch geht. Wir leben in der Bundesrepublik und nicht in Mexiko, beispielsweise. Was die Sachbeschädigungen angeht – da würden wir versuchen, finanzielle Entschädigung zu erreichen und bei Telefonterror würden wir den Opfern eine neue anonyme Telefonnummer besorgen." Etwa 120 bis 180 schwere Fälle rechtsradikaler Übergriffe wurden in NRW in den letzten Jahren angezeigt. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein. Hans Wupper-Tewes von der Landesstelle für politische Bildung weiß: "In den neuen Bundesländern gibt es jährlich ein Beratungsaufkommen von 500 bis 600 Fällen. Das gibt ungefähr die Dimension an, denn in ganz Ostdeutschland leben so viele Menschen wie bei uns in NRW. Uns ist es wichtig, dauerhafte nachhaltige Angebote aufzubauen und wenn ich das richtig deute, wollen auch die Abgeordneten die Beratungsstellen längerfristig finanzieren."