Mit Plakaten sollen die letzten NS-Verbrecher aufgespürt werden. Die Kampagne nennt sich "Operation Last Chance II": Insgesamt 2.000 Plakate werden in Köln, Hamburg und Berlin aufgehängt. Das Simon-Wiesenthal-Zentrum, das weltweit nach untergetauchten NS-Verbrechern sucht, hat bereits vor über zehn Jahren in Osteuropa mit Postern gefahndet, um unerkannt gebliebene NS-Verbrecher aufzuspüren. Später gab es Aktionen auch in Rumänien, Bulgarien und Österreich. Die Organisation hat Hinweise darauf, dass auch in Nordrhein-Westfalen noch einige Kriegsverbrecher leben, die in Konzentrationslagern Aufseher waren, bis heute aber straffrei geblieben sind.
WDR.de: Was sind das für Menschen, nach denen Sie jetzt mit Plakaten in Deutschland fahnden?
Efraim Zuroff: Im Fokus stehen die, die in Einsatzgruppen oder Wachmannschaften von Vernichtungslagern gedient haben. Zum Beispiel im besetzten Polen - etwa in Auschwitz, Treblinka und Majdanek. Solche Kriegsverbrecher in Deutschland überhaupt vor Gericht zu stellen, ist erst seit 2011 möglich. Damals wurde Iwan Demjanjuk in München wegen Beihilfe zum Mord in Tausenden von Fällen verurteilt. Er war im Zweiten Weltkrieg Wachmann in Sobibor. Das war der erste Fall, bei dem jemand nicht für ein bestimmtes Verbrechen an einer bestimmten Person angeklagt worden ist, sondern für seine Tätigkeit in einem Vernichtungslager schon verurteilt wurde. Das Gericht stellte fest: Wenn jemand in Uniform tätig war, dann war er automatisch mitschuldig an der Vernichtung der Juden. Er musste nicht selbst getötet haben. Dieses Urteil hat den Weg geebnet, um jetzt nach weiteren noch lebenden Nazi-Verbrechern in Deutschland zu suchen.
WDR.de: Warum starten Sie die Plakatkampagne gerade jetzt?
Zuroff: Vorgestellt haben wir die Kampagne bereits vor eineinhalb Jahren im Bundestag. Aber es hat gedauert, bis wir die nötigen Mittel zusammenhatten, um loszulegen. Wir haben bei 86 Firmen und Stiftungen um Unterstützung nachgefragt, aber kaum jemand wollte uns in irgendeiner Form helfen.
WDR.de: Kennen Sie Namen von ehemaligen KZ-Aufsehern, die jetzt gesucht werden?
Zuroff: Nein. Aber wir rechnen damit, dass uns aufmerksame Bürger Hinweise geben. Bekannte oder Nachbarn könnten etwas gehört haben und an uns herantreten. Die Zeit, die uns noch bleibt, müssen wir nutzen. Es leben nur noch wenige dieser NS-Täter, die teils schon über 90 Jahre alt sind. Von den 6.000 Personen, die in Vernichtungslagern beschäftigt waren, sind vermutlich 98 Prozent inzwischen tot. Etwa 120 Personen könnten noch am Leben sein. In Deutschland, Tschechien, Chile und vielen anderen Ländern. Wo genau, wissen wir einfach nicht. Vielleicht könnten noch 60 davon vor Gericht angeklagt werden. Die Übrigen wären wohl wegen Gebrechen und Krankheiten nicht mehr verhandlungsfähig.
WDR.de: Ihre Belohnung für Hinweise liegt bei bis zu 25.000 Euro. Warum diese hohe Summe? Nehmen Sie an, dass sonst kaum Hinweise von Bürgern eingehen würden?
Zuroff: Das ist nicht der Grund. Zuerst wollten wir die Suche nicht mit Geld verbinden. Aber erst als Geld ins Spiel kam, ist die Kampagne von Medien beachtet worden. Inzwischen ist das Medienecho sogar über Deutschland hinaus groß.
WDR.de: Warum werden die Plakate ausgerechnet in den Großstädten Berlin, Hamburg und Köln aufgehängt?
Zuroff: Das ist ganz einfach: In diesen Städten hat uns ein Unternehmen 2.000 Plakatflächen angeboten. 1.000 in Berlin, 500 in Hamburg und 500 in Köln. Natürlich hätten wir lieber hunderttausend über ganz Deutschland verteilt. Aber 2.000 sind schon enorm viel.
WDR.de: Was wollen Sie mit der Fahndungsaktion erreichen?
Zuroff: Zuerst einmal so viele Informationen wie möglich sammeln, damit so viele Verantwortliche wie möglich zur Rechenschaft gezogen und verurteilt werden können. Das hat etwas mit Gerechtigkeit zu tun. Das Alter schützt die Nazi-Helfer nicht vor ihren begangenen Taten.
WDR.de: In Deutschland sucht auch die Ludwigsburger Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen seit Jahrzehnten nach Verdachtsfällen. Arbeiten Sie mit Ludwigsburg zusammen?
Zuroff: Wir sind in Kontakt. Aber wegen des Datenschutzes ist es sehr schwierig, mit deutschen Institutionen zusammenzuarbeiten. Sie können uns keine Namen weitergeben. Der Datenschutz ist zwar gerade wegen des Holocaust so streng gefasst worden. Aber die Kehrseite davon ist, dass die Schuldigen dadurch geschützt werden. Was den Erfolg der Plakataktion betrifft, sind wir aber zuversichtlich.
Das Interview führte Lisa von Prondzinski.