WDR.de: Sollten die Medien über die Auseinandersetzung von Pro NRW und den Salafisten berichten? Schließlich gibt die Berichterstattung ja zwei extremistischen Gruppen ein Forum.
Prof. Schicha: Ja, selbstverständlich sollten die Medien darüber berichten. Das ist ein Ereignis mit hohem nachrichtlichen Wert, von öffentlichem Interesse, und insofern ist es natürlich wichtig, dass die Bürgerinnen und Bürger darüber informiert werden.
Natürlich versuchen solche Gruppen immer, ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren, indem sie durch Provokationen Öffentlichkeit herstellen. Das wird sich nicht vermeiden lassen. Aber das tot zu schweigen und nicht darüber zu berichten, halte ich für fragwürdig. Ich denke, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung Gewalt und derartige Auseinandersetzungen ablehnt, und insofern kann ich nicht erkennen, dass das jetzt Werbung für diese Gruppen ist.
WDR.de: Pro NRW zieht im Moment durch die Städte, um Wahlkampf zu machen. Eine gewaltätige Auseinandersetzung bringt doch mehr mediale Resonanz als ein Büchertisch.
Prof. Schicha: Das ist richtig. Bislang war die Medienberichterstattung so, dass nur vereinzelt mal Wahlkämpfer gezeigt wurden. Da findet nichts statt, da sind kaum Unterstützer. Und natürlich geben sich gerade solche Gruppen, die antidemokratische und rechtsextremistische Tendenzen haben, große Mühe, in den Schlagzeilen zu landen. Da ist eine gezielte Provokation - zum Beispiel auch durch körperliche Gewalt - sicherlich ein Mittel. Aber insgesamt ist es doch eher abschreckend, und ich glaube nicht, dass die Anzahl der Unterstützer dadurch steigt.
WDR.de: Die Salafisten haben ja vorher schon mit ihrer Aktion, den Koran in Fußgängerzonen zu verteilen, für ein Dilemma bei den Medien gesorgt: Die Medien sollen berichten, sagen Sie. Aber in welcher Form?
Prof. Schicha: Zunächst sollten die Fakten aufgezeigt werden. Und dann geht es immer um eine Form der Einordnung. Ob da die Mormonen mir ihre Bibeln geben oder der Koran verteilt wird, über Inhalte von Religionsgemeinschaften zu informieren, ist für mich erst einmal nichts Dramatisches. Es ist dann eben nur wichtig, über die Hintergründe, die Motive, die Finanzierung und die weiteren Ambitionen zu recherchieren und das aufzudecken.
Ich fände es auch sehr positiv, wenn nicht nur über das Ereignis berichtet wird, sondern auch über die Konsequenzen. Das ist dieser "Brennpunkt-Effekt": Es passiert etwas dramatisches, ein Terroranschlag zum Beispiel, und dann gibt es drei, vier Tage mit Sondersendungen, die Korrespondenten kommen zu Wort, aber irgendwann ist man das Thema leid und die eigentliche Einordnung findet nicht statt.
WDR.de: Warum sind bestimmte Themen für die Medien ein großer Balanceakt?
Prof. Schicha: Medien befinden sich immer in einem Dilemma: Einerseits wollen sie keine Bühne bieten - der norwegische Attentäter Anders Breivik ist da ein gutes Beispiel -, auf der anderen Seite hätte das Totschweigen auch fatale Konsequenzen. Dadurch würde man einen Mythos aufbauen.
Im Fall vom Prozess gegen Anders Breivik ist es ganz gut gelöst worden, indem zwar einerseits berichtet wird, wie das Verfahren abläuft, wie die Staatsanwaltschaft sich geäußert hat, aber ab einem gewissen Punkt waren keine Kameras mehr im Gerichtssaal zugelassen und es wird eben nicht alles berichtet.
WDR.de: Das Internet hat die Berichterstattung verändert - heute geht es in den Medien immer mehr auch um Schnelligkeit, oder?
Prof. Schicha: Inzwischen wird in Echtzeit "gepostet", das sind ja nicht nur Medien, sondern Bürger, User, Blogger, die die Sachen ins Netz stellen. Dadurch ist der Druck auf solche Dinge zu reagieren, enorm gewachsen. Das Risiko, Falschmeldungen zu übernehmen wächst dadurch natürlich, weil alle von einander abschreiben. In Emden war das zum Beispiel so, dass ein vermeindlicher Mädchenmörder öffentlich an den Pranger gestellt wurde, der unschuldig war. Darum gilt immer: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.