"Wichtig ist, dass Betroffene sich jemandem anvertrauen"

Stand: 27.04.2018, 17:44 Uhr

Was kann ein Sender wie der WDR tun, wenn er Hinweise auf sexuelle Belästigung erhält? Wie kann er Betroffene schützen? Und warum ist die Frage nach Anonymität so entscheidend? Ein Interview mit Eva-Maria Michel, Justiziarin und stellvertretende Intendantin des WDR.

Was kann eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des WDR tun, wenn sie oder er sexuell belästigt oder in diesem Zusammenhang von Machtmissbrauch betroffen ist?

Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter sollte sich gegenüber einer Person seines/ihres Vertrauens öffnen und den Vorfall schildern. Diese Vertrauensperson kann die/der Vorgesetzte sein, deren/dessen Vorgesetze oder auch ein Mitglied der Geschäftsleitung, die Gleichstellungsbeauftragte, ein Mitglied unseres Interventionsausschusses oder – als externe Ansprechpartnerin – eine der von uns beauftragten Rechtsanwältinnen. Darüber hinaus werden wir noch eine externe Ombudsstelle einrichten, die langfristig als vertrauensvolle Ansprechpartnerin zur Verfügung stehen wird.

Wichtig: Alle diese Vertrauenspersonen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Unsere Rechtsanwältinnen unterliegen dabei dem Anwaltsgeheimnis, das bedeutet: Alle Informationen, die sie bekommen, werden strikt vertraulich behandelt und nur dann, wenn die Betroffenen damit einverstanden sind, an den WDR weitergegeben.

Entscheidend ist in jedem Fall, dass sich Betroffene jemandem anvertrauen. Wir sind darauf angewiesen, dass wir die Vorwürfe kennen. Nur dann können wir dagegen vorgehen. Und seien Sie versichert: Das werden wir!

Einige Kolleginnen scheuen sich davor, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen haben. Inwiefern kann der WDR garantieren, dass die Karriere im WDR keinen Schaden nimmt und diese Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter auch nicht von den Beschuldigten verklagt werden?

Eine Garantie, dass Beschuldigte gegen Betroffene nicht rechtlich vorgehen, etwa damit die Betroffenen ihre Anschuldigungen zurücknehmen, kann der WDR nicht geben, da der Rechtsweg natürlich jedem offen steht. Aber: Der WDR gewährt all seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die von sexueller Belästigung oder Machtmissbrauch betroffen sind, einen umfassenden Rechtsschutz.

Selbstverständlich stehen wir auch dafür ein, dass Betroffene, die den Mut haben, sich zu äußern, keine Nachteile für ihre Karriere im WDR befürchten müssen. Auch im Namen der anderen Mitglieder der Geschäftsleitung möchte ich ausdrücklich sagen: Niemand im WDR soll und darf sich aus Angst vor eigenen Konsequenzen fürchten, gegen sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch vorzugehen. Dafür stehen wir ein.

Mit welchen Konsequenzen müssen die Beschuldigten rechnen?

Ganz wichtig ist: Der WDR als Arbeitgeber kann arbeitsrechtliche Sanktionen gegen verdächtige Personen nur dann ergreifen, wenn der Vorwurf nachweisbar ist. Unser Grundproblem einiger Fälle in der Vergangenheit war, dass wir mangels Zeugen oder anderer konkreter, überzeugender Nachweise gegen mögliche Täter keine Maßnahmen ergreifen konnten. Gerüchte sind keine robuste Grundlage für eine arbeitsrechtliche Bewertung. Wir sind darauf angewiesen, dass sich der Vorwurf durch Zeugenaussagen oder andere Beweismittel beweisen lässt. Je nach Schwere des Vorwurfs ist dann von einer Versetzung über eine Abmahnung bis hin zur Kündigung alles möglich.

Gilt das auch, wenn die oder der Betroffene anonym bleiben will?

Selbstverständlich werden wir auch aktiv, wenn uns anonyme Hinweise erreichen. Niemand ist verpflichtet, seine Anonymität zu offenbaren. Um die Erkenntnisse am Ende wirklich verwerten können, ist für uns aber die Bereitschaft, die Anonymität aufzugeben und damit als Zeugin oder Zeuge zur Verfügung zu stehen, von essentieller Bedeutung. Andernfalls kann es schwierig werden, einen Vorgang adäquat ahnden zu können. Maßgeblich und Voraussetzung für entsprechende Maßnahmen ist, dass der Grund für die Sanktion nachgewiesen werden kann.

Wie sehr beschäftigt Sie die ganze Situation und das, was im WDR derzeit geschieht, persönlich?

Mich beschäftigt die Situation offen gestanden sehr. Für mich persönlich ist ein offener und diskriminierungsfreier Umgang miteinander selbstverständlich. Das erwarte ich genauso von jedem und jeder einzelnen Mitarbeiter/in des WDR unabhängig von Aufgabe, Position und Hierarchie. Das bedeutet auch, dass Probleme und Missstände intern ausdrücklich angesprochen und angegangen werden. Wir müssen und werden dafür sorgen, dass sexuelle Belästigung und Machtmissbrauch im WDR keinen Platz haben und wir ein Klima des Vertrauens schaffen. Grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass Betroffene keine Angst haben, über Geschehenes zu sprechen. Dafür setze ich mich ein.